Geselligkeit:Wo Gedanken die Runde machen

Elsa Bernstein alias Ernst Rosmer

Schriftstellerin und Salonière: Die Gesellschaften bei Elsa Bernstein (1866 - 1949) in der Briennerstraße in München waren legendär.

(Foto: Bifab/picture-alliance / dpa)

Literarische Salons als Orte der Emanzipation - ein neues Buch analysiert ihre Entwicklung in München im 19. und 20. Jahrhundert.

Von Antje Weber, München

Ein literarischer Salon - das klingt nach Tee, Gebäck und angeregtem Geplauder. Auch dass der Gastgeber eher eine umsichtig sorgende Gastgeberin sein könnte, lässt sich ahnen. Und so beginnt man am besten mit Elsa Bernstein: "Fast erblindet, trug sie ihr Schicksal mit einer bewunderungswürdigen Fassung, sie mußte Kunst, Geist, Musik und Menschen, die diesen Göttern dienten, um sich haben", so erinnerte sich der Germanist Friedrich von der Leyen 1960 an diese "bildungsfrohe und bildungsechte Frau" und ihren einstigen Salon. ,,Jede Pose lag ihr fern, immer, durch und durch Künstlerin, blieb sie bescheiden, freudig anerkennend, und ganz und gar Frau. In ihrer Wohnung, hoch in der Briennerstraße, in einem runden Zimmer mit hellgrün tapezierten Wänden, erwartete die Hausfrau, ganz blond, meist in ein fließendes Gewand von heller Seide gekleidet, ihre Gäste."

Elsa Bernstein (1866 - 1949) scheint, im Spiegel ihrer männlichen Bewunderer, die perfekte Salonière gewesen zu sein. Als solche ermöglichte sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Austausch großer männlicher Geister. Denn, so von der Leyen weiter: "Hier habe ich Felix Weingartner und Hugo von Hofmannsthal leidenschaftlich über neue Musik sprechen hören, hier erschien neben Ludwig Thoma und Ludwig Ganghofer, Thomas Mann; auch Franz Stuck und August von Kaulbach und ihre schönen Frauen." Und so hatte im Salon von Elsa Bernstein, die unter dem männlichen Pseudonym Ernst Rosmer übrigens auch eine bedeutende Dramatikerin war, offensichtlich alles seine schöne Ordnung.

Das Thema weiblicher Rollenzuschreibungen und mühsamer Emanzipation zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch "Münchner Salons", das der Literaturwissenschaftler Waldemar Fromm herausgegeben hat. Zwar ist nicht jeder Beitrag des recht akademischen Bandes süffig zu lesen, doch der Überblick, die Analysen sind wertvoll und nicht selbstverständlich: "Der literarische Salon im München des 19. Jahrhunderts ist bis heute kaum beachtet worden", so Fromm. Auch die Quellenlage solch privater Zusammenkünfte scheint nicht immer günstig zu sein; immerhin ließ sich meist auf Briefe, Memoiren oder verstreute Notizen zurückgreifen.

Die Mitglieder eines Salons sollten "einander gegenseitig aufregen und beleben"

Schon die Frage, was denn nun ein Salon sei und was nicht, ist nicht eindeutig zu beantworten. Je nach Zeit und Ort läuft er unter Begriffen wie "Teetisch", "Zirkel", "Kränzchen" oder "Jour". Nach dem Philosophen Friedrich Schleiermacher sollte es im Gespräch um ein "freies Spiel der Gedanken und Empfindungen" gehen, "wodurch alle Mitglieder einander gegenseitig aufregen und beleben". Die versammelte Gesellschaft sollte außerdem, so interpretiert Fromm die Berliner Salonière Sabine Lepsius, "die Tradition, nicht die Sensation pflegen, Standesdünkel ablegen und nicht auf (modische) Äußerlichkeiten achten". Wichtig waren "Takt, Sprachkultur und Gesprächskunst". Und da dafür meist Frauen zuständig waren, eröffnete ein Salon überdies zumindest theoretisch "Möglichkeiten für emanzipatorische Prozesse".

Praktisch war das nicht so einfach, das zeigen insbesondere die frühen Beispiele. "Zwischen Emanzipation und Resignation" ist etwa Miriam Käfers Beitrag über Louise Wolf überschrieben. Der Zirkel, der sich in den 1820er-Jahren um die Malerin herum bildete, gilt als "erste salonartige Zusammenkunft unter autarker Führung einer Frau in München". Louise Wolf, Tochter des Aufklärers und Verlegers Peter Philipp Wolf, studierte als eine der ersten Frauen an der Akademie der Bildenden Künste und wandte sich einer romantisch geprägten religiösen Kunst zu. So sehr sie sich jedoch außerhalb der herrschenden Normen hervortat - sie leitete sogar zeitweilig den Verlag des Vaters -, war ihr der Kampf um Anerkennung in einer patriarchalen Gesellschaft irgendwann doch zu schwer: "Himmel, welch ein gedrücktes zerarbeitetes Leben ist das der Frauen!", erkannte sie schon bald, "was hilft uns die mehrere Freiheit, als das Gefühl unserer Unglückseligkeit zu schärfen". Ernüchtert glaubte sie in späteren Lebensjahren nicht einmal mehr an den Wert von Bildung: "Was ich mehr weis als meine Mitschwestern, macht mich nicht glücklicher, es erregt nur Wünsche in mir, die ich nie befriedigen kann".

Geselligkeit: "Wo schlägt ein Herz, das bleibend fühlt?", dichtete Clemens Brentano über die Malerin und Mäzenatin Emilie Linder, die in den 1830er-Jahren in München Gesellschaften ausrichtete. Das Porträt zeigt sie in Rom 1831 und wird Rosalie Wieland-Rottmann zugeschrieben.

"Wo schlägt ein Herz, das bleibend fühlt?", dichtete Clemens Brentano über die Malerin und Mäzenatin Emilie Linder, die in den 1830er-Jahren in München Gesellschaften ausrichtete. Das Porträt zeigt sie in Rom 1831 und wird Rosalie Wieland-Rottmann zugeschrieben.

(Foto: Stiftung für Kunst des 19. Jahrhunderts, Inv. 1990.Z.1, Stiftung Heinrich Thommen "in memoriam Emilie Linder"/"Münchner Salons", Verlag Pustet)

Entsagungsvoll wirkt auch das Leben der Malerin und wohlhabenden Mäzenatin Emilie Linder, die in den 1830er Jahren in München Gesellschaften ausrichtete. Der Schriftsteller Clemens Brentano muss von ihr so angetan gewesen sein, dass er ihr Liebesgedichte widmete wie "Wo schlägt ein Herz, das bleibend fühlt?" Das fühlende Herz der Emilie Linder jedoch suchte eher Abstand, sie blieb unverheiratet und hatte den Ruf, "nur der Wissenschaft, der Kunst, allem Schönen und Guten" zu leben, wie die Zeitgenossin Emma von Suckow schrieb. Im Blick der anderen, so folgert Autor Fromm, "wird Emilie Linder zu einem entkörperlichten Wesen".

Geselligkeit: Der Schriftsteller lässt grüßen: Paul Heyse auf einer Postkarte, um 1900.

Der Schriftsteller lässt grüßen: Paul Heyse auf einer Postkarte, um 1900.

(Foto: Privatbesitz/"Münchner Salons", Verlag Pustet)

So etwas kann man über den zweimal verheirateten Frauenschwarm Paul Heyse nicht sagen. Als der Berliner Schriftsteller 1854 von König Maximilian II. nach München berufen wurde und auf eine "sehr unliterarische Gesellschaft" traf, hatte er es allerdings auch nicht leicht: Es "empfing mich eine unfreundlich, wo nicht feindselig gesinnte Schar einheimischer Kollegen, deren Verhalten gegen den Fremdling seinen Charakter stählte und ihn dazu trieb, stets sein Bestes zu geben". Seine Villa in der Nähe des Königsplatzes - die immer noch steht, allerdings wohl leider bald in größerem Stil umgestaltet werden soll - wurde von 1874 an zu einem Zentrum der Gesellschaft, mit Teestunden wie Soireen.

Geselligkeit: Besonders erlesen ging es im Palais von Hedwig und Alfred Pringsheim zu, den Eltern der späteren Katia Mann.

Besonders erlesen ging es im Palais von Hedwig und Alfred Pringsheim zu, den Eltern der späteren Katia Mann.

(Foto: Wikimedia/Wikimedia, rechtefrei)

Das literarische Leben kam in München damit langsam in Schwung; um 1900 existierten mehr als 50 unterschiedlichste Salons. Etliche von ihnen entstanden im Umfeld der bürgerlichen Frauenbewegung, zu der neben Elsa Bernheim auch Emma Haushofer-Merk oder Carry Brachvogel zählten. Gruppierungen wie die Münchner Kosmiker um Stefan George versammelten sich zu "Jours" von Hanna und Karl Wolfskehl; jeden zweiten Sonntag empfing die naturalistisch geprägte Schriftstellerin Anna Croissant-Rust in ihrem Haus Schriftsteller wie Otto Julius Bierbaum oder Oskar Panizza. Besonders erlesen ging es im Palais von Hedwig und Alfred Pringsheim zu, den Eltern der späteren Katia Mann.

Die Salons, so befand der Schriftsteller Kurt Martens, hatten sich um die Jahrhundertwende allerdings "eigentlich schon überlebt. Sie verbreiteten einen kühlen, herbstlichen Duft um sich, bald stoben ihre geistreichen, aparten Gäste wie welke Blätter auseinander". Auch in politischer Hinsicht welkte so manches. Der über Jahrzehnte berühmte Salon des Verlegers Hugo Bruckmann und seiner Ehefrau Elsa etwa tendierte in die völkische Richtung; Adolf Hitler ging hier vom Jahr 1924 an aus und ein.

Als die Nationalsozialisten schließlich an die Macht kamen, war die Zeit des freien, spielerischen Austauschs der Gedanken endgültig vorbei. Doch eine jüdische Salonière wie Elsa Bernstein hatte noch ganz andere Probleme zu bewältigen als das Ende ihrer Tee-Treffen. Sie musste in den Dreißigerjahren in immer kleinere Wohnungen ziehen, wurde schließlich - wie Carry Brachvogel - 1942 nach Theresienstadt deportiert. Sie trug dieses harte Schicksal auf wirklich staunenswerte Weise; ihre Fähigkeit, Menschen zusammenzubringen, schien sie selbst im Konzentrationslager nicht zu verlieren. Die Schriftstellerin Gerty Spies schrieb über die Begegnung in Theresienstadt: "Der enge Platz um ihre Lagerstatt ward zum Sammelpunkt für viele, die Zuflucht und Trost im Geistigen suchten - und fanden."

Münchner Salons (Hg. Waldemar Fromm), Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 248 S., 29,95 Euro

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: