Schäfflertanz in München:Heiße Sohlen

Nur alle sieben Jahre tanzen die Münchner Schäffler vor großem Publikum. Warum und seit wann, weiß man nicht genau. Fest steht allerdings: Jetzt ist es wieder so weit - und die tanzenden Männer opfern dafür sogar ihren Jahresurlaub.

Judith Liere

Schrabbschrabb. Immer im gleichen Rhythmus. Schrabbschrabb rutschen die Sohlen über den Asphalt. Zwanzig Männer in Jeans, Kapuzenpullis und Anoraks schreiten zu Blasmusik im Hopserschritt im Kreis, in den Händen halten sie gebogene Aluminiumstangen, die Füße stecken in altmodischen Schnallenschuhen. Der Kreis wird immer kleiner, die Männer drängen sich zusammen, die Aluminiumbögen stoßen leise klingend zusammen, schließlich sieht man nur noch ein großes Knäuel aus Männern und Stangen. "Das ist die Laube", sagt Christian Härtl. Das ist der Münchner Schäfflertanz. Zumindest, wenn er sich noch im Probenstadium befindet.

Probe Schäfflertanz in der Augustiner Brauerei

Hoch das Bein: Der Schäfflertanz erfordert viel Übung. Erst beim großen Auftritt sind die Männer in Tracht.

(Foto: Florian Peljak)

Es ist eine der letzten Proben, die der Fachverein der Schäffler Münchens absolviert. Dann kommt endlich der 6. Januar. Auf diesen Freitag, den 6. Januar 2012, freuen sich einige der Männer seit Jahren, seit sieben, um genau zu sein. Denn die Schäffler dürfen nur alle sieben Jahre tanzen, vom Dreikönigstag bis zum Faschingsdienstag. Weil das die Tradition so will. Warum? Weiß man nicht genau. Und weshalb tanzen die Schäffler überhaupt? Weiß man auch nicht so richtig.

Was man aber sicher weiß: Der Schäfflertanz gehört zu München wie das Oktoberfest zur Theresienwiese und wie das Glockenspiel zum Rathaus. Und sogar da sind die Schäffler drin, nicht im Rathaus, aber im Glockenspiel, da drehen sie sich das ganze Jahr über herum.

Das Knäuel entwirrt sich wieder. Im Schrabbschrabb-Hüpfschritt bilden die Männer wieder einen Kreis, und beim flüssigen Entwirren zeigt sich, dass sie eben nicht einfach nur einen wirren Haufen gebildet haben, sondern sich mit System zusammengefaltet haben. Die Figur sitzt, sie haben sie auch oft genug probiert, seit Anfang Oktober, direkt nach dem Ende der Wiesn, zweimal pro Woche, auf dem Hof der Augustiner Brauerei in der Landsberger Straße.

Vor Supermärkten, Sparkassen und dem Ministerpräsidenten

Der Betrieb hat sie auf sein Gelände gelassen, dort hüpfen und ringeln sie sich entweder in einer Lagerhalle, wenn das Wetter gar zu nass ist, oder im Hof, wenn es nur ein bisschen kalt und ungemütlich ist. Denn kalt und ungemütlich wird es während der Auftritte auch werden, um die zehn pro Tag werden es sein, manchmal auch mehr, auf Münchner Plätzen, Schulhöfen, Firmengeländen, vor Supermärkten, Sparkassen, Kirchen, Wohnhäusern, dem Ministerpräsidenten, in Biergärten, am Viktualienmarkt.

Und natürlich auf dem Marienplatz, wo am Freitag der erste Tanz der Saison stattfindet, unter den kleinen Schäfflern im Glockenspiel, vor dem Rathaus, vor dem Oberbürgermeister - von da an nicht mehr zu Musik aus dem Lautsprecher, sondern live von den Ludwig-Thoma-Musikanten, nicht mehr in Jeans und Anorak, sondern in Uniform mit roter Jacke, grünem Hut und schwarzer Kniebundhose, und mit Buchsbaumgeschmückten Bögen statt kahler Aluminiumstangen. Und natürlich in den Schnallenschuhen - für die beschäftigt die Truppe während der Tanzsaison sogar einen eigenen Schuster - spätestens nach vier Tagen sind die Sohlen durchgetanzt, wegen des Rutschschritts.

Dass die Tänzer auf dem Brauerei-Gelände proben, passt gut. Schäffler, so heißen in Südbayern die Fassmacher, woanders heißen sie Böttcher, Küfer oder Binder. Der Legende nach entstand der Tanz der Fassmacher 1517, am Ende einer Pestepidemie. Um die verängstigten Münchner wieder aus ihren Häusern zu locken, mobilisierte ein Schäffler seine Zunftkollegen, einen Tanz zu fröhlicher Musik mit grünbelaubten Reifen in den Straßen aufzuführen.

Leben in die Stadt gebracht

Die Schäffler haben also damals das Leben wieder in die Stadt gebracht, so heißt es zumindest, und das kann auch gut sein. Urkundlich erwähnt zumindest wurde der Tanz erstmals 1702, allerdings als "vor alters her gebreichig" - und das kann schließlich alles bedeuten, also auch die Pest-Legende, die immerhin eine hübsche Geschichte ist. Darauf beziehen sich auch die Tanzfiguren: Die Schlange steht für den Lindwurm, der die Pest brachte, die Laube symbolisiert die vor Angst in ihren Häusern verschanzten Menschen, das Kreuz steht für Glaube und Hoffnung, und die Kreisfiguren ganz allgemein dafür, dass es endlich wieder rund geht.

Das Schwierigste ist der Hopser, der Schäfflertanzschritt, dieses Nachrutschen mit hochgeworfenem Bein. "Der ist schon einfach blöd, der Schritt", sagt Christian Härtl. Der 44-Jährige tanzt schon seit 1991 mit, als Reifenschwinger, am Ende des Tanzes steigt er auf ein Fass und lässt zwei weißblaue Reifen kreisen, in denen volle Schnapsgläser stehen. Am Anfang proben die Tänzer die Figuren ohne den Schritt, damit zumindest schon mal die Wege sitzen. "Dann kommt der Schritt dazu, und dann gibt's erstmal wieder Chaos", sagt Härtl und grinst. "Aber irgendwann hat's noch jeder kapiert."

Die Männer, die auf dem Brauereihof im Kreis hopsen, sind eine bunte Truppe, zwischen 17 und Mitte 50, haben die unterschiedlichsten Berufe. Früher, da gab es strenge Regeln, wer mittanzen durfte: ausschließlich Schäfflergesellen, ehrbare noch dazu, von körperlicher Gewandtheit und kräftig, moralisch würdig mit einwandfreiem Leumund, unverheiratet, geborener Bayer - so stand es in den Statuten des Fachvereins der Schäffler Münchens. Das lässt sich heute allerdings nicht mehr durchsetzen, nicht wegen der Moral, sondern weil es einfach zu wenige Schäffler gibt. In München gab es einmal sehr viele Fassfabriken, heute gibt es nur noch die von Willi Schmid in Laim, dem Vorsitzenden des Fachvereins. Holzfässer werden kaum noch gebraucht, die Brauereien nutzen Aluminiumfässer, für vieles andere gibt es Kunststoff.

Doch immerhin sieben echte Schäffler sind dabei, vier davon arbeiten noch in diesem Beruf, in Schmids Betrieb. Die anderen sind meist Handwerker, aber auch Lokführer, Busfahrer, Uhrenhändler, Banker, Redakteur. Alle nehmen sie ihren Jahresurlaub für die Tanzsaison, anders geht es nicht.

Wer mittanzen darf, entscheidet der Verein, meist kommen die Neuen auf Empfehlung der Alten, oder haben Väter und Großväter, die schon dabei waren. Wichtig sei, das man sich gut versteht, sagt Schmid. Schließlich verbringen die Männer in den nächsten sechs Wochen viel Zeit miteinander, bis am 21. Februar, nach dem letzten Auftritt, die Buchsbaumbögen symbolisch zerbrochen werden und es heißt: "Der Tanz ist vollbracht - der Reifen hat gekracht."

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