S-Bahn-Zusammenstoß in Schäftlarn:"Ein Großteil der Fahrgäste stand unter Schock"

S-Bahn-Zusammenstoß in Schäftlarn: Seit Donnerstag laufen die Bergungsarbeiten am Unglücksort. Was dabei nochmal deutlich wird: die Wucht des Zusammenstoßes der beiden S-Bahnen.

Seit Donnerstag laufen die Bergungsarbeiten am Unglücksort. Was dabei nochmal deutlich wird: die Wucht des Zusammenstoßes der beiden S-Bahnen.

(Foto: Uwe Lein/dpa)

Notfallseelsorger Dietmar Frey betreute Fahrgäste nach dem Zugunglück bei Schäftlarn. Ein Gespräch über Rote Knöpfe, verstummte Menschen und die Gefahren in den Tagen nach der Katastrophe.

Interview: Gerhard Fischer

Beim Zusammenstoß zweier S-Bahnen in der Nähe des Bahnhofs Ebenhausen-Schäftlarn sind am Montag ein Mann getötet und 18 Menschen verletzt worden, sechs von ihnen schwer. Diakon Dietmar Frey, Leiter der evangelischen Notfallseelsorge des Dekanats München, war nach dem Unglück in Ebenhausen.

SZ: Wie muss man sich das vorstellen - ein Unglück passiert, jemand drückt auf einen roten Knopf, und die Notfallseelsorger eilen an den Unfallort?

Dietmar Frey: Es gibt tatsächlich eine Art roten Knopf: Wir haben eine App auf unseren Handys. Darüber werden wir benachrichtigt.

Von wem?

Von der Leitstelle für Rettungsdienste in München. Sie informiert Krankenwagen, Feuerwehr und das Kriseninterventionsteam KIT, zu dem Psychologen, Ärzte, Sanitäter und Notfallseelsorger gehören, die alle eine Ausbildung in psychosozialer Notfallversorgung haben.

Wie viele Mitarbeiter hat das Kriseninterventionsteam?

Mehr als 50 für Großschadensfälle wie das S-Bahn-Unglück. Sie kommen von der evangelischen und der katholischen Notfallseelsorge, vom Roten Kreuz, der Aicher Ambulanz und dem Arbeiter-Samariter-Bund. Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die meisten ehrenamtlich tätig sind. Jeder hat seinen Beruf und muss klären, ob er innerhalb weniger Minuten seinen Arbeitsplatz verlassen kann.

Wie viele Notfallseelsorger sind zum S-Bahn-Unglück nach Ebenhausen-Schäftlarn gefahren?

Etwa 25 waren vom KIT dort, davon sieben Notfallseelsorger. Einige, die in der Nähe wohnen, sind sofort hin. Wir Münchner haben uns an einem Sammelplatz getroffen und sind mit Rettungswagen zum Unfallort gefahren.

Was war das erste Bild, das Sie dort gesehen haben?

Blaulichtautos. Da waren gefühlt einige hundert Leute von den Rettungsdiensten. Sie mussten die S-Bahn mit einem Kran stabilisieren, damit sie nicht die Böschung herunter fiel. Jene Fahrgäste, die nicht oder nur leicht verletzt waren, sind - teilweise mit Decken über den Schultern - zu einem Sammelplatz nach Ebenhausen gegangen. Es waren etwa 60 Menschen, wir haben sie in kleinen Gruppen betreut. Ein Großteil stand unter Schock.

Wie äußert sich das?

Jeder verarbeitet das unterschiedlich. Der eine verstummt, der andere bekommt Panik und wird laut. Diesmal haben nur wenige Panik bekommen. Bei einem Unglück versuchen die Menschen auch, der Situation zu entfliehen, indem sie sehr viel erzählen, was sie gerade erlebt haben: Wie sie jemanden gesehen haben, der schwer verletzt wurde, oder wie die Menschen einander geholfen haben.

Ist Zuhören das Wichtigste?

Unsere Hauptaufgabe ist, die Leute zu stabilisieren, und das geht oft übers Zuhören. Es gibt ja nicht nur äußere Verletzungen, auch für die Psyche ist schnelle Hilfe wichtig. Die Menschen sind in einer chaotischen Situation, die nicht zum normalen Leben gehört. Sie fühlen sich hilflos. Wir signalisieren ihnen dann: Ich bin nur für dich da. Wir helfen den Menschen beim Umgang mit dem belastenden Ereignis, das starke Reaktionen hervorrufen kann. Die Stummen ermuntern wir, dass sie über das Erlebte reden. Es gibt da Gesprächstechniken.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Da war ein etwa 16-jähriges Mädchen, das mit der S-Bahn von der Schule nach Hause gefahren war. Sie stand unter Schock und fand kaum Worte. Ich habe ihr gesagt, dass zwei Züge zusammengestoßen waren. Das Wichtigste ist, dass die Menschen Informationen erhalten, was überhaupt passiert ist. Gleichzeitig hatte ihre Familie schon angerufen und wollte wissen, ob ihre Tochter unter den Schwerverletzten sei. Die Familie hat die 16-Jährige dann abgeholt.

Zuhause können die Probleme anhalten.

Ja, und deswegen bekommen die Menschen ein Infoblatt von uns, auf dem steht, was in den nächsten Tagen passieren kann. Die Bilder des Unglücks können immer wieder vor dem inneren Auge auftauchen, es kann Angstschweiß auftreten, weil man die Situation noch einmal durchlebt. Das sind normale Reaktionen. Aber wenn es nach einigen Tagen eher mehr als weniger wird, muss man aufpassen, dass es nicht zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung kommt. Auf dem Infoblatt stehen auch Einrichtungen, bei denen man sich helfen lassen kann, etwa die Krisenberatungsstelle Münchner Insel.

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