Kardinal Faulhaber:Gerüchte um den Weihbischof

Tagebücher von Kardinal Faulhaber, Erzbischöfliches Archiv

Die Tagebücher von Kardinal Faulhaber. Ihnen vertraute er seine Gedanken über die Gerüchte um Weihbischof Scharnagl an.

(Foto: Florian Peljak)

Forscher entschlüsseln die Tagebücher von Kardinal Faulhaber. Frauengeschichten und Naziverstrickungen seines Stellvertreters Anton Scharnagl beschäftigten den Kirchenmann nach dem Krieg.

Von Jakob Wetzel

Die Gerüchte wollten nicht verstummen. Der Weihbischof, hieß es, habe eine Affäre mit einer verheirateten Frau gehabt, womöglich sogar mit mehreren. Angeblich hatte er mit einer von ihnen ein oder zwei Kinder. Zu allem Überfluss sollte er in der Nazi-Zeit das Domkapitel für die Gestapo ausspioniert haben. Und dann war Anton Scharnagl ja auch noch der Bruder des CSU-Oberbürgermeisters - und in wenigen Wochen war Landtagswahl.

Das Jahr 1946 war ein nervenaufreibendes für Münchens Erzbischof Michael von Faulhaber. Wissenschaftler des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entziffern und entschlüsseln derzeit die Tagebücher des Kardinals, die Faulhaber in der heute nicht mehr gängigen Gabelsberger-Kurzschrift geschrieben hat. Jahrgang für Jahrgang veröffentlichen sie auf www.faulhaber-edition.de. Das Projekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird, soll in Kooperation mit dem Erzbischöflichen Archiv in München neue Einblicke in die jüngere Kirchengeschichte ermöglichen. Und jetzt haben die Wissenschaftler eine heikle Zeit erreicht.

Denn da waren nicht nur die Gerüchte um den Weihbischof Scharnagl. Es gab auch heftigen Streit zwischen Theologen und Ärzten darüber, ob von feindlichen Soldaten vergewaltigte Frauen abtreiben dürfen. Außerdem kriselte es in der eigentlich guten Beziehung zwischen Faulhaber und den US-Besatzern: Die Amerikaner beschlagnahmten Grundstücke, um Flüchtlinge aus dem Osten unterbringen zu können; Faulhaber protestierte, das sei unmenschlich. Auf der anderen Seite musste er die Münchner beruhigen, die Angst davor hatten, nun breite sich der Kommunismus aus. Faulhaber glaubte das nicht, fragte dann aber doch einmal bei den Amerikanern nach. Ganz sicher war er sich offenbar selber nicht. Das alles ist in den Tagebüchern nachzulesen.

Scharnagl wurde offenbar erpresst

Vor allem aber war der Erzbischof 1946 mit den Gerüchten um seinen Weihbischof Anton Scharnagl konfrontiert, den älteren Bruder von Münchens Oberbürgermeister Karl Scharnagl - wobei bis heute unklar ist, was der Geistliche tatsächlich getan hat. Urheber der Gerüchte sei vor allem Albert Hartl gewesen, ein Ex-Pfarrer und späterer Funktionär im Nazi-Reichssicherheitshauptamt, sagen Peer Volkmann und Thomas Schütte. Die beiden Historiker arbeiten an der Entschlüsselung der Tagebücher, Schütte als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Volkmann als Koordinator.

Hartl ist ein schwieriger Gewährsmann, seine Behauptungen aber fanden breiten Widerhall. Noch in den Achtzigerjahren berief sich etwa die Wochenzeitung Die Zeit auf Hartl, als sie Scharnagl mit diversen kriminellen Machenschaften in Verbindung brachte. Der Weihbischof habe als Gegenleistung für Spenden der Kirche Sex verlangt, hieß es, er sei deshalb ins Visier der Gestapo geraten, der er fortan zu Diensten gewesen sei. Er habe sogar Pfarrer denunziert, die dann ins KZ verschleppt wurden.

Das Bild, das Volkmann und Schütte von Scharnagl zeichnen, ist positiver. Richtig ist demnach, dass die Gestapo ihn erpresst hat. Es gebe aber keinen Beleg dafür, dass der Weihbischof zuvor jemanden zu Sex genötigt habe, sagt Schütte. Vielmehr sei er von einer Frau mit Geldsorgen kontaktiert worden, die Gegenstände verkaufen wollte. Sie und Scharnagl seien sich näher gekommen, sie hätten sich geküsst. Zu "Abtastungen", so der Begriff in den Polizeiakten, sei es aber nicht gekommen. Hinweise auf eine andere Affäre gebe es auch keine, sagt Volkmann. Und ein Kind habe er definitiv nicht gehabt.

Zwischen Scharnagl und der Gestapo kam es zum Bruch

Was auch genau vorgefallen ist: Die Gestapo hatte genug in der Hand, um Scharnagl unter Druck zu setzen. Und der lieferte. Es gab Treffen zwischen Scharnagl und der Gestapo. Was der Weihbischof alles weitergab, ist unklar. Unstrittig ist, dass er die Nazis mit allgemeinen Informationen zum Beispiel über katholische Jugendverbände oder über die Struktur der Kirchenverwaltung in Kenntnis setzte. Zudem leitete er offenbar unveröffentlichte Hirtenbriefe Faulhabers weiter. 1941 oder 1942 aber kam es zum Bruch. Die Gestapo wollte Relevanteres, Scharnagl aber habe abgelehnt, sagt Schütte. Der Weihbischof sei bei seinem Nein geblieben, auch als die Gestapo drohte, ihn bloßzustellen.

Danach passierte jahrelang nichts. Gerüchte kamen erst nach Kriegsende auf, warum so spät, lässt sich nur mutmaßen. Der Erzbischof hörte Ende 1945 von den Vorwürfen. Was davon stimmte, wusste er nicht. Trotzdem zwang er Scharnagl, sich zurückzuziehen, er fürchtete negative Auswirkungen für die christlich-konservativen Parteien bei der bayerischen Landtagswahl im Dezember 1946. Man müsse "vorher etwas tun, bevor die Bombe platzt", notierte er am 6. November 1946 in sein Tagebuch. Scharnagls Bruder wolle eine strenge Untersuchung.

Die "Affäre Scharnagl" arbeitete die Kirche intern auf

Die nächste Zeit war für Erzbischof Faulhaber unbequem: Er musste jetzt alle öffentlichen Aufgaben Scharnagls selbst übernehmen. Schütte und Volkmann erzählen, der Kardinal sei zu Firmungen mit 600 bis 800 Firmlingen gefahren. In sein Tagebuch schrieb er, wie mühsam das sei - und wie überrascht alle waren, wenn nicht der angekündigte Weihbischof, sondern der Kardinal aus dem Auto stieg. Nach kurzer Zeit bat Faulhaber Papst Pius XII., ihm einen zweiten Weihbischof zur Seite zu stellen. Die Affäre Scharnagl ließ Faulhaber intern aufarbeiten: Er setzte eine kirchliche Untersuchungskommission ein. Deren Mitglieder fuhren unter anderem in die Kriegsgefangenenlager und befragten dort frühere Gestapo-Mitarbeiter. Die US-Militärregierung forschte ebenfalls nach, 1947 gab es eine Polizei-Untersuchung, 1948 wurde Scharnagl schließlich in einem Spruchkammerverfahren entlastet. Spätestens 1949 trat er wieder öffentlich auf.

Die Gerüchte aber blieben, ob wahr oder falsch. Wie heftig die Affäre die Kirche umtrieb, lässt sich aus anderen Quellen erahnen. Einige Jahre später etwa taucht Scharnagl unvermittelt in einer Notiz des Bundesnachrichtendienstes auf. Ein "Gelegenheitsinformant mit sehr guten Beziehungen zu hohen Würdenträgern des rheinischen Episkopats" erzählt den Geheimdienstlern hier in ganz anderem Zusammenhang von den "ziemlich verlotterten" Zuständen in der Erzdiözese München und Freising - und als Beispiel dient ihm Anton Scharnagl. Dieser habe sich hier öffentlich rühmen können, Vater eines unehelichen Kindes zu sein. Die Notiz des Nachrichtendienstes stammt vom 11. Juli 1961. Da war Scharnagl bereits sechseinhalb Jahre tot.

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