Süddeutsche Zeitung

S-Bahn München:Angeblich sind die S-Bahnen in München pünktlich

  • Eine Statistik der Bahn bescheinigt den Münchner S-Bahnen eine fantastische Pünktlichkeitsquote.
  • Der Fahrgastverband Pro Bahn kritisiert die Zahlen, die nicht der Realität entsprächen.
  • Ein Zug gilt zum Beispiel erst dann als unpünktlich, wenn er mehr als fünf Minuten und 59 Sekunden verspätet ankommt.

Von Andreas Schubert

Mitunter braucht es schon ein bisschen Kreativität, um besser zu werden: Die jüngste Maßnahme, mit der die Münchner S-Bahn ihre Pünktlichkeit steigern wollte, war das automatische Öffnen der Türen auf der Stammstrecke. Das soll wertvolle Sekunden bringen. Und offenbar hat es etwas gebracht, zumindest aus Sicht der Bahn: Bei 96,4 Prozent liegt die Pünktlichkeitsquote laut der neuesten Statistik für das Jahr 2016. Und weil auf der Stammstrecke 30 Züge pro Stunde in jeweils einer Richtung verkehren, sind bei elf Stopps auf elf Kilometern täglich zwischen 15 und 20 Minuten Haltezeit gespart.

Den nahezu idealen Wert von 96 Prozent hatte die S-Bahn zuletzt 2006 erreicht. Doch die Türen waren nicht die einzige Maßnahme, die Bernhard Weisser, der scheidende Chef der S-Bahn, durchgesetzt hatte. So fahren die Züge etwas schneller an, Bahnsteigpersonal wurde so geschult, dass es bei Arzteinsätzen rascher hilft, die Geschwindigkeit zwischen Hauptbahnhof und Hackerbrücke wurde von 60 auf 80 Stundenkilometer erhöht, und zwischen Laim und Pasing fahren die Züge nun Tempo 110 statt 100.

Außerdem werden die Züge vom Personal im Tunnel schneller abgefertigt. Und durch die gelben Markierungen an den Türen stehen weniger Passagiere in den Lichtschranken. Alles Maßnahmen, die nur Sekunden bringen, sich aber summieren. Nun muss man freilich wissen, dass Pünktlichkeit aus Sicht der Fahrgäste eine andere ist, als die, die in die Statistik einfließt. Denn ein Zug gilt erst dann als unpünktlich, wenn er mehr als fünf Minuten und 59 Sekunden verspätet ankommt.

Andreas Barth, Münchner Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn, nennt die jüngsten Zahlen denn auch eine "Jubelstatistik, die mit der Realität nichts zu tun hat". So werden etwa Züge, die ausfallen oder bei größeren Störungen vorzeitig in Pasing, am Hauptbahnhof oder am Ostbahnhof enden, nicht in der Statistik geführt. Und auch wenn die sogenannten Taktverstärker gestrichen werden - Züge, die zur Rush-Hour einen Zehn-Minuten-Takt bieten - fällt dies in der Statistik nicht auf. Zudem lasse die Bahn immer wieder mal Züge an Stationen vorbeirauschen, um Verspätungen aufzuholen. "Man muss sich schon fragen, fährt die S-Bahn für die Statistik oder für die Fahrgäste", sagt Barth. "Besser wäre zu erheben, wie viel Prozent der Fahrgäste wie pünktlich ihr Ziel erreichen." Und das würde sich nach Einschätzung Barths bei Weitem nicht mit den 96,4 Prozent decken, die die Bahn ermittelt hat.

Die Pünktlichkeit, die in den offiziellen Wert einfließt, wird an zwei Stationen an der Stammstrecke gemessen: an der Hackerbrücke und der Rosenheimer Straße. An den Außenästen, kritisiert Barth, seien die Werte aber oftmals im roten Bereich. Was er auch vermisst, ist eine Statistik für die einzelnen Züge, doch die gibt die Bahn nicht bekannt.

Ein Sprecher der Bahn räumt ein, dass die Werte für einzelne Linien zwar erfasst, aber nicht öffentlich kommuniziert werden. Was die Pünktlichkeit an den Außenästen betrifft, widerspricht der Sprecher. Auch hier messe die Bahn für interne Zwecke. Und dieser Wert komme der offiziellen Zahl ziemlich nahe.

Wie auch immer die Statistik interpretiert wird, fest steht: Für die S-Bahn war 2016 ein gutes Jahr, nicht zuletzt wegen des milden Winters. Der Wert für den diesjährigen Januar, in dem unter anderem immer wieder Eisbrocken die Weichen behinderten, was zu Verspätungen und Zugausfällen führte, wird mit Sicherheit schlechter ausfallen als voriges Jahr.

Schaut man sich die Tabelle mit den Gründen für die Verzögerungen an, so sind "Personen im Gleis" die häufigste Störung. 318 Mal kam dies 2016 vor, im Jahr davor 287 Mal. Notarzteinsätze gab es insgesamt 251, dazu zählen allerdings nicht die Unfälle, bei denen Menschen verletzt wurden. Das sind nochmal 60 Fälle. Um zu verhindern, dass Menschen auf die Gleise laufen, zum Beispiel betrunkene Biergarten- oder Konzertbesucher aus dem Backstage in der Nähe des Hirschgartens, hat die Bahn dort einen Zaun errichtet. Als nächstes sollen an den Bahnsteig-Enden Türen eingebaut werden, damit niemand mehr so leicht in den Tunnel laufen kann. Die bisherigen Absperrungen sind relativ leicht zu überwinden.

Dass die S-Bahn den aktuellen Rekordwert noch überschreitet, glaubt der Bahnsprecher nicht. Das gehe nur mit einer zweiten Stammstrecke. Mit 840 000 Passagieren an Werktagen sei die Kapazitätsgrenze erreicht. Das ist wohl auch das, was viele Fahrgäste tagtäglich erleben, wenn sie mal wieder am Bahnsteig warten. Pro-Bahn-Sprecher Barth findet denn auch, dass so eine aus seiner Sicht nicht aussagekräftige Statistik der Glaubwürdigkeit der S-Bahn schadet. "Die Leute sehen ja, dass die S-Bahn unpünktlich ist. Damit tut man sich keinen Gefallen."

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SZ vom 03.02.2017/jey
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