Schausteller:Am Schichtl zeigt sich die Ambivalenz des Oktoberfests

"Schichtl" Manfred Schauer auf dem Oktoberfest in München, 2014

Der Schichtl alias Manfred Schauer auf der Wiesn.

(Foto: Florian Peljak)

Die Wiesn als reine Gelddruckmaschine für Wirte? Die Entwicklung sieht der Besitzer des traditionsreichen Schaustellerbetriebes kritisch - und profitiert trotzdem selbst davon.

Von Kassian Stroh

Selten genug, dass ein Werbespruch zum geflügelten Wort wird. Von großen Konzernen vielleicht, aber von einem einzelnen Schausteller? "Auf geht's beim Schichtl" tönt es seit 148 Jahren auf dem Oktoberfest beim gleichnamigen Varieté-Theater, "auf geht's beim Schichtl" sagt der Bayer, wenn irgendeine, gleich welche Gaudi losgeht. So wie an diesem Samstag die Wiesn, das größte Volksfest der Welt.

Der Schichtl, in dessen Rolle Manfred Schauer, 64, jedes Jahr für zwei Wochen schlüpft, gehört zum Kern der Wiesn. Es ist deren ältestes noch existierendes Geschäft, ein kleines Varieté, dessen nicht einmal halbstündige Show ein paar skurrile Gesangs- und Tanzeinlagen beinhaltet und die in der scheinbaren Enthauptung eines Besuchers durch den bleichen Henker Ringo gipfelt.

Es ist ein anstrengendes Geschäft für Schauer: Er und seine Truppe geben bis zu 25 Shows am Tag, er selbst heizt das Publikum auf Bairisch an mit flotten, oft über die Jahre immerselben Sprüchen, Witzen und Wortspielereien. Scheu vor zu wenig Tiefgang zeigt er nicht, was zählt, sind schlicht Unterhaltung und Aufmerksamkeit. Und weil der Schichtl solch eine Tradition hat und zugleich heraussticht aus all den riesigen Bierzelten und Fahrgeschäften, die mit Beschleunigungswerten von Kampfflugzeugen aufwarten, ist er das Gesicht der Wiesn.

Auf die kam Schauer freilich eher durch Zufall. Das Varieté wurde 1869 von Michael August Schichtl gegründet und blieb quasi ein Familienbetrieb - bis er vor 32 Jahren vor dem Aus stand. Schauer, der bis dahin mit der Schaustellerei nichts am Hut hatte, sondern sein Geld als Tannenhändler in der Münchner Großmarkthalle verdiente, hörte davon, bewarb sich kurzerhand und bekam den Zuschlag. "Der Schichtl ist mir passiert", sagt er rückblickend. Die wichtigste Voraussetzung, ein loses Mundwerk, brachte er mit, den Rest lernte er - und er modernisierte das Theater, brachte schnellere und lautere Musik, um nicht unterzugehen in dem Gedröhne um ihn herum.

Am Schichtl zeigt sich gut die Ambivalenz dieses gigantischen Fests: Für manche Wirte kommt es einer Gelddruckmaschine gleich, manche kleine Schausteller haben durchaus zu kämpfen. Bei ihnen ist am Abend oft nichts mehr los, während in die Bierzelte keiner mehr hineinpasst.

Auch das Schichtl-Theater allein trägt sich nicht, weshalb die Stadt München Schauer seit elf Jahren zusätzlich eine kleine Wirtschaft aufbauen lässt - mit 120 Plätzen nur, die aber meist besser gefüllt sind als die schmalen Holzbänke in seinem Theater nebenan. Überhaupt verdient Schauer sein Geld vor allem mit Dingen wie Moderationen oder Firmenfeiern - der Schichtl ist dafür eine gute Marke.

Die Entwicklung der Wiesn sieht er kritisch, er nennt sie gerne "Intersuff" und spöttelt über den allgemeinen Trachten-Verkleidungsklamauk. Damit bedient er eine gewisse Sehnsucht nach dem Alten, die auch die Stadt erkannt hat: Seit 2010 betreibt sie am Rand des Festareals die Oide Wiesn, ein Miniatur-Oktoberfest mit historischen Fahrgeschäften, ohne Massenbesäufnis, ein umzäuntes Traditionsreservat. Schauer wollte mit dem Schichtl auch dorthin, dort wäre sein Publikum eigentlich, die Stadt ließ ihn aber nicht: Für diese Oase der Beschaulichkeit war und ist er dann doch zu krachert. So steht er auch weiter auf der großen Wiesn, gleich links am Beginn der Schaustellerstraße.

Dort begrüßt er nun jeden Morgen um neun alle Besucher und verabschiedet sie abends auch wieder - über eine das ganze Festgelände umfassende, zentral gesteuerte Lautsprecheranlage, die in diesem Jahr erstmals installiert wurde. Sechs verschiedene Texte hat Schauer im Auftrag der Stadt auf Band gesprochen; er hat zuvor aber deren Beamtendeutsch-Sätze zu den Sicherheitshinweisen "ins Sprechbare übersetzt", wie er sagt. Denn: "Schauer macht lustig." Er ist jetzt nicht mehr nur das Gesicht, sondern auch die Stimme der Wiesn.

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