Süddeutsche Zeitung

Sanierte Kleingartenanlage:"Wow, und das ist hier alles neu angepflanzt worden?"

  • Die Anlage des Kleingartenvereins NW 06 "Familienhilfe" e. V. stand kurz vor dem Aus.
  • Das Wasserwirtschaftsamt München hatte vor acht Jahren im Boden krebserregendes Material gefunden - es entstammte einer Abfallgrube, die sich vor dem Ersten Weltkrieg dort befand.
  • Danach wurden die Gärten im Luitpoldpark aufwändig saniert - und sind nun ein Vorzeigeprojekt in München.

Von Marco Wedig

Wie ein Mahnmal ragt der Zwetschgenbaum aus dem Pflanzenmeer. Tot sieht er aus - und doch ist er voller Leben. Franz Sollinger schwärmt von dem Falken, der sich hin und wieder auf dem Baum niederlässt, und von den Spechten, die in seinen Löchern ein Zuhause finden.

Eigentlich sollte der Baum weg, so wie fast alles um ihn herum. Die Anlage des Kleingartenvereins NW 06 "Familienhilfe" e. V. stand kurz vor dem Aus. Das war im Jahr 2009, als das Wasserwirtschaftsamt München den Boden wegen eines Altlastenverdachts prüfte. Tatsächlich fanden die Behörden darin stark erhöhte Werte an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen. Das krebserregende Material entstammte einer Abfallgrube, die sich vor dem Ersten Weltkrieg dort befand.

Und heute bewirbt sich der Verein um den Titel "Bayerns nachhaltigste Kleingartenanlage". Wie konnte das gelingen?

Die Stube der Gaststätte "Zum Brunnergarten" ist feierlich hergerichtet. Das Lokal grenzt an die Gärten, deren Geschichte nun auf großformatigen Postern an der Wand nachzuvollziehen ist. Die Bewertungskommission trifft ein. Sollinger, der Vorstand des Vereines, hält eine Rede, sichtlich stolz auf das, was man hier geschafft hat.

Er spricht von einer tiefen Wunde, die der Altlastenfund in den Verein gerissen habe. Ein Bild auf einem der Poster lässt erahnen, was er meint. Das satte Grün der Kleingärten verwandelte sich zwischen Herbst 2010 und Frühjahr 2012 in tristes Grau. 10 000 Kubikmeter Boden wurden mitsamt der Pflanzen abgetragen. Darunter: die Münchner Schotterebene.

Verschiedene Möglichkeiten zur Sanierung

Zuvor waren sieben verschiedene Sanierungsmöglichkeiten mit der Stadt München und den Kleingärtnern durchgespielt worden. Man entschied sich dafür, die alten Obstbäume, auch den Zwetschgenbaum, zu erhalten, genauso wie die Lauben. "Das sind schließlich die Identifikationsorte für die Kleingärtner", sagt Friedrich Felber, der die Sanierung von Seiten des Baureferats unterstützte.

In Zusammenarbeit mit dem Büro NRT-Landschaftsarchitekten wurde für jede belastete Gartenparzelle ein Sanierungsplan entworfen. Die Kleingärtner konnten auch eigene Wünsche einfließen lassen. Manch einer wollte lieber einen geschwungenen statt einen gerade verlaufenden Weg. "Ein Aufwand, wie er hier betrieben wurde, ist einmalig", sagt Axel Pürkner, Chef des Kleingartenverbands München. Ihm sei bundesweit nichts dergleichen bekannt.

"Wow, und das ist hier alles neu angepflanzt worden?" Die Mitglieder der Bewertungskommission zeigen sich während des Rundgangs begeistert. Nichts deutet darauf hin, dass diese Fläche vor fünf Jahren brach lag. Joachim Reinberger ist einer der Kleingärtner, die die neuen Hecken und Gemüsebeete angelegt haben. Für ihn war die Sanierung ein Glücksfall, denn ein paar älteren Gärtnern erschien der Neuanfang als zu mühselig.

"Die Lage ist ein Filetstück"

Vorstand Sollinger besetzte die freigewordenen Parzellen - ganz im Sinne des Namens "Familienhilfe" - mit jungen Familien. "Die Lage ist ein Filetstück", sagt Reinberger. Zehn Minuten braucht er mit dem Fahrrad von zu Hause zu seiner Parzelle. Direkt am Luitpoldpark, von Hochhäusern und BMW umgeben - enger an der Stadt geht's nicht.

Reinberger genießt es, mit seinen Nachbarn zu ratschen, wie er sagt. Neben diesem sozialen Pluspunkt sieht er auch einen pädagogischen: "Man entwickelt Demut vor den Tiefkühlerbsen", sagt er. Wer selbst anbaut, wisse, wie viel Arbeit drinstecke. Auch seine beiden Töchter lernen etwas dabei. Eine nahm mal eine Erbsenschote mit in die Schule. Eine Mitschülerin biss hinein, sie hatte das noch nie zuvor gesehen.

Das ist auch ein Anliegen von Vorstand Sollinger: "die Kinder vom Smartphone wegholen". Lieber sollen sie im Kleingarten buddeln und über die Grenzen hinaus miteinander spielen. Deshalb gibt es zwischen den 115 Parzellen auch keine Zäune. "Das ist echt wie ein durchgehendes Gartenmeer", sagt einer der Prüfer. Die drei Wettbewerbskonkurrenten werden es schwer haben.

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SZ vom 27.09.2017/vewo
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