Mutproben am fahrenden Zug:S-Bahn-Surfen – ein „lebensgefährlicher Leichtsinn“

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Ab hier für Unbefugte verboten: Wer die Gefahren an Zügen und auf Gleisen nicht ernst nimmt, riskiert Gesundheit und Leben. (Foto: Polizei)

In den sozialen Medien brüsten sich Jugendliche in Videos damit, wie sie sich außen an fahrende Züge hängen oder aufs Dach klettern. Was dabei passieren kann – und welche Strafen ihnen drohen.

Von Stephan Handel

Dreimal schon wurden im März Jugendliche beim sogenannten S-Bahn-Surfen erwischt. Die Bundespolizei, zuständig für die Gleisanlagen der Bahn, warnt deshalb erneut eindringlich vor dem „lebensgefährlichen Leichtsinn“.

Am Faschingssonntag, 2. März, beobachteten Fahrgäste nachmittags in Altenerding drei Jugendliche, die auf die Kupplung einer S2 kletterten. Die Fahrgäste informierten die Polizei, die jedoch nicht mehr verhindern konnte, dass der Zug abfuhr. Erst beim nächsten Halt im Bahnhof Erding wurden die Surfer von den Polizisten gestellt. Sie erwartet ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen verbotswidrigen Verhaltens auf Bahngebiet.

Wegen der drei Jugendlichen – und weil nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie unterwegs abgestiegen oder gestürzt waren – mussten andere S-Bahnen auf Sicht, also langsam fahren, was Störungen und Verspätungen nach sich zog. Die Täter können aber ein viel größeres Problem bekommen, wenn sie nämlich durch ihre Aktion „Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert“ gefährden, so steht es im Strafgesetzbuch. Dann nennt sich das „gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr“ und ist eine Straftat. Strafrahmen: sechs Monate bis zehn Jahre Haft.

Die S-Bahn-Surfer sehen ihre Taten oft als Mutproben, filmen sich dabei und veröffentlichen die Videos auf sozialen Medien. Dabei ignorieren sie die Gefahren. Wer außen auf einem Zug mitfährt – etwa auf der Kupplung –, kann jederzeit abstürzen und unter die Räder kommen. Andere öffnen Fenster oder Türen, was bei älteren Baureihen noch möglich ist, und klammern sich an die Dachkante. Ihnen droht Gefahr durch Oberleitungs- oder Signalmasten und durch Bäume. Kommt dem Zug ein anderer Zug entgegen, können starke Luftverwirbelungen entstehen, durch die Surfer den Halt verlieren können.

Eine Gefahr ist ein Stromschlag von der 15 000 Volt führenden Oberleitung

Eine andere Masche ist es, im Zug den hinteren, leer stehenden Führerstand zu entern. Ein 15-Jähriger aus Neubiberg tat dies am 16. März in einer S-Bahn zwischen Gröbenzell und Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck. Er öffnete ein Fenster und lehnte sich mit dem ganzen Oberkörper ins Freie – während der Zug mit 100 bis 120 Kilometern pro Stunde fuhr. Dabei filmte sich der Jugendliche mit einer Kamera. Ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn erwischte ihn. Als die Polizei später sein Handy untersuchte, fanden sie mehr als 50 Videos, die den Jugendlichen bei ähnlichen Aktionen zeigten.

Die gefährlichste Art des S-Bahn-Surfens ist der sogenannte Roofride, die Mitfahrt auf dem Dach des Zuges. Dabei kommen die Surfer oft der Oberleitung sehr nahe, die 15 000 Volt führt. Ein direkter Kontakt ist nicht nötig – wenn der Abstand zu gering wird, kann ein Lichtbogen überspringen. So geschah es einem 28-jährigen Mann im März 2021: Er fuhr auf dem Dach einer S-Bahn, erlitt einen Stromschlag, stürzte vom Zug und blieb schwerstverletzt im Gleis liegen.

Aus all diesen Gründen warnt die Bundespolizei entschieden vor dem S-Bahn-Surfen: „Egal, ob Mitfahren auf Puffern oder Hinauslehnen aus geöffneten Türen oder Fenstern, die entstehenden Gefahren sind unbeherrschbar“ – was als Mutprobe begann, kann leicht in Lebensgefahr enden.

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