Süddeutsche Zeitung

Schach an Münchner Schulen:Rückwärts denkend ans Ziel

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Schach boomt an Münchner Schulen. Viele Eltern hoffen, dass ihr Nachwuchs auf diese Weise logisches Denken lernt - zumindest die Jungen. Denn Mädchen sind in den Klubs stark unterrepräsentiert.

Von Nikolai Huland

Felix Brychcy steht an der Magnetschachtafel, verschiebt die Figuren und schaut in die Runde. "Hat jemand schon mal was vom französischen Läuferopfer gehört?", fragt er. "Ja!", ruft Yanis. "Das spiele ich immer!" Felix Brychcy lächelt und erläutert: Wenn Schwarz zu früh rochiert, sollte Weiß seinen Läufer opfern und kann dann von Schwarz viele Figuren abräumen - vielleicht sogar den König. "Merkt euch dieses Motiv. Das lohnt sich. Ein guter Schachspieler kann sich möglichst viele Motive einprägen und im Spiel erkennen", erklärt er seinen Schülern.

Yanis, neun Jahre alt, ist eines von sieben Kindern in der Gruppe, der Brychcy Schach beibringt. 25 Kinder sind insgesamt zum Herbstferienkurs der Schachakademie am Isartor gekommen. Der Zulauf bei solchen Ferienkursen ist seit Jahren konstant. In der Stadt spielen Kinder zunehmend Schach, auch weil der Denksport immer mehr in die Schulen drängt. Lehrer und Eltern erhoffen sich davon einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder. Gleichzeitig wachsen die Jugendabteilungen vieler Schachvereine - allerdings zieht es selten Mädchen dorthin.

Die Mutter von Yanis, Alin Li, weiß genau, weshalb ihr Sohn Schach spielt: "Das ist sein großes Hobby. Er hat schon viel gelernt und Schach ist natürlich sehr gut für den Kopf." Yanis hat schwarze Haare und trägt einen dunkelblauen Wollpullover. "Es macht Spaß, neue Varianten auszuprobieren", sagt er. Seit drei Jahren spielt er Schach und kommt regelmäßig zu den Ferienkursen. Sein Ferientrainer Brychcy spielt in einem Klub und kümmert sich dort um die Jugendarbeit. Die Kinder lernten dort viel, weil sie regelmäßig spielen, erläutert der 36-Jährige.

"Es werden jedes Jahr mehr Kinder, die im Verein spielen", bestätigt Markus Lahm, Jugendleiter des Schachbezirksverbandes München, den Zulauf zum Schachsport in der Stadt. 2000 Schachspieler sind in 37 Vereinen organisiert, 23 Vereine haben Jugendabteilungen. Laut Statistik des Verbands wuchs die Zahl der aktiven Kinder in den vergangenen drei Jahren um zehn Prozent auf 529. In ganz Deutschland dagegen verloren Schachvereine in allen Altersbereichen Mitglieder.

Ein wichtiger Baustein des Erfolgs in München ist die offensive Werbung des Verbands. Lahm veranstaltet Turniere, verteilt Flyer und bemüht sich um Öffentlichkeitsarbeit. In den vergangenen zwei Jahren führte er neben der Schulmeisterschaft weitere Turniere für Grundschulen ein. Vor allem bei den Grundschulen zeigte das Wirkung: Die Zahl der Teams hat sich seitdem von 15 auf 35 erhöht.

Auch Dijana Dengler arbeitet für die Entwicklung des Schachsports in München. Die Nationalspielerin ist eine von vier Gesellschaftern der Schachakademie, die mit dem Verein MSA Zugzwang kooperiert. Der Klub hat in den vergangenen drei Jahren fast 30 Kinder dazu gewonnen. Die Akademie wirbt mit den Slogans: "Schach macht schlau", "Schach verbessert die Konzentrationsfähigkeit", "Schach ist gut für die Sozialkompetenz".

Ein Ziel vorstellen und rückwärts überlegen

Tatsächlich hat die Universität Trier einmal die Auswirkungen des Schachsports auf die Spieler analysiert und ist zu eben diesen Schlüssen gekommen. Dengler erklärt, dass Kinder lernen, besser voraus zu denken: "Beim Schach lernen die Kindern, sich ein Ziel vorzustellen und sich dann rückwärts zu überlegen, wie sie dahin kommen." Dieses Denken übertrage sich auf den Alltag. "Ein Kind in der dritten Klasse zum Beispiel stellt sich vor: Ich bin im Gymnasium angekommen. Nun kann es sich überlegen: Was muss davor passieren, damit ich da hin komme? Und davor, und davor?"

Mit 25 Schulen - hauptsächlich Grundschulen - arbeitet die Akademie zusammen. In manchen Schulen gibt sie zehnwöchige Kurse, bei anderen unterrichtet sie das ganze Jahr. Oft bezahlen dafür Sponsoren, manchmal Schulen und Eltern. Ein Jahr Schachunterricht für eine Klasse kostet 6500 Euro. Wird das Geld aufgetrieben, übernimmt zum Beispiel Felix Brychcy die Schulstunden. Um den Kindern den Sport zu vermitteln, nutzt er gerne Metaphern - wie etwa das Bild von einem Tigerkäfig. "Wenn man nur noch mit der Dame den König Schachmatt stellen will, muss man ihn so in die Enge treiben, dass er nur noch wie ein Tiger im Zoo auf einer Linie gehen kann", erläutert er. Am wichtigsten sei es aber, dass die Kinder in seinem Unterricht Spaß haben. Auch Dijana Dengler sieht das so: "Dann merken sie gar nicht, dass sie lernen."

Es gibt auch Schulen wie die Halbtagsgrundschule an der Formundstraße, die in eigener Regie Schachunterricht geben. Eine Lehrerin aus dem Kollegium bietet dort Schachstunden in der zweiten Klasse an. "Die Eltern sind total begeistert und die Kinder spielen gerne Schach. Auch zu Hause", sagt Schulleiterin Petra Henkel.

Junge Frauen aber interessieren sich nicht so für den Sport, das war auch auf der Spielemesse "Spielwies'n" zu beobachten, auf der der Schachbezirk München vor kurzem das erste Mal ausstellte. An sieben Tischen durften die Besucher sich im Schach probieren, nur selten machten Frauen mit. Auch bei der Schulmeisterschaft Anfang des Jahres meldeten sich nur drei reine Mädchen-Teams an. Markus Lahm weiß nicht genau, woran das liegt. "Vielleicht hat es sich einfach so etabliert." Er vermutet, dass die Mädchen weniger Erfolg hätten und deshalb weniger Spaß am Spiel. "Bei Jungs ist das mathematische Denken anders ausgeprägt", sagt er.

Dijana Dengler sieht das anders: "Frauen spielen nicht schlechter. Quantität bringt Qualität." Wenn ein Mädchen oder eine Frau in einen Verein komme, dann sei sie dort oft die einzige Spielerin und bleibe deshalb nicht lange. Auch die Spielorte, oft düstere Kneipen, seien nicht unbedingt attraktiv. In den Schulen hat Dengler erlebt, dass die Mädchen genauso mitmachen wie die Buben. "Wir müssen diese Generation mit der Idee infizieren, dass Schach Spaß macht. Dann wird es in Zukunft leichter", sagt sie. Auch Denglers Weg war steinig: Als sie als Mädchen in einen Schachverein ging, spielten dort nur Buben. Zunächst verlor sie jede Partie, die Buben machten sich lustig. "Ich habe dann ein Jahr geübt und danach gegen alle gewonnen."

Doch Schach ist nicht nur von Männern dominiert, sondern gilt auch als elitärer Sport. Laut Dengler stammen die meisten Kinder bei der Schachakademie aus Akademiker-Familien. Um auch andere Familien zu erreichen, hat ein Sponsor zusammen mit der Akademie die Münchner Schachstiftung gegründet. Diese finanziert Schachstunden für Kinder aus sozial schwachen Familien, für Menschen mit Behinderungen oder Flüchtlinge. "Schach ist sehr gut für die Integration. Jeder kann zeigen, was er drauf hat. Egal, welche Sprache er oder sie spricht", sagt Dengler.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2014
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