Süddeutsche Zeitung

Axel Milberg im Gespräch:"Ein anderer Mensch"

Axel Milberg beschäftigt ein Lebensthema: "die Aggression". Beim ersten SZ-Kultursalon erzählt der Schauspieler, warum das so ist.

Interview von Susanne Hermanski

Mord und Totschlag sind das Metier eines Fernsehkommissars - Axel Milberg ist einer der bekanntesten Tatort-Stars der Republik, und als Schauspieler hat er in zahllosen Kinofilmen, für Hörbücher und auf der Theaterbühne schon viele Figuren verkörpert, die selbst tiefe menschliche Abgründe bergen. Gefragt, über welches Thema er im "SZ Kultursalon" gerne sprechen würde, sagte er spontan: "Aggression". Symbolträchtiger Ort für dieses Gespräch: der Hochbunker an der Ungererstraße, am Rande des Nordfriedhofs. Stefan Höglmaier, Chef der Firma Euroboden, hat den NS-Bau komplett umbauen lassen - zu einer Architekturgalerie in den unteren Stockwerken und Wohnräumen in den oberen, in denen trotz mancherlei Luxus die Geschichte des Ortes immer noch sichtbar ist. Das Gespräch, das Susanne Hermanski mit Axel Milberg am Mittwoch beim SZ-Kultursalon geführt hat, dokumentieren wir im Folgenden in Auszügen.

SZ: Folgende Szene: Der Karikaturist Luis Murschetz fährt die Prinzregentenstraße herunter. Ein Herr fühlt sich geschnitten. Im Stau am Friedensengel hat der ihn eingeholt, steigt aus dem Wagen und brüllt durch die Seitenscheibe unflätige Dinge. Murschetz lässt langsam die Scheibe runter, sagt: "Und ich wünsche Ihnen auch einen guten Tag." Welcher der beiden Typen sind Sie?

Axel Milberg: Ich verlasse bei Ärger im Straßenverkehr ungern mein Fahrzeug, deswegen bin ich der Dritte. Die Geschichte erinnert mich aber an eine Situation, als ich noch an den Kammerspielen war. Wie immer knapp zur Vorstellung fahre ich auf dem Altstadtring, und ein Ehepaar lässt mich die Spur nicht wechseln. Es kommt zu entsprechenden Äußerungen, und haaah, daaah, waaah, was weiß ich. Ich spiele die Vorstellung - ganz gut, glaube ich. Beim Schlussapplaus vorne an der Rampe sehe ich in die erste Reihe. Da sitzt das Paar und klatsch so gelangweilt es nur geht. Also: Aufgepasst im Straßenverkehr!

Jüngst habe ich mit einem Plastischen Chirurgen gesprochen. Der sagte, in seinem Job brauche man zwei Fähigkeiten: die nötige Einfühlsamkeit zu erkennen, wie du einem Menschen helfen kannst, und gleichzeitig genug Aggressivität, um in ihn reinzuschneiden. Welche Eigenschaften muss ein Schauspieler haben?

Das ist eine gute Beschreibung. Auch allgemein zum Thema Aggression. Wir sind uns schnell einig, Aggression sei etwas Schlimmes und Zerstörerisches. Aber es gibt auch Jesper Juul, den Familientherapeuten, der beschreibt, wie wichtig Aggression für Kinder ist. Das schöpferische Umgehen damit, um Erfahrungen zu machen, um Grenzen zu spüren, ist etwas Positives.

Klassischerweise wird Aggression mit dem männlichen Prinzip verknüpft. Und zurzeit wird viel darüber diskutiert, ob in unserer Gesellschaft Wut & Co zu sehr unterdrückt werden. Wie sehen Sie das?

Ich weiß nicht, inwiefern sich weibliche und männliche Aggressivität überhaupt unterscheiden. Klar ist aber, kein Mensch, der aggressiv ist, sagt: Ich bin aggressiv. Weil er sich immer im Recht fühlt und gute Gründe anführt. Das geht hin bis zum Mörder, der sagt: Der hat mich so gereizt! Wenn wir über das Thema Aggression nachdenken, schauen wir ja auch weniger auf uns als auf das, was es da alles so gibt an Phänomenen, Krieg, Flüchtlingen und Islamischer Staat. Das alles ist für uns unfassbar. Aber sich selbst nimmt man doch eher als nicht-aggressiven Menschen wahr. Und wenn, dann klein und verzeihlich. Dabei gibt es natürlich auch in unserer zivilen Gesellschaft einen unglaublichen Druck gegen den Dampfkessel von unten, der eben nur mühsam kontrolliert werden kann und oft eben nicht. Eingangs sprachen wir über den Straßenverkehr, das ist so ein Kampffeld.

Sie waren neulich beim NSU-Prozess auf der Zuhörerbank. Warum?

Ich habe in einem Dokudrama den Richter Manfred Götzl gespielt. Den habe ich mir angesehen. Was auf Spiegel Online beschrieben wurde - dass er, provoziert durch die Vertreter der Nebenklage, die Fassung verloren hat -, hat an diesem Tag gegen 14.30 Uhr stattgefunden. Vormittags dachte ich noch, der ist ja ganz sachlich, ganz toll, und nach der Mittagspause ist ihm dann die Hutschnur geplatzt. Dieser Prozess ist eines der wichtigsten Themen derzeit in Deutschland. Bei dem wird vieles verhandelt - nicht nur gegen die Angeklagten.

Wie kommt es in einer so vielfältigen und wohlhabenden Gesellschaft zu solchen Geisteshaltungen?

Ich habe das Thema Aggression vorgeschlagen, weil es mich persönlich so beschäftigt, dass ich ein Leben lang damit nicht fertig werden kann. Ich stehe gebannt vor dem Phänomen. Als ich zwölf, 13 war, hab' ich oft nachts wach gelegen, weil ich gehört hatte, was Menschen anderen Menschen antun. Ich sah in der Fußgängerzone meiner Heimatstadt große Fotos von Folteropfern, Kriegsopfern und las und las. Selbst bei Karl May. Ich war in meiner nächtlichen Fantasie weder der Täter noch das Opfer. Ich war nur staunend davor. Der Mensch tut Dinge, die ich mir selber gar nicht mal vorstellen kann. Das hat sich im Laufe des Erwachsenenlebens in meiner Arbeit immer wiedergefunden. Ich habe immer wieder auch bösartige, unverständliche Figuren gespielt.

In dem Zusammenhang gibt es ein altes Schauspielerproblem: Sie werden ja oft identifiziert mit diesen Figuren - bis hin zum Kindermörder. Viele Ihrer Kollegen haben mir erzählt, wie wenig der Mensch auf der Straße dabei unterscheidet und wie stark die Aggressionen - auch die Liebe und vieles andere - auf einen Prominenten gezogen werden, wenn er sich darauf einlässt. Haben Sie auch solche Erfahrungen gemacht?

Nein, nie. Die Erfahrungen waren immer freundlich und positiv. Außer bei meiner Mutter. Es ist schon ein bisschen länger her, dass sie am Telefon zu mir sagte: "Ach, Axel, musst denn immer so was spielen? Auf dem Wochenmarkt werde ich angesprochen: ,Er spielt ja gut, aber. . ' - Spiel doch einmal einen Prinzen oder so." Dann habe ich für Atze Brauner "Babij Jar" gespielt, den Oberst Blobel, einen der Allerschlimmsten, der in drei Tagen in Kiew 33 000 Juden in eine Falle gelockt hat, die dort dann umgekommen sind. Ich saß in einer Drehpause und schaute so runter an meiner Naziuniform, als mein Handy klingelt. "Ja, Axel, hier ist deine Mutter, wo bist du denn, das klingt ja so weit weg. - Ich bin in Minsk. - Was machst du denn da? - Ja, ich drehe einen Film! - Nette Rolle? Freundliche Menschen? - Ja, ja, alles bestens." Da hatte ich einfach nicht das Herz, die Wahrheit zu sagen. Und ich dachte in dem Moment: Vielleicht war das vor 70 Jahren ganz ähnlich, dass Menschen da saßen in Uniform und Karten nach Hause schrieben. Und darauf stand dann vielleicht: "Die Mädchen hier in Kiew sehen großartig aus."

Wovor haben Sie Angst?

Ich bin neulich in den sozialen Netzwerken auf eine Nachricht gestoßen, dass in unserem Land mit dem Flüchtlingsstrom schon 4000 IS-Leute eingeschleust worden seien. Ich glaube nicht, dass da etwas dran ist, aber ich habe Angst davor. Das gebe ich zu. Ich habe vor ein paar Tagen mit Sarah Wagenknecht genau diese Zahl besprochen. Und sie sagte mir in ihrer sachlichen Art: "Ich glaube, die kommen mit dem Flugzeug, die müssen nicht mit dem Flüchtlingsstrom und auf Schlauchboten kommen und sich verstecken. Die werden im Moment woanders gebraucht."

Angst und Aggression sind verknüpft. Wer sein Gegenüber in Angst versetzt, tut dies, um dessen absolute Aufmerksamkeit zu haben. Auch Krimis, sogar Theaterstücke funktionieren so. Verdienen Sie Ihr Geld also mit dem Schrecken?

Absolut. Seit frühester Zeit ist das ein Element der Darstellung, dass Schauspieler dem Zuschauer Angst machen. Wir kennen das von der aristotelischen Ethik, wo es Furcht und Elend gibt, die uns praktisch auf Rezept eines Arztes durchjagen, die diese Gefühle von Erschütterung hervorrufen. Alle Säfte, alles fließt danach wieder und wir fühlen uns danach besser. Das ist bis heute der Vorgang des Nightmare on Elm Street, dieses Horrors, bei dem wir stellvertretend für uns eine Figur beobachten, die ihn erleidet. Wir erschrecken mit ihr und sehen ihr bei dem Kampf zu.

Hatten Sie selbst schon einmal richtig Angst?

Ich habe einmal zwei, drei Stunden in einer Nacht auf dem Lande gedacht, diese Nacht werde ich ermordet. Da bin ich einem Typen in die Hände gefallen, der die Seitenscheibe des Wagens, in dem ich saß, mit einem Baseballschläger zertrümmert hat. Ich konnte das Auto nicht bewegen, die Räder drehten an einer Wurzel durch. Ein zweiter, dritter Schlag mit dem Baseballschläger, dann hat er versucht, die Tür aus dem Wagen herauszudrehen, um mir zu zeigen in seinem Wahnsinn, wie kräftig er ist. Das war dieser Anflug von Eitelkeit bei diesem Monster.

Wer war das um Gottes willen?

Meine Recherche ergab später, es war ein Ausbeiner, der im Akkord im Schlachthof gearbeitet hat und am Tag vorher schon seinen einen Hund erschossen hatte. Den anderen, seinen Pitbull, hatte er noch bei sich in dem Auto, in dem er mich verfolgte. Ich stellte irgendwann auf Überlebensmodus, rannte um mein Leben und bin in dieser Nacht davongekommen.

Waren Sie ein Zufallsopfer dieses Kerls oder hatten Sie durch irgendwas seine Aufmerksamkeit erregt?

Es war kein Zufall, es war ein Missverständnis. Der hatte gedacht, ich will in sein Haus einbrechen, das wollte ich nicht. Es war eine Wrong-time-wrong-place-Geschichte - und er neigte nicht zum Diskurs. Zwei Wochen später auf der Wiesn fuhr ich diese Wahnsinnsdinger, die ich sonst meide, weil ich mit den Zähnen klappere. Irgendwann sagte ich mir: Was ist los mit dir? Da geht's 40 Meter in die Tiefe und gleich kippt der Wagen, du sitzt ganz vorne und - gähn! Ich war ein anderer Mensch. Monate später stellte ich eine Verbindung her zu diesen Stunden von Todesangst. Dass der Körper durchflutet war und sich plötzlich alles relativiert hat.

Hat der Adrenalin-Pegel wieder abgenommen?

Er hat leider wieder zu seiner alten Hasenfüßigkeit zurückgefunden. Ich bin eher gern auf der Oidn Wiesn als im Katapult.

Sie haben eine Tüte mitgebracht. Was steckt darin?

Ein Buch, das ich gerade lese zu unserem Thema, und das ich klasse finde: Michael Lüders, "Wer den Wind sät", im Beck-Verlag erschienen, schüttere 170 Seiten. Darin wird uns erklärt, wo der Anfang ist von dem, was sich heute langsam auf uns zu bewegt. Der Islamische Staat beginnt laut Lüders 1953 im Iran mit dem Sturz des damaligen Präsidenten. Die Amerikaner wollten sich die Erdölvorkommen sichern, haben ihn gestürzt und den Schah installiert. Es ist klar und sachlich geschrieben. Ich brauchte das für mich, damit ich nicht immer nur Mini-Ausschnitte weiß über das, was uns alle im Moment beschäftigt. Und habe noch ein Zitat hineingeschrieben, was gar nichts damit zu tun hat und doch zum Zusammenhang passt.

Lesen Sie es uns vor?

Es stammt von einem meiner Lieblingsautoren, Charles Bukowski. Der hat gesagt: "We're all going to die, all of us, what a circus! That alone should make us love each other. But it doesn't. We are terrorized and flattened by trivialities. We are eaten up by nothing."

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Quelle:
SZ vom 02.10.2015
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