Süddeutsche Zeitung

Schadensersatz-Forderung:Mutter klagt für behinderten Sohn

  • Weil ihr 30-jähriger Sohn Daniel bei der Geburt schwer geschädigt wurde, klagt die Allgäuerin Claudia Bernert gegen den früheren Chefarzt einer Kinderklinik.
  • Sie wirft dem Arzt vor, ein falsches Gutachten abgegeben zu haben - darum habe Daniel keine angemesse Entschädigung bekommen.
  • Bernert fordert mehr als 1,1 Millionen Euro Schadensersatz. Ein Gericht hatte ihrem Sohn bereits eine ähnliche Summe zugesprochen, was später revidiert wurde.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

Claudia Bernert gibt nicht auf: Die 63-jährige Allgäuerin hat den früheren Chefarzt der Kinderklinik im Krankenhaus Harlaching, Professor Reinhard R., auf mehr als 1,1 Millionen Euro Schadensersatz verklagt. Dem Facharzt für Kinder-und Jugendmedizin gibt sie die Schuld daran, dass ihr bei der Geburt schwerst geschädigte Sohn Daniel, 30, bis heute keine angemessene finanzielle Entschädigung erhalten hat. Jedenfalls keine, die sie und ihr Anwalt Pierre Zimmermann als angemessen betrachten würden. Dem Münchner Arzt legen beide zur Last, als Sachverständiger im Prozess vor dem Oberlandesgericht München ein sachlich falsches Gutachten abgegeben zu haben. Nun muss die Amtshaftungskammer am Landgericht München I diese Vorwürfe prüfen.

Das Drama hatte sich im Oktober 1984 im Krankenhaus von Immenstadt ereignet: Durch bei der Geburt erlittene Hirnschädigungen ist Daniel Bernert körperlich und geistig schwer gehandicapt. Seit 1992 prozessierte die Mutter im Namen ihres Sohnes gegen den behandelnden Arzt, die Hebamme, die Kinderkrankenschwester sowie das Krankenhaus: Es seien schwere Behandlungsfehler vor, während und nach der Geburt begangen worden. Erst 21 Jahre später stand schließlich fest, dass Daniel Schadensersatz bekommen werde. Dann ging das juristische Ringen um die Höhe der Entschädigung los.

Vor dem Landgericht Kempten bekam Daniel zunächst rund 1,3 Millionen und 3032 Euro monatliche Rente zugesprochen. Die Versicherungen der Beklagten zahlten daraufhin 220 000 Euro in vier Abschlagszahlungen, legten aber Rechtsmittel ein. Vor dem Oberlandesgericht München blieben nach der Berufungsverhandlung schließlich nur noch 20 Prozent der geltend gemachten Beträge übrig: Der OLG-Senat war lediglich von Fehlern der Beklagten nach der Geburt ausgegangen.

Mutter sieht Problem bei angeblich fehlerhaftem Gutachten

Claudia Bernert und ihr Anwalt Pierre Zimmermann aus Saarbrücken führen diesen bitteren Rückschlag auf ein angeblich fehlerhaftes Gutachten des Münchner Professors R. zurück. Als vom Gericht bestellter Sachverständiger sei er unzutreffend von einer schicksalhaften Gehirnblutung bei der Geburt ausgegangen. Tatsächlich hätte die Ärzte in Immenstadt damals aber einen gefährlichen Sauerstoffmangel des Kindes vor beziehungsweise bei der Geburt nicht bemerkt.

Professor R. habe vor Gericht jedoch dargelegt, dass die Schädigung des Kindes zu einem überwiegenden Teil bereits durch die Hirnblutung verursacht gewesen sei, so dass sich das Fehlverhalten der Immenstädter Mediziner nur geringfügig auf die späteren Schäden ausgewirkt habe. Auf diese Weise sei das OLG München dann zu der 20-Prozent-Entscheidung gelangt.

Zum Verhandlungsauftakt vor dem Münchner Landgericht legte Klägeranwalt Zimmermann dar, dass Professor R. gar nicht kompetent gewesen sei, eine Computertomografie (CT) vom Kopf des Kindes korrekt zu analysieren. Er habe es versäumt, einen Radiologen zurate zu ziehen. Durch die falsche "Befundung" des CT-Bildes aufgrund mangelnder Qualifikation habe R. die entscheidende Weichenstellung bei Gericht verursacht. Zumal in der Folge noch ein weiterer Sachverständiger deshalb zu falschen Ergebnisse gelangt sei.

Versäumnisse der früheren Anwälte

Die Anwälte des beklagten Professors, Tonja Gaibler und Tim Neelmeier von der Münchner Kanzlei Ulsenheimer Friederich, weisen das entschieden zurück. Ihr Mandant habe in dem Verfahren zu keinem Zeitpunkt die "Hypoxie" ausgeschlossen. Professor R. habe sich außerdem auf die CT-Befunde verlassen dürfen, die seinerzeit vom Chef- und Oberarzt des Immenstädter Krankenhauses unterschrieben worden seien. Im Übrigen hätten es die früheren Anwälte von Daniel Bernert versäumt, im Gerichtsverfahren hier nachzuhaken. Das Oberlandesgericht sei außerdem aufgrund rein juristischer Erwägungen zu der 20-Prozent-Quote gekommen - es gebe keine Kausalität zwischen Gutachten und Senats-Urteil, das der Bundesgerichtshof auch bestätigt hat.

Nun, im aktuellen Verfahren, schlug der Kammervorsitzende Frank Tholl vor, gemeinsam mit den Versicherungen wieder an alte Vergleichsverhandlungen anzuknüpfen. Dieser Vorschlag fand auf Seiten des beklagten Professors jedoch keine Zustimmung. Das Gericht machte deutlich, dass ein langes Verfahren mit neuen Gutachten notwendig sei, um alle offenen Fragen zu klären. Erst in einigen Wochen wird das Gericht mitteilen, wie das Verfahren fortgesetzt wird.

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SZ vom 12.03.2015/ebri
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