Süddeutsche Zeitung

S-Bahn:Züge fallen wegen zu wenig Personal aus

  • Die Bahn hat zu wenige Lokführer für die S-Bahn in München. Einige Linien mussten dafür bereits vorübergehend ausgedünnt werden.
  • Bislang gibt es keine Garantie, dass eine solche Situation nicht wieder eintritt.
  • Dabei warnen Gewerkschaften und Politik schon lange vor diesem Problem.

Von Marco Völklein

Mancher Fahrgast erinnert sich gut an die Zeit Anfang August. Über mehrere Tage musste die S-Bahn die Verstärkerzüge unter anderem auf den Linien S 2, S 4 und S 8 ausfallen lassen, weil nicht genügend Lokführer zur Verfügung standen.

Für den kommenden Sommer deutet sich jetzt eine ähnliche Situation an: "Es kann sein, dass wir nicht umhin kommen werden, unsere Leistungen ausdünnen zu müssen", kündigt S-Bahn-Chef Bernhard Weisser an. Die Deutsche Bahn (DB) als Betreiberin der S-Bahn werde "alle Hebel in Bewegung setzen", um das zu verhindern, sagt Weisser.

Allerdings: Erfolg kann er dabei nicht garantieren. Voraussichtlich Anfang kommenden Jahres, wenn klar ist, auf welchen Strecken wie lange gebaut werden wird im Sommer, werde die Bahn definitiv sagen können, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Züge ausfallen werden. "Dann können sich unsere Kunden darauf einstellen", sagt Weisser.

Woran das liegt

Hintergrund des Schlamassels ist akuter Lokführermangel bei der S-Bahn kombiniert mit der verstärkten Bautätigkeit des Konzerns im Netz. In diesem Sommer stellte sich die Situation so dar: Weil auf zwei Linien gebaut wurde und dort auf den Außenästen zusätzliche S-Bahnen pendeln mussten, benötigte der Konzern deutlich mehr Personal in den Führerständen als normal.

1100 Mitarbeiter

sind bei der Deutschen Bahn für den Betrieb der Münchner S-Bahn zuständig. Etwa 600 davon arbeiten als Lokführer in den Führerständen der Triebfahrzeuge vom Typ ET 420 und ET 423. Außerdem untersteht der S-Bahn das Betriebswerk in Steinhausen mit etwa 250 Mitarbeitern, in dem die Fahrzeuge gewartet und repariert werden. Für den Betrieb der U- und Trambahnen sowie einen Teil der Busse sind bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) direkt etwa 750 Menschen angestellt. Der weitaus größere Zahl aber, nämlich gut 2600 Beschäftigte, erbringen als Arbeiter und Angestellte der Stadtwerke (SWM) diverse Dienste im Auftrag der SWM-Tochter MVG.

Doch diesen Mehrbedarf gibt der Dienstplan nicht her. Man habe "eine leichte Unterdeckung" des Bedarfs, sagt Weisser. Um aber den Betrieb stabil aufrecht zu erhalten, sei ein "leichter Überbestand" nötig. Dieser sei zuletzt 2011 erreicht gewesen, sagt Weisser. Dann aber seien viele Lokführer unter anderem zu Bahnbetreibern in die neuen Bundesländer abgewandert und hätten bei Münchens S-Bahn ein Loch gerissen.

Die Eisenbahnergewerkschaften GDL und EVG warnen seit Jahren vor dieser Situation. Von einem "dauerhaften Personalmangel" bei der S-Bahn spricht Uwe Böhm, Bayern-Chef der Lokführergewerkschaft GDL - auch wenn S-Bahn-Chef Weisser betont, die DB habe seit 2010 gut 350 neue Lokführer bei der S-Bahn neu eingestellt, 320 davon zuvor selbst ausgebildet. Zudem will er in den kommenden Jahren die Ausbildung weiter ausbauen.

Doch auch die Konkurrenzgewerkschaft EVG, die weniger die Lokführer, vielmehr Beschäftigte aus anderen Konzernbereichen vertritt, warnt vor einer "Überalterung" der DB-Belegschaft. So würden in den nächsten Jahren neben Stellen in diversen Werkstätten auch Fahrdienstleiterposten in den Stellwerken frei werden. "Dafür benötigt die Bahn dringend qualifiziertes Personal", heißt es bei der EVG. Andernfalls komme es zu Situationen wie im Sommer 2013 im Mainzer Hauptbahnhof: Weil Fahrdienstleiter im Stellwerk fehlten, fielen über Wochen Züge im Nah- und Fernverkehr aus.

Das Problem hat auch die Politik erkannt: 2012 startete der damalige Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) zusammen mit bayerischen Bahn-Unternehmen und den Gewerkschaften eine Fachkräfteinitiative. Über ein Internetportal sowie einen bayernweiten Tag der offenen Tür in Bahnbetrieben und -werkstätten sollten junge Leute für Bahnberufe begeistern. Wie erfolgreich die Aktion ist, lässt sich schwer sagen.

Ein "kausaler Zusammenhang zwischen Maßnahme und Zielansatz" sei "nicht seriös zu quantifizieren", heißt es aus dem Haus des heutigen Verkehrsministers Joachim Herrmann (CSU). DB-Betriebsräte kritisieren, alleine mit Aktionstagen und Reklameblättchen werde man nicht genügend Leute finden. Früher, erinnern sich EVG-Gewerkschafter, habe die Bahn mit Betriebswohnungen locken können - gerade im teuren München sei dies ein nicht zu unterschätzender Faktor gewesen. Doch dann trennte sich der Konzern nach und nach von seinem Wohnungsbestand. Mit günstigen Mieten kann er nun nicht mehr punkten.

Das haben auch führende Bahnmanager erkannt. Im Januar hatte Bayerns oberster DB-Lenker Klaus-Dieter Josel angekündigt, der Konzern werde nach Lösungen suchen. Mittlerweile stehen nach Auskunft eines Sprechers möblierte Apartments in Innenstadtnähe bei einer Wohnungsbaugesellschaft zur Verfügung, die an Mitarbeiter vergeben werden - allerdings meist nur an solche, die von außerhalb nach München kommen und sich dann hier eine größere Wohnung suchen. Für die 13 bis 18 Quadratmeter kleinen Wohnungen nahe des Sendlinger Tors beispielsweise zahlen die Beschäftigten laut DB monatlich ab 530 Euro warm. Aus der Sicht altgedienter Gewerkschafter reicht das aber nicht aus, um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren.

Was die MVG gegen Personalmangel macht

Ganz anders verfahren die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) zusammen mit ihrem Mutterunternehmen, den Stadtwerken (SWM). Beide wollen in den kommenden Jahren unter anderem auf dem Gelände des Bus-Betriebshofs an der Zschokkestraße in Laim sowie in der Nähe der SWM-Zentrale in Moosach mehrere hundert Werkswohnungen für Mitarbeiter errichten. Diese sollen auch dazu dienen, zusätzliches Personal zu finden - und langfristig an sich zu binden.

Zudem zahlt der SWM-Konzern seinen Mitarbeitern intern eine Prämie, wenn es gelingt, aufgrund einer Empfehlung eine neue Kraft anzustellen. Denn nach Auskunft der Gewerkschaft Verdi operiert auch die MVG, ähnlich wie die DB bei der S-Bahn, mit einer eher dünnen Personaldecke. Zwar hat die MVG seit 2011 etwas mehr als 750 Mitarbeiter für den Fahrdienst eingestellt - "das reicht aber nicht aus", sagt Verdi-Sekretär Franz Schütz. Um den langfristigen Bedarf zu decken, müsse das Unternehmen seine Anstrengungen steigern.

Auch ein MVG-Sprecher räumt ein, dass "wir weiterhin neue Kollegen im Fahrdienst brauchen". Daher bilde man weiter zusätzliche Kräfte aus. Es könne auch mal vorkommen, dass "aufgrund einer kurzfristigen Erkrankung" ein Bus oder eine Bahn ausfalle - das sei "aber nichts Neues", erklärt der Sprecher weiter. Umfangreichere Ausfälle, wie sie sich jetzt bei der S-Bahn für den kommenden Sommer möglicherweise abzeichnen, gebe es bei der MVG jedenfalls nicht.

Was Fahrgastvertreter zur S-Bahn-Situation sagen

Für Fahrgastvertreter wie Andreas Barth von Pro Bahn ist es schlicht unverständlich, dass die S-Bahn den Lokführermangel nicht in den Griff bekommt: "Es ist Kernaufgabe des Unternehmens, die Leistung zu bringen." Notfalls müsse der Freistaat bei der geplanten Neuausschreibung des S-Bahn-Netzes höhere Strafzahlungen festsetzen, die bei Zugausfällen zu entrichten wären.

"Offenbar tun die heutigen Strafen noch nicht genügend weh", sagt Barth. Bislang ist es so, dass bei Zugausfällen der Freistaat der DB keinen Cent zahlt. "Glauben Sie mir", entgegnet S-Bahn-Chef Weisser, "jeder ausgefallene Zugkilometer tut mir finanziell weh". Deshalb setze der Schienenkonzern auch alles daran, das Lokführerproblem zu lösen.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2015/axi/doen
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