Schläger aus Küsnacht:"Zwischen Mitgefühl und totaler Abscheu"

Schweizer Schüler schlugen in München fünf Menschen grundlos zusammen. Max Heberlein, Schulpräsident in Küsnacht, über die Folgen der Tat.

P. Mattheis

Der Gewaltexzess Schweizer Schüler, die auf einer Klassenfahrt in München fünf Menschen völlig grundlos brutal zusammengeschlagen haben, hat auch in der Schweiz Entsetzen und Fassungslosigkeit ausgelöst. Das Thema beherrschte Tage lang die eidgenössischen Medien. Die SZ sprach mit Max Heberlein, dem Schulpräsidenten in Küsnacht, über die Folgen der Tat und die jungen Schläger.

Max Heberlein

"Natürlich bekomme ich auch viele schlimme E-Mails und Briefe": Die Tat der Schweizer Jugendlichen, die die Weiterbildungs- und Berufswahlschule in Küsnacht besuchen, hält den Schulpräsidenten Max Heberlein noch immer in Atem.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Wie sahen die letzten Tage bei Ihnen aus?

Heberlein: Seit Donnerstag vergangener Woche habe ich praktisch nichts mehr anderes getan, als für die Presse zu arbeiten. Einerseits akzeptiere ich natürlich den Anspruch der Presse auf Information. Aber nach vier oder fünf Tagen frage ich mich schon manchmal, ob das noch verhältnismäßig ist.

SZ: Haben Sie sich über die Berichterstattung geärgert?

Heberlein: Ja. Zum Teil wurden Sätze aus dem Zusammenhang gerissen und das, was ich eigentlich sagen wollte, verfälscht. Mit dem Satz "Ein oder zwei Bier können auch 16-Jährige trinken" wollte ich zum Ausdruck bringen, dass die Täter noch zurechnungsfähig waren. Daraus wurde der Titel mit dem Tenor: Schulpräsident verharmlost Alkohol.

SZ: Wie waren die letzten Tage in der Schule? Lief der Unterricht weiter?

Heberlein: Die Klasse kehrte Mittwochnacht aus München zurück. Am Freitag habe ich mit Unterstützung dreier Behördenkollegen zuerst mit der betroffenen Klasse gesprochen. Am Montag wurde dann die ganze Schule in Form einer Ansprache durch den Schulleiter, der bis Freitag spät in München weilte, über die Vorfälle informiert. Es waren sehr emotionale Momente, einige weinten.

SZ: Wie gehen die Schüler damit um?

Heberlein: Es ist komplex. Die Jugendlichen verabscheuen die Tat. Gleichzeitig können sie nicht verstehen, wie ihre Klassenkameraden oder Freunde zu so etwas fähig waren. Auch die Erwachsenen verstehen dies ja nicht. Es schwankt zwischen Mitgefühl mit dem Täter und totaler Abscheu. Sie sind einerseits schockiert - die Tat lässt sich ja in keiner Weise entschuldigen. Auf der anderen Seite denken sie an die Kollegen und Freunde, die im Gefängnis sitzen. Sie sind ja das ganze Jahr gut miteinander ausgekommen, haben in den Pausen Streetball gespielt. Das ist ein emotionaler Zwiespalt.

"Besonders korrekt, höflich und bemüht"

SZ: Wie waren die Reaktionen von anderen Eltern und Bürgern?

Heberlein: Die meisten sind perplex und schockiert. Viele sprechen auch den Eltern der Täter Anteilnahme aus. Auch für sie war es ja ein Schicksalsschlag. Aber natürlich bekomme ich auch viele schlimme E-Mails und Briefe. In einem stand, die Täter sollten ins KZ und die Schulpflegebehörde gleich mit dazu.

SZ: Macht man der Schulleitung konkrete Vorwürfe?

Heberlein: Ernsthafte Vorwürfe gibt es nicht. Wir konnten ja glaubhaft machen, dass wir von den Vorstrafen der Täter keine Ahnung hatten. Ich habe nie einen Strafregisterauszug gesehen. Es ist zudem illusorisch, von Jugendlichen zu verlangen, beim Aufnahmegespräch Fehltritte von sich aus offenzulegen.

SZ: Alle drei Täter hatten bereits Vorstrafen, einer wegen Raub, der andere wegen Körperverletzung.

Heberlein: Davon habe ich auch in der Zeitung gelesen. Aber ich glaube, dass wir uns trotz allem hüten müssen, jetzt gegenüber allen Jugendlichen misstrauisch zu werden und in einer Weise Auskünfte über sie einzuholen, wie dies nur die Strafbehörden tun müssen - so tragisch dieser schreckliche Vorfall auch ist.

SZ: Wie fanden sich die drei in der Schule und in der Klasse zurecht?

Heberlein: Sehr gut eigentlich. Es gab hier keine Schlägereien auf dem Pausenhof oder so etwas. Die drei waren sehr beliebt unter ihren Mitschülerinnen und Mitschülern - zumindest berichten das die Lehrer. Nur einer war etwas schwierig. Er kam manchmal zu spät oder hatte die Hausaufgaben vergessen. Aber nichts, was irgendwie in Richtung Gewalt oder Aggression gedeutet hätte. Die anderen beiden sind aufgefallen, weil sie besonders korrekt, höflich und bemüht waren. Zwei von den dreien hatten auch schon eine Lehrstelle als Friseur und Autospengler.

"Ich wüsste nicht, was einem hier fehlt"

SZ: Das macht die Tat noch unerklärbarer.

Heberlein: Ja.

SZ: Haben Sie trotz der Ungeheuerlichkeit irgendeine Erklärung, wie es zu dieser Aggression kommen konnte?

Heberlein: Nein, diese Frage müssten Sie einem Psychologen stellen. Ich habe mir in den letzten Tagen sehr viele Gedanken gemacht. Ich kann es nicht erklären. Langeweile kann es nicht gewesen sein. Auf dem Schulausflug in München hatten sie ein dichtes Programm: Besuch von Kulturdenkmälern, Museen, Stadtrundfahrt und ein Orientierungslauf. Sie waren also gefordert. Weil am Montag und Dienstag alles so reibungslos verlief, stellte man ihnen nach dem Nachtessen den Abend zur freien Verfügung.

SZ: Wie lebt man als Jugendlicher hier an der "Goldküste" am Zürichsee?

Heberlein: Es gibt hier viele Freizeitmöglichkeiten, vor allem Sportangebote, in einer Viertelstunde ist man mit der S-Bahn in Zürich. Ich wüsste nicht, was einem hier fehlt. Außerdem verprügelt man einen Menschen doch nicht aus Langweile. Aber es ist müßig darüber nachzudenken, dazu müssten sich Fachleute intensiv mit den dreien auseinandersetzen.

SZ: Hatten Sie Kontakt mit den Eltern?

Heberlein: Letzten Sonntag haben wir die Eltern zusammen mit einer Psychologin zu einem Gespräch eingeladen. Das war, wie man sich vorstellen kann, sehr emotional. Es ging zum Teil um banale, akute Probleme, beispielsweise wann sie ihren Sohn sehen könnten und um den Kontakt zum Verteidiger, aber natürlich vor allem um sinnträchtigere Fragen.

SZ: Wie geht es jetzt weiter? Welche Konsequenzen ziehen Sie?

Heberlein: Wir haben eine sehr schwierige und intensive Zeit hinter uns. Solche Zeiten sind nicht gut, um darüber nachzudenken, was jetzt besser gemacht werden kann. Aber wir werden das in der nächsten Zeit tun. Dazu gehört eine Analyse der Geschehnisse, die Frage, ob wir weiterhin solche Projektwochen durchführen sollen und auch, ob es Versäumnisse der Lehrer gegeben hat. Die Staatsanwaltschaft hat zwar festgestellt, dass ihnen nichts vorzuwerfen ist, und darüber bin ich sehr froh. Trotzdem wird es intern noch eine Aufbereitung geben. Dafür aber braucht es Zeit und Ruhe. Das Schuljahr geht ja mit dieser Woche zu Ende. Wir müssen in die Zukunft blicken, ohne das Geschehene zu vergessen.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: