Schickeria in München:Hauptsach', mia war'n in

Früher feierten verwöhnte Adlige und schöne Adabeis in München - und die berühmtesten Klatschreporter der Republik berichteten darüber. Tempi passati, aus und vorbei. Inzwischen sind die legendären Abende harmlosen Glitzer-Events gewichen.

Philipp Crone und Christian Mayer

TV-Klassiker: ´Kir Royal"

Szene aus Helmut Dietls "Kir Royal" - einem Format, in dem die Münchner Schickeria eine wesentliche Rolle spielte.

(Foto: dpa)

Es gab mal eine Zeit in München, da konnten sich Leute wie Kay Wörsching wie kleine Könige fühlen, Könige der viel beschworenen und noch lieber belächelten Schickeria. In den frühen Achtzigern, aber auch noch in den neunziger Jahren galt Kays Bistro, das leicht pompöse, dem gehobenen Kitsch gewidmete Lokal am Viktualienmarkt, als Treffpunkt dieser ganz besonderen Gesellschaft.

Wer in dieses prachtvoll illuminierte, mit Champagnerkübeln, Filmplakaten, Zierspiegeln und Plüschsofas dekorierte Prominentenstüberl eintrat, traf oft auf Gleichgesinnte. Im Lauf der Jahrzehnte wurde aus dem Bistro immer mehr ein Museum, ein Archiv längst vergilbter Kolumnen: Hatte nicht schon Soraya, die einstige persische Kaiserin, hier Hof gehalten? Und saß nicht der große Leonard Bernstein, der so gerne den Gasteig niederbrennen wollte, am weißen Flügel? Gina Lollobrigida, Rod Stewart, Alain Delon, Mick Jagger, Gianni Versace, Boris Becker und Barbara Valentin, sie alle waren dabei, in den goldenen Jahren der Münchner Schickeria, die in Kays Bistro ihr Refugium besaß.

Schickeria - dieser Begriff steht heute für eine versunkene Epoche, für eine Zeit, in der München als Stadt des schönen Scheins galt. Wer diesen Begriff geprägt hat, ist schwer zu belegen, möglicherweise war es der für seinen Wortwitz bekannte Journalist und Schriftsteller Gregor von Rezzori, der schon 1959 im Spiegel über den deutschen Amüsierbetrieb herzog, eine Gruppe von reichen Industriellen, verwöhnten Adligen und schönen Adabeis.

Diese Schickeria fand spätestens nach den Olympischen Spielen von 1972 eine dauerhafte Bleibe, und es gab ja damals gute Gründe für die Annahme, dass München auch gesellschaftlich die heimliche Hauptstadt sei. Hier schlug das Herz des deutschen Films, hier produzierten internationale Musiker ihre Platten, hier schrieben die berühmtesten Klatschreporter der Republik, hier strebte der junge Koch Eckart Witzigmann nach den Sternen. In München wurde auch eigens ein neuer Beruf etabliert, damit sich die Schickeria im Glauben wähnen konnte, wichtig zu sein: der Türsteher-Gorilla. Schließlich sollte ja nicht jeder überall reinkommen dürfen.

Der Maître de Plaisir hieß damals Gerd Käfer. Der findige Unternehmer kam als Erster auf die Idee, die stark gewachsenen Ansprüche seiner Klientel mit einem professionellen Dienstleister-Team zu befriedigen. Weg mit dem Käse-Igel, her mit den Langustenschwänzen: Noch heute kann Käfer viele Geschichten aus der Zeit erzählen, als Gastgeber wie Gunter Sachs oder Friedrich Karl Flick den Ton angaben und es noch keine Controller gab, die den Champagner-Zufluss drosselten.

Unterhalb dieser Superhedonisten rangierten die etwas weniger potenten Schickeria-Größen bis hin zum Modehändler Rudolph Moshammer aus der Maximilianstraße, der selbst über den Tod hinaus als boulevardeskes München-Klischee vermarktet wird.

Vor diesem Hintergrund ist es schon bemerkenswert, dass nun ausgerechnet Michael Käfer, der Sohn des Partykönigs, den Tod der Schickeria in einem Zeitungsinterview verkündet hat. Das klingt erst mal schockierend, vor allem für die in die Jahre gekommene Goldknopf-Fraktion.

Doch im Grunde verkündet der Gastronom nur, was ohnehin alle wissen, weil sie es auf jeder Party leidvoll erfahren: Die große Sause ist vorbei, statt Kaviar-Theken, Limousinen-Flotten und Hollywood-Importen gibt es heute Häppchen und C-Promis. Wer etwas auf sich hält, feiert lieber privat oder aber ganz exklusiv und in Abwesenheit von Kameras, etwa bei den angesagten Fördervereinen der großen Museen.

Produktpräsentation statt Party

Das fulminante Erfolgsrezept Schickeria ist längst zu einer globalen PR-Strategie für Unternehmen geworden. Was damals die schlemmende Kaviar-Clique war, die sich feierte, hat sich heute in Firmenfeste verwandelt, die sich lohnen müssen. Wer ein Auto, ein Garagentor, eine Uhr oder eine Spielekonsole an Münchens Mann und Frau bringen will, plant ein Glitzer-Event. Wer einen Film ins rechte Licht rücken will, rollt den roten Teppich aus. Der Teppich ist das Symbol für den Zweck der meisten Veranstaltungen: Der Weg ist das Ziel, nicht das Fest; und auf diesem Weg ist alles straff durchorganisiert.

Wo es früher noch um das Hier und Jetzt ging, darum, aus einem normalen Abend einen legendären zu machen, geht es heute um das Danach, um die Verwertung, in Zeitungen, Magazinen, Fernsehsendungen. Zehn Sekunden, in denen Veronica Ferres über ihre Fahrfähigkeiten spricht und im Hintergrund ein Auto-Logo zu sehen ist, sparen enorme Werbekosten. Und wenn Diane Kruger eine neue Uhr trägt und diese feierlich enthüllt, verbreitet sich die Nachricht klickartig auf allen Kanälen.

Die Kategorie der festlichen Produktpräsentation hat dabei beträchtliche Nebenwirkungen. Schon seit Jahren sprechen Gäste auf roten Teppichen fast ausschließlich Sinnfreies in die Mikrofone, um bloß nicht kritisch über die neue Zahnbürste, das Parfum oder die Jeans zu reden; man könnte ja nicht wieder eingeladen werden. Fußballprofis nach dem Spiel reden nicht anders.

Apropos: Erfolgreiche Fußballprofis zählen inzwischen zu den populärsten Gästen. Bei der nicht nachlassenden Schwemme an Kaum-Prominenten liegen Ribéry, Schweinsteiger und Co. hoch im Kurs. Sie sind eine willkommene Abwechslung zur Masse der Moderatoren dieser Stadt.

Wer auch nur einmal vor der Kamera stand, wird interviewt, während etwa der alte Adel, wenn er denn zugegen ist, oft gar nicht mehr erkannt wird. Insofern ist es ein wenig wie damals, ein immer gleicher Kreis an Gästen, nur ist der heute aufgebläht und voller Leute, die sich herzlich wenig zu sagen haben. Oft sind deshalb auch die Feiern schon nach einer knappen Stunde wieder vorbei: Das Wichtigste, der Gang über den Teppich, ist da längst absolviert.

Heute spricht man von der Münchner Society; das klingt edler und internationaler als es ist. Doch manchmal blitzen sie noch auf, die besonderen Schickeria-Momente: Die mehr oder minder Prominenten sind ganz bei sich, weil alle Fotografen gegangen und die Scheinwerfer und Foto-Handys ausgeschaltet sind. Dann entzündet sich unverhofft der Funke von früher, dann wird der Abend mit etwas Glück lang und vielleicht sogar legendär.

Lesen Sie hier, wo die Überbleibsel der Münchner Schickeria heute verkehren.

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