Sade in München:Ode an die Kuschelmaschine

Was für eine Frau, was für Musik. Sade gibt ein grandioses Konzert in München - lesen Sie jetzt nicht weiter, wenn Sie keine hemmungslose Liebeserklärung an diese Frau vertragen.

Lars Langenau

Glatte 27 Jahre lebten wir mit der Überzeugung, "Smooth Operator" bedeutete "Kuschelmaschine" oder so etwas. Das sei so eine Art Orgasmusmaschine, die uns Woody Allen in seinem wohl besten Film, Der Schläfer von 1974, vorstellte. Zehn Jahre später, 1984 also, tauchte diese feenhafte, ebenso fremdländisch wie fabelhaft aussehende Frau namens Sade in unserem Leben auf. Es war die Zeit, als sich unsere Schulkameraden von Dr. Sommer erklären ließen, ob Petting schwanger mache. In uns hatte sich gerade die schärfste Frau, na gut: Mädchen des Schwimmvereins verschossen.

Sade Adu in concert

Noch immer so wunderschön und stilsicher wie einst: Sade Adu.

(Foto: dpa)

So richtig wussten wir noch nichts mit dem anderen Geschlecht anzufangen, aber man tastete sich vor. Im Hintergrund lief zum Kerzenlicht "Purple Rain" von Prince und natürlich: Sade. Es war eine grandiose Zeit. Im Rückblick. Damals war sie es nicht. Doch Sade war dabei, als es losging - und ihre Lieder trösteten auch noch beim ersten Liebeskummer.

Doch nun, in Vorbereitung auf dieses Konzert in der nahezu ausverkauften Olympiahalle, erfuhren wir, dass "Smooth Operator" etwas ganz anderes bedeutet als "Kuschelmaschine". Es bedeutet "Gauner" oder "Schlitzohr", und in manchen Übersetzungen ihres Liedes auch einfach "Dreckschwein". Ein Schock, aber wir haben ihn gut weggesteckt.

Genug der Vorrede. Es geht hier um eine Konzertkritik, oft genug sagen Kritiker, man schreibe da ja bloß Erlebnisberichte auf Oberstufenniveau. Mit der Einleitung wäre diesem Vorurteil genüge getan. Aber egal - der folgende Text wird nicht ganz objektiv. Es ist eine Liebeserklärung. Was für eine Frau.

Wenn es Sie nervt, hören Sie am besten sofort auf, diese "Kritik" zu lesen. Denn besser wird es nicht. Eher schlimmer.

Was für ein Selbstbewusstsein

Ah, Sie sind noch da? Dann gehen Sie nach diesem Text sofort in den nächsten Plattenladen oder Online-Shop und kaufen Sie alle Werke von Sade Adu. Angefangen von "Diamond Life" über "Promise", "Stranger than Pride" bis zur ihrem aktuellen Album. Und sichern Sie sich Karten für ihr nächstes Konzert.

Wir sind verliebt

Um 21:26 Uhr geht das Licht aus. Endlich. Bühne frei für Sade! Sie erscheint, von Kunstnebel umwabert, aus einer Luke im Boden der riesigen Bühne. Eine Frau von mittlerweile 52 Jahren.

Was für ein Sound. Was für Lieder. Wir geben es zu: Wir sind verliebt.

Leinwände übertragen zu den Klängen ihres aktuellen Hits und ihres aktuellen Albums "Soldier of Love" ihren Auftritt in Großformat. Und uns? Fällt die Kinnlade runter: Diese Frau ist noch immer so wunderschön und stilsicher wie einst. Die schwarzen Haare streng nach hinten gebunden, gewandet in schwarze Hose und Oberteil bewegt sie sich auf High Heels mit beispielloser Grazie. Das ehemalige Model ist der Inbegriff der Coolness, bleibt dabei so natürlich wie lasziv. Was für eine Frau.

Nach dem Donnerhall des ersten Auftritts spielt ihre achtköpfige Band "Your Love is King". So geht es dann zwei Stunden weiter. Alte und neue Lieder, Welthits und auch etwas abgefahrenere, sperrigere Lieder wechseln sich ab. "Skin", eine neue, sehr elektronische Ballade zu "Kiss of Life", geht über in "In Another Time" zu, ja natürlich "Smooth Operator".

Ein phantastisch durchkomponiertes Bühnenbild versetzt die Fans in Stimmungsschwankungen, die zwischen in Rotlicht getauchter Klubatmosphäre und erotischen Schattenspielen in Schwarzweiß changieren. Die Bilder und Videos vermitteln das Gefühl, auf einer Frühlingswiese lustzuwandeln ("Colours of Love") und verstehen es, uns urplötzlich in die Gefilde einer Großstadt zu versetzen. Die Bühnenbilder, die Effekte wandeln sich hundertfach, immer auf höchstem ästhetischem Niveau. Die Band begleitet mit kantigen Gitarrenriffs und elegischen Saxophoneinlagen kongenial. Alles dreht sich: "Love is Found", "Jezebel", "Still in Love with You" bis zu "Is it a Crime?".

Ab dem als Medley gespielten "Paradies/Nothing Can Come Between Us" stehen alle vor ihren Stühlen, wippen, klatschen und singen mit. Bei dem neuen, sehr ruhigen, sehr melancholischen "Morning Bird" und der Videoinstallation einer tristen Herbstlandschaft wird sich noch mal gesetzt, danach heißt es für alle in der Halle: Stehen!

Sade steht da plötzlich mit offenen Haaren, barfuß und in einem umwerfenden, weiß glitzernden, hautengen Kleid auf der Bühne, aus dem absichtlich-unabsichtlich ein roter BH blitzt. Alles andere wäre auch kein "Sweetest Taboo" mehr. Ein sehr gutes Konzert hat sich gerade in ein grandioses verwandelt.

Vom Stuhl gerissen

Aber wie könnte man auch anders als vom Stuhl gerissen zu werden, bei so einem umwerfenden Lied wie etwa "No Ordinary Love"? Es ist wahrlich keine gewöhnliche Liebe, die das Publikum mit Sade verbindet. Das ist eine ganz besondere, die auch Wartezeiten in Kauf nimmt, mal fremdgeht, aber doch immer treu bleibt. Sie ist aber auch eine Frau, wie ein Gedicht. Eine Frau, der man täglich ein Gedicht widmen würde. Und die doch Pech hatte in der Liebe.

Die Zeit bleibt niemals stehen. Nur Sade ist sich treu geblieben. Diese Frau steht zu sich, zu ihrem Alter, zu ihren großen Zeiten in den achtziger Jahren, zu ihrer Pause, als sie alleinerziehend war. Sade ist mit sich im Reinen. In einem SZ-Interview erzählte sie, dass zu ihren existentiellen Erfahrungen Männergeschichten und Liebeskummer gehören. "Alles Dinge, die für mich wichtig sind. Künstler schöpfen aus ihrem Unglück ..." Sie ist daran gewachsen. Auch dass sie es als einen "lustigen, präzisen" Kommentar empfand, als einst jemand unter ihr Poster gesprüht hatte: "The bitch sings only when she wants." Und diesen Abend hier in München, da wollte sie singen!

Was für ein Selbstbewusstsein. Was für eine Standkraft. Traumgestalt, Fee, Nixe, Katzenwesen, Engel, Bitch und Mutter. Diese Frau ist alles. Ganz bewusst - und so unglaublich cool. Sie kann herrlich stilvoll sein, und trotzdem spürt man, dass sie jedem Mann, der es unaufgefordert wagen sollte, sich ihr zu nähern, den Hals umdrehen würde. Sie hat das Mann-Frau-Verhältnis umgedreht: Sie dirigiert die hervorragenden Solisten ihrer Band und ihre Backgroundsänger, nicht andersrum.

Sie ist der Maestro. Sie wird vom Publikum vergöttert und angehimmelt - und ist so was das Gegenteil von abgehalftert. Ihre Stimme ist samtig, sexy und irgendwie nach wie vor jugendlich.

Als Zugabe ihrer perfekten Show, ihres perfekten Timings, ihrer perfekten Songs singt sie in einem atemlos machenden, wahnsinnigen, roten Kleid noch "Cherish the Day" - und erhebt sich mit einem ausfahrbaren Podest in vier Metern Höhe zur Freiheitsstatue vor dem historischen New York.

Was für eine Pose. Was für eine Frau. Eine Säulenheilige.

Nach dem Konzert gibt es draußen einen Wolkenbruch. Willkommen in der Realität.

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