Kreativquartiere in Bayern:Aus Kloster wird Cohaus

Kreativquartiere in Bayern: "Transformationen 2022": Künstlerinnen des Kollektivs "K&K-Bündnis Kunst und Kind" präsentieren Beiträge zu dieser zweiten Ausstellung einer im Vorjahr begonnenen Reihe.

"Transformationen 2022": Künstlerinnen des Kollektivs "K&K-Bündnis Kunst und Kind" präsentieren Beiträge zu dieser zweiten Ausstellung einer im Vorjahr begonnenen Reihe.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Missionsdominikanerinnen haben ihren Barockbau in Schlehdorf verlassen. Ihr Gemeinschaftsgedanke soll dort aber in einer sozial und kulturell engagierten Genossenschaft weiterleben.

Von Felicitas Amler, Schlehdorf

Im malerischen Blauen Land rund um Kochel- und Staffelsee haben sie zusammen gelebt und gewirkt: Gabriele Münter, Wassily Kandinsky, Marianne von Werefkin und Alexej Jawlensky in Murnau, Franz Marc und Heinrich Campendonk in Sindelsdorf und Seeshaupt. Vor dem Hintergrund all dieser großen Namen der Expressionistengruppe Blauer Reiter möchte die Malerin Anna Schölß eine neue, zeitgenössische Stätte des gemeinsamen Kulturschaffens etablieren - im aufgelassenen Kloster Schlehdorf am Kochelsee. Die 39-Jährige ist eine Pionierin an diesem Ort. Sie hat seit vier Jahren ein Atelier im Cohaus Kloster Schlehdorf. Unter diesem Titel - mit der Betonung auf "Co" - will die Münchner Wohnungsgenossenschaft Wogeno den Gemeinschaftsgedanken der Missionsdominikanerinnen weltlich weiterverfolgen: "Ein erfülltes Lebens an einem geschützten Ort zum Wohnen, Lernen und Arbeiten unter einem Dach", so heißt es auf der Cohaus-Website.

Kreativquartiere in Bayern: Mehr als 1200 Jahre Klostergeschichte: Das heutige Dreiflügel-Gebäude ist 300 Jahre alt. Früher war hier ein Benediktinerkloster, dann ein Augustiner-Chorherrenstift.

Mehr als 1200 Jahre Klostergeschichte: Das heutige Dreiflügel-Gebäude ist 300 Jahre alt. Früher war hier ein Benediktinerkloster, dann ein Augustiner-Chorherrenstift.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der sozialen und kulturellen Gesinnung dieser Ordensschwestern, aber auch ihrem Bewusstsein vom Wert ihres 300 Jahre alten denkmalgeschützten Klostergebäudes ist es zu verdanken, dass dort ein ganz eigenes Kreativquartier entsteht. Die damals noch 35 Frauen mit ihrer Provinzialin Schwester Francesca Hannen haben ihr Anwesen nicht wie die Salesianerinnen im nahen Beuerberg für ein gesichertes Alter im Seniorinnenheim an die Erzdiözese München-Freising abgegeben. Sie haben mit Unterstützung eines Finanzberaters einen passenden Investor gesucht. Die Münchner "Genossenschaft für selbstverwaltetes, soziales und ökologisches Wohnen" Wogeno erwies sich als "idealer Partner", wie die Provinzialin sagt. Für 4,2 Millionen Euro erwarb die Wogeno das barocke Kloster vor vier Jahren und wandelt es seitdem nach und nach in Wohn-, Gewerbe- und Gemeinschaftsräume um. Inzwischen sind verschiedene Menschen und Metiers vertreten, von der Yogalehrerin bis zum Kräuterpädagogen, vom Bildhauer mit nachlassender Sehkraft, der sich daher mehr dem Angebot von Meditationen widmet, bis zur Trauerrednerin, die gleichzeitig Traurednerin ist. Die verbliebenen 24 Dominikanerinnen haben derweil ganz in der Nähe einen selbst geplanten und gestalteten Neubau bezogen und sind bestrebt, mit den neuen Bewohnerinnen und Bewohnern des alten Klosters in Kontakt zu bleiben.

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(Foto: SZ-Grafik)

Wie gut dies gelingt, hat in diesem Sommer eine eigenwillige Performance zur Eröffnung der Ausstellung "Transformationen 2022" im Kloster gezeigt. Die Dominikanerschwestern Suzanne und Nicole spielten gemeinsam mit den beiden Kunstschaffenden Stephanie Müller und Klaus Erika Dietl ein avantgardistisches Konzert auf Alltagsgegenständen. Das Klappern einer mechanischen Schreibmaschine, das Klatschen eines Brotteigs, der in der Schüssel geschlagen wird, das Klopfen eines Gehstocks auf dem harten Boden oder das Rattern einer alten englischen Nähmaschine - all das verband die ungewöhnliche Combo inmitten der Klosterkapelle zu einem einzigartigen Hörerlebnis. Schwester Josefa Thusbaß, ehemalige Rektorin der Mädchenrealschule Sankt Immaculata in Schlehdorf und passionierte Fotografin, filmte die Performance, die auf diese Weise simultan auf einem großen Bildschirm zu sehen war. Das Publikum zeigte sich ebenso begeistert wie die Akteurinnen.

Kreativquartiere in Bayern: Anna Schölß hat die Ausstellung "Transformationen" kuratiert. Sie arbeitet seit vier Jahren in ihrem Atelier im Kloster Schlehdorf.

Anna Schölß hat die Ausstellung "Transformationen" kuratiert. Sie arbeitet seit vier Jahren in ihrem Atelier im Kloster Schlehdorf.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die 2021 begonnene jährliche Ausstellungsreihe "Transformationen" spiegelt im Namen wider, was Kuratorin Anna Schölß und Cohaus-Geschäftsführer Johannes Hochholzer damit zeigen wollen: einerseits den Prozess der Umwandlung des Klosters in eine weltliche Stätte des Zusammenlebens und -arbeitens, andererseits Umbrüche in der Gesellschaft. Schölß versteht das Cohaus als "vibrierenden Ort für zeitgenössische Kunst und gesellschaftlichen Diskurs". In diesem Jahr hatten die "Transformationen" den Untertitel "Care", was für Betreuung, Fürsorge, Kümmern und Pflege stehen sollte. In der früheren Krankenstation der Ordensschwestern drehten sich Fotografien, Videos, Installationen und eine virtuelle Grabungsstätte mit künstlerischen Fundstücken aller Art um dieses Thema. Gleichzeitig waren sie Teil der Transformation, da die Räume zu diesem Zeitpunkt eine Baustelle waren, teils mit offenem Boden, mit herunterhängenden Kabeln und Löchern in den Wänden. Denn auch die Krankenstation wird von der Wogeno zu Wohnräumen umgestaltet. Insgesamt wird das dreigeschossige Kloster 50 Wohn- und 16 sogenannte Gewerbeeinheiten - Studios, Ateliers, Büros - haben.

Kreativquartiere in Bayern: "Privater Bereich": Von einem Gang geht es jeweils in die einzelnen Wohnräume, dazu gibt es für jeden der sogenannten Cluster eine Gemeinschaftsküche.

"Privater Bereich": Von einem Gang geht es jeweils in die einzelnen Wohnräume, dazu gibt es für jeden der sogenannten Cluster eine Gemeinschaftsküche.

(Foto: Manfred Neubauer)

Interessenten können Gewerbe- und Wohnräume kurz- oder langfristig jeweils einzeln oder in Kombination mieten. So lebt beispielsweise Anna Schölß mit Mann und Kindern in Kochel, arbeitet aber als Künstlerin im Kloster. Bildhauer Richard Brockbank ist aus Schottland nach Schlehdorf gekommen und hat sich hier zusammen mit seiner Frau niedergelassen. Er schätze die spirituelle Atmosphäre, sagt er. Im Gang vor seinem Arbeitsraum sind knorrige Beispiele seiner "Inspirations in Wood" zu sehen.

Alle Bewohnerinnen und Bewohner verfügen über einen eigenen Wohnraum samt Bad und teilen sich in jeweils kleinen Gruppen - hier als "Cluster" bezeichnet - eine Küche. An der gläsernen Eingangstür zu jedem Cluster-Gang hängt der Hinweis "Privater Bereich". Ansonsten stehen allen der Veranstaltungssaal, die Gästezimmer, die ausladenden Gänge, der weitläufige Klostergarten und der Rosengarten offen. Gruppen, Vereine und Unternehmen können Seminarräume, den Speisesaal und die Gemeinschaftsküche nutzen. "Wir sind ein lebendiges Haus", sagt Geschäftsführer Hochholzer. Zuletzt hätten hier eine Lehrerfortbildung, ein Qi-Gong-Kurs und eine internationale Mathematikertagung stattgefunden.

Kreativquartiere in Bayern: Sascha Huth, Künstlername ADinf, erschafft am Computer Musik und Kunst.

Sascha Huth, Künstlername ADinf, erschafft am Computer Musik und Kunst.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der 51-jährige Tontechniker Sascha Huth (Künstlername: ADinf) lebt und wirkt seit zwei Jahren im Kloster. Er hat sich an diesen Ort herangetastet, war zunächst nur für einen Monat zum Arbeiten aus München nach Schlehdorf herausgekommen, hat die Gemeinschaft kennengelernt und sich entschlossen, sich vorläufig hier einzurichten. "Die Pandemie hat dazu beigetragen", sagt er. In München habe er als Freelancer kaum noch Jobs bekommen. Nun konzentriert er sich "mehr auf den kreativen Teil" seiner Arbeit, gestaltet digital Musik und Kunst. "Es ist das, was ich immer machen wollte", sagt er. Am Bildschirm zeigt ADinf Beispiele seines Schaffens, etwa, wie er Fotos winterlicher Eiskristalle auf einem Bach in Klosternähe und einer gefrorenen Pfütze digital zu einem neuen visuellen Eindruck verfremdet. Das Kloster eigne sich hervorragend zum Abschalten, sagt Huth, "der große Garten, die weiten Gänge". Und halb im Scherz erklärt er: "Der Gemeinschaft entkommt man ja nicht." Ob ihm die Großstadt fehle? "Selten."

Für Anna Schölß schließen Rückzug und pulsierendes Leben einander in Schlehdorf nicht aus. Sie wolle die zeitgenössische Kunst ins Blaue Land holen und damit eine kulturelle Brücke bauen zwischen Stadt und Land, sagt sie. "Ich wünsche mir, dass, ähnlich wie damals die Avantgarde zu Zeiten des Blauen Reiters in diese Region kam, wieder neue Strömungen durch die Verknüpfung von Stadt- und Land entstehen." Das Cohaus sei schon weit über die regionale Kunstszene hinaus bekannt und ziehe international renommierte Künstlerinnen und Künstler an. So war an den "Transformationen 2022" der Brite Daniel Man mit einer "künstlerischen Intervention" beteiligt und die in Sammlungen von Paris bis New York vertretene Jorinde Voigt mit einer Zeichnung. Für Schölß ist das Kloster "der ideale Ort, um Kunst zu zeigen und durch Kunst Transformation zu initiieren, bei den Besucher*innen und bei den Akteuer*innen und am Ort selbst".

Das Cohaus-Konzept stoße in ganz Deutschland auf interessierte Nachfragen, sagt der Geschäftsführer. Dass die 20 bis 30 Quadratmeter großen Wohnräume mit Betriebskostenpauschale monatlich zwischen 490 und 917 Euro kosten und damit nicht gerade günstig sind, erklärt Hochholzer so: Die Wogeno habe ein 300 Jahre altes Gemäuer übernommen, bei dem der Brandschutz zu modernisieren war und allenthalben der Denkmalschutz zu berücksichtigen sei. Außerdem bekomme, wer hier ein Zimmer miete, ein Paket an Zusatznutzen, von der Gemeinschaftsküche bis zu Events.

Kreativquartiere in Bayern: Johannes Hochholzer ist Geschäftsführer des Cohauses.

Johannes Hochholzer ist Geschäftsführer des Cohauses.

(Foto: Manfred Neubauer)

Der Geschäftsführer steht in dem gut siebzig Quadratmeter großen "Raum Kochelsee". An einer Stirnwand hängt zwischen zwei hohen Fenstern ein abstraktes Gemälde von Anna Schölß, ansonsten ist das Zimmer mit dem hellen Parkett einladend leer. "Wir scherzen immer, was uns noch fehlt", sagt Hochholzer: "Ein Steuerberater und ein Kloster-Friseur." Da würde ADinf widersprechen: "Noch mehr Künstler wünsche ich mir hier."

www.cohaus-schlehdorf.de/ und www.schlehdorf.org

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