Die Terrasse des Café Rigoletto am Ackermannbogen ist beschirmt. Zwei überdimensionale, vier mal sechs Meter große Stoffplanen überdachen neuerdings die Gäste, spenden ihnen Schatten und schützen vor vereinzelten Regentropfen, sollte doch mal ein Wölkchen aufziehen. Doch der Schutz vor Sonne und Wasser ist nur ein positiver Nebeneffekt. Aufgestellt wurden die Schirme aus einem anderen Grund: Sie sollen die Bewohner des Häuserblocks über dem Speiselokal vor Lärm schützen.
"Es ist ein Experiment", sagt Sabine Pour. "Wir haben keine Garantie auf Erfolg, so etwas ist in Deutschland noch nie erprobt worden." Seit Jahren leitet Pour das Café, Probleme wegen Lärmbelästigung habe es immer gegeben, meint sie. "Ich kann die Leute verstehen: Sobald das Wetter schön ist und sie ihren Balkon genießen wollen, sitzen auch bei uns die Gäste im Freien, unterhalten sich oder lachen."
Um den Lärmpegel zu senken, forderten einige Anwohner deshalb, die Öffnungszeiten des Lokals einzuschränken. Doch das kommt für Sabine Pour nicht in Frage. Das Rigoletto hat von 6.30 bis 23 Uhr geöffnet, sieben Tage die Woche - ein Zeitfenster, das Pour für das Lokal braucht, um finanziell über die Runden zu kommen.
Um dennoch zu einer Lösung zu gelangen, hat Pour in alle Richtungen recherchiert. Schließlich stieß sie auf die Idee mit den Schirmen. "Ich wusste, es gibt Stoffe, die den Lärm dämmen können", erläutert die Rigoletto-Chefin. "Also habe ich die Schirmhersteller abtelefoniert." Bei der Firma Bikatec hatte sie Erfolg: Dort war man bereit, mit der Kreation eines speziellen, Schall absorbierenden Schirmes Neuland zu betreten.
Das technische Fachwissen dazu lieferten Ingenieure und die Fachhochschule Rosenheim. Fünf Studenten der Fakultät für angewandte Natur- und Geisteswissenschaften entwickelten im Rahmen einer Lehrveranstaltung einen Prototypen: einen Schirm zum Aufspannen mit schwerem Stoff zur Schalldämmung an der Oberseite und einem mehrlagigen Quasi-Wattepolster zum Absorbieren des Schalls als zweiter Schicht darunter. "Damit haben wir Verbesserungen bis zu acht Dezibel erreicht", bestätigt der Leiter der Studienarbeit, Professor Ulrich Schanda. "Das entspricht einer Halbierung der subjektiv empfundenen Lautstärke."
Ob das System überhaupt funktioniert, hängt in erster Linie von der Umgebung ab. Nur bei entsprechender Lage könne der Schallschutzschirm seine volle Wirkung erzielen, erklärt Schanda. Der Erfolg der Konstruktion sei deshalb nicht ohne weiteres auf andere Szenarien übertragbar, ergänzt Gerhard Hilz vom Ingenieurbüro Müller-BBM. Im Fall des Rigoletto aber sei der Effekt nachweisbar, "weil die Balkone direkt über den Schirmen liegen".
Finanziert werden die Schirme aus einem Fördertopf des "Experimentellen Wohnungs- und Städtebaus" (ExWoSt). 70.000 Euro stellt der Bund dafür aus dem Projekt "Barriereabbau im Stadtquartier" zur Verfügung, 25.000 Euro kosten allein die Schirme.
Die neue Café-Konstruktion im Rigoletto hat übrigens einen überraschenden psychologischen Effekt: Wenn die Gäste unter den Schallschirmen plaudern, wähnen sie sich in einem überschaubaren Raum - und reden automatisch leiser als sonst.