Schleckerfrau auf Arbeitssuche:"Was soll ich denn im Internet?"

24.000 Verkäuferinnen hat die Schlecker-Pleite arbeitslos gemacht, viele von ihnen sind immer noch verzweifelt auf Jobsuche. Mit 47, ohne E-Mail geschweige denn Computer, und dann auch noch in Teilzeit ist es besonders schwer.

Beate Wild

Dass es nun auch sie treffen wird, hat Monika Hibler-Hofer am 1. Juni erfahren. Es ist der Tag, an dem bekannt wird, dass die Drogeriekette Schlecker nicht gerettet wird. Auf deren Werbung anspielend titeln die Zeitungen: "For you, vorbei!" Und Monika Hibler-Hofer, die Schlecker-Verkäuferin aus Isen, denkt sich: Wird sich schon was Neues finden.

Monika Hibler-Hofer

Monika Hibler-Hofer vor der Erdinger Arbeitsagentur: Mehr als 20 Jahre hat sie bei Schlecker gearbeitet. Jetzt sucht sie einen neuen Job.

(Foto: Beate Wild)

Doch nun ist sie bei Klaus Katzschner gelandet, einem bedächtig redenden Herren, der mit seinem dunkelblauen Blazer und dem grauen Bart eher wie der Pilot einer Airline aussieht als wie der Chef der Arbeitsagentur Erding. "Bei älteren Bewerbern ist es schwierig", sagt Katzschner und blickt hinüber zu Hibler-Hofer. 47 Jahre, das sei auf dem Arbeitsmarkt schon alt. Für viele Firmen: zu alt.

Er reicht ihr einen Zettel über den Tisch. Es ist eine Liste von 30 Jobbörsen im Internet. Sie haben Namen wie Monster, Jobpilot, Stepstone. "Hier müssen Sie suchen", sagt Katzschner. Hibler-Hofer starrt auf das Papier. "Ich war noch nie im Internet", sagt sie nach einer Pause. Ihre Hobbys sind Schwimmen, Yoga und Stricken. "Was soll ich denn im Internet?"

"Hier inserieren die Firmen, hier findet man die offenen Stellen."

"Ich dachte, Sie vom Arbeitsamt helfen mir?"

"Von den meisten Jobangeboten erfahren wir gar nichts."

Begonnen hat alles im vergangenen Oktober

Es war im vergangenen Oktober, als Monika Hibler-Hofer sich zu wundern begann. Da hat sie gerade ihr 20. Dienstjubiläum hinter sich. Und nun werden plötzlich Bestellungen nicht geliefert, manche Artikel sind nicht auf Lager. Sie kann die Regale in ihrer Filiale in Isen nicht mehr auffüllen. Die ist ein kleiner Laden direkt an der Hauptstraße. Daneben gibt es einen Friseur, eine Tankstelle und einen Bäcker. Viel ist nicht los in dem 5000-Einwohner-Ort im Landkreis Erding. Die Leute in Isen kennen Hibler-Hofer. Und Hibler-Hofer kennt sie.

"Ich war doch glücklich und zufrieden", erzählt die 47-Jährige und kramt in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Sie schnäuzt sich geräuschvoll und holt tief Luft. "Eine ältere Kundin ist dreimal die Woche gekommen, auch wenn sie gar nichts einkaufen wollte." Nur zum Reden. "Die hat mich durch den ganzen Laden begleitet, wenn ich beim Einräumen der Regale war, einfach so."

Die Kunden fangen zu diesem Zeitpunkt im Oktober an, Fragen nach der Zukunft von Schlecker zu stellen. Gerüchte sind im Umlauf, die Kolleginnen tauschen Vermutungen aus. Hibler-Hofer schenkt dem Ganzen wenig Beachtung, sie ist davon überzeugt, dass die Schwierigkeiten der Kette vorübergehen werden. Läuft ja schließlich schon seit 20 Jahren alles glatt, was soll denn groß passieren?

Dann wird es März. 11.000 Schleckerfrauen erhalten die Kündigung. Hibler-Hofer ist nicht dabei. In Isen füllt sie weiter die Regale auf, plaudert mit ihren Stammkunden, spult ihren Arbeitsalltag routiniert herunter. Klar, Schlecker steckt in einer Krise, doch da wird sich schon eine Lösung finden. Vielleicht ein Investor, der die marode Drogeriekette übernimmt? Wird schon irgendwie weitergehen.

Bis es dann doch nicht mehr weitergeht und am 1. Juni die Nachricht kommt: Ende Juni ist Schluss.

Nun sind die Daten von Monika Hibler-Hofer im Computer der Arbeitsagentur gespeichert. Eine Sachbearbeiterin hat sie nach allem Möglichen gefragt. Schulabschluss? Hauptschule. Berufsausbildung? Bäckereifachverkäuferin. Führerschein? Ja. Das ist gut, denn Mobilität ist am Land sehr wichtig.

Was nicht so gut ist: Dass Hibler-Hofer nur Teilzeit, maximal 30 Stunden, arbeiten will. Das schränkt die Auswahl schon wieder ein. "In Frage kommen Stellen im Verkauf", sagt Arbeitsamts-Chef Katzschner. Umschulen zur Erzieherin, wie es die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat? Das sei nur was für "Vermittelbare", erklärt Katzschner. Voraussetzung seien mittlere Reife und das entsprechende Alter. Also wesentlich jünger als 47.

Ein Bewerbertraining soll helfen

Ein Jahr lang bekommt Hibler-Hofer nun Arbeitslosengeld. In dieser Zeit muss sie einen neuen Job finden. "Wer einmal in Hartz IV gelandet ist, kommt dort schwer wieder raus", sagt Katzschner. Hibler-Hofer fächelt sich Luft zu. Ein achtwöchiges Bewerbertraining soll ihr helfen, sich im Netz für Jobs zu bewerben. Das beginnt aber erst in drei Monaten. Zu Schlecker kam sie vor zwanzig Jahren durch eine Freundin. Eine schriftliche Bewerbung musste sie damals nicht abgeben.

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Die meisten Jobs findet man heute über Jobbörsen im Internet.

(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

Sechs Stellenangebote aus der Datenbank des Arbeitsamtes bekommt Hibler-Hofer dann doch mit nach Hause. Darunter Jobs als Lagerarbeiterin, als Aushilfe bei einer Tankstelle und als Einräumhilfe. Die meisten suchen Vollzeitkräfte. Keine der Stellen passt so richtig zu ihr. Außerdem wird ihr bei der Arbeitsagentur gesagt: Es gebe nichts in ihrem "Stundenlohnbereich". Sprich: Alle diese Jobs sind schlechter bezahlt, als ihr alter bei Schlecker es war. Und das mag was heißen.

Nach dem Gespräch steht Hibler-Hofer vor der Arbeitsagentur. Hastig zieht sie an ihrer Zigarette. Ihre Finger trommeln auf den lilafarbenen Ordner mit den Unterlagen, die man ihr mitgegeben hat. Die Augen glitzern feucht. Zwei Wochen ist es da her, dass sie ihren kleinen Laden zum letzten Mal aufgesperrt hat. Am Ende stand nur noch Babymilch und Gartensamen in den Regalen. Ein schlimmer Anblick. Fast wie im sozialistischen Kuba. "Ich vermisse meine Kunden", sagt sie leise.

Zwei Wochen später gibt es Hoffnung

Zwei Wochen später, es gibt Neuigkeiten. "Ich habe mich bei drei Bäckereien und bei einem Discounter beworben", sagt Hibler-Hofer. Und fügt dann lachend hinzu: "Besser gesagt, mein Sohn hat die Bewerbungen für mich geschrieben." Der 22-Jährige ist "fit im Internet", wie die Mutter sagt. "Er hat auf den entsprechenden Seiten nach Jobs gesucht, er kennt sich da gut aus." Auch die Bewerbungsschreiben hat er formuliert. Hibler-Hofer musste nur noch unterschreiben. Damit ist der Anfang gemacht, die Briefe sind raus. "Jetzt muss ich auf die Antworten warten", sagt sie. Zumindest zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, wäre schon mal ein erster, kleiner Erfolg.

Und da ist ja noch die Stelle, von der sie durch eine Freundin erfahren hat - sozusagen auf die analoge Art. Im Nachbardorf sucht eine Bäckerei vielleicht eine Verkäuferin. Eine der Angestellten soll schwanger sein, der Chef weiß allerdings noch nichts davon. Doch Hibler-Hofer hat ihren Sohn schon mal eine Bewerbung hinschicken lassen. "Könnte doch sein, dass es auch so klappt", sagt sie. So ganz ohne Internet.

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