Satireprojekt "Störsender.tv":Absurdistan marschiert gegen Apple

Satireprojekt "Störsender.tv": Satireaktion Störsender: Auch die Firma Apple soll in den Genuss der russischen Staatsbürgerschaft kommen - wie der Schauspieler Gérard Depardieu.

Satireaktion Störsender: Auch die Firma Apple soll in den Genuss der russischen Staatsbürgerschaft kommen - wie der Schauspieler Gérard Depardieu.

"Wissen Sie, wie viel Steuern Apple bezahlt?" Der Kabarettist Dieter Hildebrandt und seine Mitstreiter verleihen dem Apple-Konzern in Anspielung an Gérard Depardieu ehrenhalber die russische Staatsbürgerschaft. Der Grund: Apple zahle außerhalb der USA unverschämt wenig Steuern.

Von Wolfgang Görl

Einige Fußballfans aus Barcelona reiben sich verwundert die Augen, womöglich fährt ihnen auch der Schreck in die Glieder: Holla, sind wir in der falschen Stadt? Moskau statt München? Nein, die Baudenkmäler sind eindeutig münchnerisch, hier die Theatinerkirche, dort die Residenz und dazwischen die Feldherrnhalle. Auf deren Treppe aber schwingen fünf junge Männer russische Fahnen, und davor spielt eine Blaskapelle in russischen Militäruniformen. Seltsam. Irgendetwas stimmt auch mit den russischen Flaggen nicht: Weiß, blau, rot - das geht in Ordnung. Aber in der Mitte prangt ein gelber Apfel, den eine fette Made mit Zylinder auf dem Kopf und Kapitalisten-Zigarre im Mund durchbohrt. Die Spanier wundern sich: Ganz schön rätselhaft, dieses München.

Mittendrin im Musik-Korps steht der Kabarettist Dieter Hildebrandt, der in Barcelona weniger bekannt ist als Bastian Schweinsteiger. Hildebrandt ist der Protagonist des Satireprojekts "Störsender.tv", dessen Programme im Netz zu sehen sind und der sich über Crowdfunding, also mit privaten Spenden finanziert. Neben Hildebrandt hat sich dessen Mitstreiter Stefan Hanitzsch postiert, und dieser klärt die Umstehenden per Megafon auf: "Liebe Einwohner von Absurdistan, Störsender.tv verleiht heute dem Apple-Konzern ehrenhalber die russische Staatsbürgerschaft." Aus welchem Grund, ist auf der mitgeführten Urkunde zu lesen: "Für besondere Verdienste beim Schlupfen in Steuerlöchern." Denn Apple, so monieren die Satiriker, "zahlt außerhalb der USA nur 1,9 Prozent Steuern im Durchschnitt." Der Konzern nutze dabei Steuerschlupflöcher, "die der Gesetzgeber den Multis erlaubt".

Nach einer Viertelstunde befiehlt Hanitzsch den Aufbruch, der Zug marschiert zu Salsa-Rhythmen Richtung Marienplatz. Die Spitze hat mittlerweile der Schriftsteller Wladimir Kaminer übernommen, geboren in Moskau und seit langem in Berlin lebend. Weil er, wie er selbst sagt, "beruflich deutscher Schriftsteller ist, privat aber Russe", ist er die richtige Mann für die heikle Mission. Kaminer soll für Apple das tun, was Putin für den in Steuersachen auffällig gewordenen französischen Schauspieler Gérard Depardieu getan hat: die russische Staatsbürger-Urkunde überreichen. Dabei steht Apple stellvertretend für viele andere Konzerne, die mit legalen Tricks ihre Steuern lächerlich gering halten.

Nachdem die Militärkapelle, die in Wirklichkeit die Münchner "Express Brass Band" ist, mit großem Trara den Marienplatz erreicht hat, gerät die Kundgebung erst einmal ins Stocken. Vor der Mariensäule johlen die Barca-Fans Schlachtengesänge, die auch nicht verstummen, als Hanitzsch in Spanisch Ruhe befiehlt. Kaminer hat es nicht leicht, seine Botschaft hörbar unters Volk zu bringen: "Diese Konzerne", ruft er ironisch, "zeigen uns den Weg, wie man legal am Staat vorbeigehen kann." Wie Apple und andere Unternehmen - von Hoeneß ist nicht die Rede - sollten die Bürger ihr Geld behalten und damit "tolle Sachen" machen, etwa Kindern ein Eis oder Frauen Blumen kaufen. So spricht Kaminer, und zum Abschluss intoniert die Militärmusik die "Internationale".

Doch noch muss der Schriftsteller, nein, der Russe Kaminer seine Pflicht erfüllen. Der Trupp spaziert weiter zum Apple-Store, wo einige Mitarbeiter in blauen Hemden eher belustigt den Aufmarsch beäugen. Nach einigem Hin und Her nimmt ein Manager namens Emiliano die russische Staatsbürger-Urkunde entgegen. Die Kunden bleiben unbeeindruckt. "Wissen Sie, wie viel Steuern Apple bezahlt?", fragt Hanitzsch einen Mann. "Ich weiß", antwortetet dieser in breitem Schwäbisch. "Gerade das find' ich so gut."

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