Sammlung Brandhorst:Und hinter tausend Stäben eine Welt

Nach jahrelangem Streit: Der Bau der Sammlung Brandhorst gibt dem Münchner Museumsareal ein zweites Gesicht.

Gerhard Matzig

In der vergangenen Woche herrschte in München auf der Baustelle der Sammlung Brandhorst hektische Betriebsamkeit. Im Minutentakt hatte der Architekt Matthias Sauerbruch allerlei Hände zu schütteln. Eine Art Vorauskommando des bayerischen Ministerpräsidenten inspizierte das fast fertige Haus hinter der spektakulär farbigen Fassade, die sich aus 36000, unterschiedlich leuchtintensiven Keramikstäben zusammensetzt und dem Geviert an der Türkenstraße schon jetzt, also lange vor der Eröffnung des Museums im Frühjahr, ein vitalisierendes Element hinzufügt.

Sammlung Brandhorst

In Rilkes Panther-Gedicht gibt es keine Welt hinter dem Käfiggitter. Dagegen sperren die Keramikstäbe, die den Wänden der Sammlung Brandhorst vorgeblendet wurden, weder ein - noch aus. Stattdessen versöhnt die intensive Farbigkeit mit der kubischen Geschlossenheit des Baus.

(Foto: Foto: Rumpf)

Die Sicherheitsleute waren allerdings nicht wegen architektonischer Details hinter die Bauzäune geraten. Wenn nämlich an diesem Donnerstag ein so heftig umstrittenes Sammlungsgebäude erstmals präsentiert wird, soll - endlich! - nichts mehr schiefgehen. Nach Jahren erschöpfender Kritik wünscht man sich nun eine harmonische Feierstunde.

Wobei die Emsigkeit, mit der auf dem prominent in der Maxvorstadt gelegenen Museumsareal nach den idealen Bedingungen für die zu erwartenden Grußbotschaften gefahndet wurde, schon ein Hinweis darauf ist, dass die Entwicklungsgeschichte dieses knapp 50 Millionen Euro teuren Neubaus alles andere als harmonisch verlaufen ist.

Hier geht es nicht um ein Gebäude, das im Konsens erbaut wurde. Stattdessen wurde es fast wie unter Qualen geboren. Es ist ein Leidensweg voller Querelen, auf dem die Sammlung von Udo und Anette Brandhorst, die mehr als 700 Werke der Moderne umfasst, zu ihrem Ort gefunden hat - gelegen neben der Pinakothek der Moderne sowie in räumlicher Korrespondenz zu Alter und Neuer Pinakothek.

Wenn eines Tages auch noch das schräg gegenüber im Bau befindliche Staatliche Museum Ägyptischer Kunst sowie der Neubau der Filmhochschule vollendet sein werden, wodurch auch noch der Königsplatz mit Glyptothek, Antikensammlung und Lenbachhaus in direkter Reihung erscheinen wird, wenn schließlich auch der überfällige zweite Bauabschnitt der Pinakothek der Moderne realisiert wird: Dann könnte München eine Kunststätte besitzen, die als konzentriertes Kultur-Quartier räumlich nur noch mit der Berliner Museumsinsel vergleichbar wäre.

Deshalb ist es die Frage, ob das neue Museum als zentraler, aber in formaler wie organisatorischer und inhaltlicher Hinsicht kritisierter Baustein eine Antwort findet. Eine Antwort müsste das sein, die stadträumlich, architektonisch und nicht zuletzt künstlerisch überzeugt.

Der Masterplan für das Münchner Museumsquartier, das jetzt sein vorerst zweites Gesicht erhalten hat, ist alt. Anfang der neunziger Jahre gewann der Münchner Architekt Stephan Braunfels einen weltweit beachteten Wettbewerb um den Bau der Pinakothek der Moderne, mit der die Kunststadt München Anschluss zur Zeitgenossenschaft erhalten sollte - die es bis dahin an der Isar noch immer gegen allerlei alteingesessenes Ressentiment zu verteidigen galt.

Braunfels sollte zudem das gesamte Areal organisieren. Auch unter finanziellen Aspekten führte das zum Plan eines zweiten Bauabschnitts: einer urban ausstrahlenden, die Stadtkanten betonenden Einhegung entlang der Türkenstraße und der Gabelsbergerstraße.

Dadurch würde die Pinakothek der Moderne erst die notwendige Fassung erhalten, die sie braucht. Noch immer muss, wer sich der dritten Pinakothek nähert, die eines der größten Moderne-Museen der Welt ist und einen Besucherrekord nach dem anderen verzeichnet, über eine Rollsplittbrache nähern. Der zweite Bauabschnitt wäre aber auch aus anderen Gründen dringend geboten: Einige Sammlungen der Pinakothek der Moderne darben in räumlicher Hinsicht bis heute.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass die Anfang des Jahrtausends als Stiftung zur Verfügung gestellte Sammlung Brandhorst auch als Danaer-Geschenk angesehen wurde. Denn der Freistaat sollte im Gegenzug auf dem Terrain des zweiten Bauabschnitts ein Sammlungsgebäude errichten, wodurch die Braunfels-Pläne eingeschränkt wurden. Zudem stellten Experten der Sammlung Brandhorst nicht nur ein gutes Zeugnis aus.

Und hinter tausend Stäben eine Welt

Die Kritik richtete sich, neben dem Lob einiger Sammlungsaspekte, gegen "große Blöcke von Bildern, an denen die Leere einer alt gewordenen Moderne abzulesen ist". Es sei "Kunst von vorgestern, die man zu sehen bekommt" (Willibald Sauerländer).

In der Öffentlichkeit wurde die Sammlung Brandhorst also nicht als Vision, sondern als Hypothek interpretiert. Dazu kam, dass der im Dezember 2002 entschiedene Architektenwettbewerb für den Neubau zwei Sieger hervorbrachte, wie sie unterschiedlicher kaum sein können: Zaha Hadid (London) und das Berliner Büro Sauerbruch Hutton. Hadid schlug damals ein gestisch kraftvolles, skulptural geformtes Museum vor. Sie unterlag aber in der weiteren Bearbeitungsphase gegen den zurückhaltenderen Entwurf von Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton.

Gegen den aktuellen Bilbao-Guggenheim-Gehry-Trend, der exaltierte, Baukunst sein wollende Kunstbauten hervorbringt, setzten die Berliner eher auf den Typus des dienenden Museums. Kritiker befürchteten nun aber eine zweifache Banalität: eine der Architektur und eine der Sammlung - zu Lasten der Pinakothek der Moderne.

Wer sich nun aber der Sammlung Brandhorst nähert, kommt angesichts dieser Geburtswehen aus dem Staunen kaum mehr heraus. Zwar mussten die Architekten auf Betreiben des zuständigen Bezirksausschusses auch noch die historische Stadtkante verlassen, um einige wenige Bäume zu erhalten, was dem stadträumlichen Eindruck nicht guttut; außerdem wurde der Kopfbau zur Theresienstraße hin als mehrgeschossige Antwort auf den gegenüberliegenden Nachkriegs-Wohnbau von Sep Ruf überhöht formuliert.

Aber die etwas abweisende Kantigkeit und kubische Geschlossenheit, die sich daraus ergibt, wird wettgemacht durch die suggestiv wirksame Farbigkeit der Fassade, die auf die drei unterschiedlich organisierten Bereiche im Inneren des Hauses aufmerksam macht.

Weltweit gibt es derzeit kein Architekturbüro, das so gekonnt wie Sauerbruch Hutton die Farbe als strukturelles Element der Architektur interpretiert - im Gegensatz zur Buntstift-Ornamentik mancher Häuser, bei denen die Farbe so trostvoll-missverständlich wie Knöterich eingesetzt wird.

Tatsächlich gelingt den Architekten ein eindrucksvoller Balanceakt: Einerseits muss sich der Bau auf ein handtuchschmales Restgrundstück quetschen - bedrängt von den klobigen Institutsgebäuden der Universität, die das eingeschränkte, für ein Museum im Grunde ungeeignete Grundstück im Westen begrenzen; andererseits wollte man eine betont funktionale, raumökonomische Hülle schaffen. Die Bedingungen der Banalität waren also durchaus gegeben - aber die Architekten stemmen sich gegen diese Zumutungen mit einer kraftvollen, eigenständigen Fassadensprache, die zwischen herrschaftlicher Souveränität und dienender Funktion erfolgreich zu vermitteln weiß.

Treppauf, treppab

Im Inneren aber überzeugt der Bau, den man über seine Schmalseite an der Theresienstraße betritt, vollends. Gleich hinter dem unvermeidlichen Shop und dem kleinen Café wartet eine einladend und ausdrucksstark gestaltete, hölzerne Treppe auf die Gäste. Hier geht es nach oben und nach unten in die klimatisch differenziert ausgebildeten, räumlich maßgeschneiderten, angenehm neutral wirkenden Sammlungsbereiche mit Tageslicht. Das opulente Treppenhaus versöhnt so mit den notwendigerweise in die Höhe gestapelten und daher kaum als Kontinuum erlebbaren Räumen.

Wobei die Säle selbst wohltuende, zugleich aber auch auf die Sammlungsformate abgestimmte Proportionen besitzen. Die technische Ausstattung - die kaum zu ahnen ist - ist dabei sehr ehrgeizig ausgefallen. Zum Beispiel werden die Wände temperiert - und nicht die Luft, was letztlich zu einer besseren Energiebilanz und besserer Luftqualität führt.

Der Öko-Kunst-Bau ist also gelungen. Wenn sich die Sammlung, die sich immer noch im Aufbau befindet, nun auch noch auf ihre Stärken konzentriert - wie etwa in Form des polygonal angelegten Cy-Twombly-Saals im Kopfbau, der sich zur dann einzigartigen Twombly-Etage weiten ließe -, dann könnte die mühsame Entstehungsgeschichte des Brandhorst-Museums noch zur Erfolgsgeschichte umgeschrieben werden. Aber dazu müsste man sich auch von jüngsten Planspielen verabschieden.

Erst vor einigen Tagen ist bekannt geworden, dass auf der einst von Braunfels vorgeschlagenen Piazza zwischen Pinakothek der Moderne und Institutsgebäuden, etwa auf Höhe des südlichen Abschlusses der Sammlung Brandhorst befindlich, drei Zusatzbauten entstehen sollen. Das würde den räumlichen Zusammenhang zwischen Alter Pinakothek und Moderne-Pinakothek ruinieren. Besser wäre es, in Verlängerung des neuen Museums, endlich die alten Braunfels-Pläne, wenigstens im Ansatz, zu verwirklichen.

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