Süddeutsche Zeitung

S-Bahn:Freistaat zahlt 71 Millionen für neue Abstellgleise

  • Der Betriebshof zur Wartung von S-Bahnzügen in Steinhausen soll bis 2020 um sechs Gleise erweitert werden.
  • Die Kosten von 71,5 Millionen Euro übernimmt zu 96 Prozent der Freistaat.
  • Der Ausbau wird nötig, weil nach dem Bau der zweiten Stammstrecke auch die S-Bahn-Flotte vergrößert wird.

Von Andreas Schubert

Von unten sieht so eine S-Bahn gleich noch viel wuchtiger aus. Gerade haben die Mechaniker einen Zug aufgebockt, um einen Motor auszutauschen. Acht solcher elektrischer Antriebe hat ein Wagen vom Typ ET 423. Zusammen bringen sie es auf eine Leistung von 1600 Kilowatt, das entspricht etwa 2175 PS. Irgendwo in der Halle ist Maschinenlärm zu hören, der von den Wänden widerhallt. Überall im Betriebshof der Münchner S-Bahn wird rund um die Uhr gewerkelt, Warnschilder mahnen zum Tragen von Schutzhelmen, auf den eisernen Stegen über den Zügen ist Material gelagert.

Ein Morgen in Steinhausen, wo seit 1972 die S-Bahnzüge gewartet, repariert, geputzt und wieder für den Einsatz bereit gestellt werden: Es ist recht eng in dieser mehr als 200 Meter langen Halle, die gebaut wurde, als die Münchner S-Bahn noch 150 Züge hatte statt heute 253. Und an den Zügen gibt es für die 175 Mitarbeiter des Betriebshofs praktisch immer etwas zu tun. Klimageräte oder Kupplungen müssen ausgetauscht oder Achsen mit Ultraschall auf Schäden untersucht werden. Und und und. Wer von oben aus dem benachbarten SZ-Hochhaus auf das S-Bahn-Werk schaut, ahnt nichts von dem regen Betrieb, der auf den acht Gleisen in der Halle herrscht, sieben Tage die Woche.

Selbst wenn keine Schäden aufgefallen sind, nehmen die Mitarbeiter die Züge alle 11 000 Kilometer genau unter die Lupe, bei einem Auto wäre das in etwa die kleine Inspektion. Die große Inspektion kommt dann bei 500 000 Kilometer, etwa alle drei Jahre. Dann werden die Achsen mit Ultraschall auf Schäden untersucht, Man denkt an den ICE-Unfall vor 19 Jahren in Eschede, als wegen eines gebrochenen Radreifens ein Zug entgleiste und mehr als 100 Menschen starben. Doch diese Radkonstruktion gibt es nicht mehr, betont Werkleiter Christian Bornschein. Beim Zugtyp der Münchner S-Bahn könne so etwas nicht passieren, trotzdem wollen die Verantwortlichen potenzielle Sicherheitsrisiken ausschließen.

Doch nicht nur die technische Seite muss in Ordnung sein, ein großes Thema bei der S-Bahn ist die Sauberkeit. Alle zwei Wochen rollt ein Zug durch die Waschanlage, wo er von toten Fliegen und sonstigem Dreck befreit wird. 20 Waschgänge schaffen sie in Steinhausen an einem Tag. Für die Fahrgäste wichtiger ist aber die Reinigung des Innenraums. Auf der Strecke ist immer ein Bahnmitarbeiter unterwegs, der in den Wagen möglichst unauffällig, ohne die Fahrgäste zu belästigen, den gröbsten Schmutz und Abfall beseitigen soll.

Im Betriebshof gibt es dann die umfassende Schönheitskur: Sitze werden nass gesaugt, Böden gewischt, Decken und Fenster geputzt. "Im Vergleich zu Berlin oder Frankfurt sind wir relativ sauber", sagt Erich Brzosa, der Geschäftsführer Produktion bei der S-Bahn. Und Lob hat er bei dieser Gelegenheit auch gleich für die Münchner Fahrgäste, die schonend mit den Zügen umgingen. Trotzdem fallen laut Brzosa pro Tag etwa 1,5 Tonnen Müll an.

Die Abläufe in Steinhausen sind routiniert, nichts wirkt hektisch. Selbst als vor sechs Jahren das Alkoholverbot in den Zügen eingeführt wurde, ein Flashmob eine ausufernde "S-Bahn-Party" feierte und dabei einige Züge ziemlich ramponierte, blieben sie im Werk gelassen. "In zwei Tagen war alles wieder in Schuss", sagt Werkleiter Bornschein. Dass die Arbeiten reibungslos vonstatten gehen und immer genug Züge für den Einsatz bereit stehen, dafür sorgen Helmut Schönauer und sein Team.

Er ist der Leiter der Bereitstellung und sieht auf seinem Bildschirm, in welchem Zustand die einzelnen Züge sind: Rot markierte Züge sind abgestellt und müssen gewartet werden, an blauen wird gerade gearbeitet, in den violetten ist das Putzteam im Einsatz. "Die grünen Züge sind startklar", sagt Schönauer. Er und seine Leute stellen auch die Züge zusammen, je nach Bedarf zu Vollzügen, die aus zwei Wagen bestehen, oder zu Langzügen mit drei Wagen.

Dank der Digitalisierung können in Steinhausen wesentlich mehr Züge bearbeitet werden als früher, als sie noch mit Zetteln hantierten. Doch trotz aller moderner Technik sind sie auch im Werk Steinhausen allmählich an den Grenzen angelangt. Wenn die S-Bahn-Flotte nach dem Bau der zweiten Stammstrecke erweitert wird, reicht der Platz einfach nicht mehr. Deshalb wird in den kommenden drei Jahren die bestehende Abstellanlage um sechs zusätzliche Gleise erweitert. 71,5 Millionen kostet das, 96 Prozent der Kosten übernimmt der Freistaat.

Zum Spatenstich am Mittwoch ist deshalb auch der in Spatenstichen recht erfahrene Innen- und Verkehrsminister Joachim Herrmann gekommen. Bevor er zusammen mit Bürgermeister Josef Schmid und Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel zum überdimensionierten Spaten greift, präsentiert sich Herrmann einmal mehr als bekennender Eisenbahnfreund. Als sich drei Lastwagen an der Feierrunde vorbeischieben, lästert der CSU-Minister über den Lärm und die Abgase der Lkw und preist die Vorzüge der vergleichsweise leise vorbeifahrenden S 8.

Herrmann betont, die Erweiterung der Abstellanlage sei ein Zeichen, dass es mit dem Ausbau des Bahnknotens München weitergehe. Die oft wiederholte Aussage, dass es wegen des zweiten S-Bahntunnels künftig kein Geld mehr für andere Projekte im öffentlichen Nahverkehr gebe, seien "grober Unfug". Die Erweiterung des Betriebshofes sei ein Schritt, die S-Bahn leistungsfähiger zu machen. Züge müssten nicht mehr an den Außenästen geparkt werden und stünden so schneller zur Verfügung.

Das Bauprojekt auf dem Gelände des früheren Güterbahnhofs ist neben der Neufahrner Kurve und der zweiten Stammstrecke eine von drei großen Maßnahmen im Raum München. Beim Bahnausbau wolle man jetzt "Tempo machen", sagt Klaus-Dieter Josel. Mitte 2020 sollen die neuen Abstellgleise fertig sein. Um Platz zu schaffen, wird auch die Trasse der S 8 zwischen Leuchtenbergring und Daglfing um etwa 25 Meter nach Süden verlegt.

Und den Platz braucht die Bahn auch. Noch vor der kompletten Erneuerung der Flotte wird die S-Bahn 21 gebrauchte Züge vom Typ ET 420 anschaffen und umbauen, damit sie für die Stammstrecke tauglich sind. Damit sollen die Kapazitätsprobleme zumindest gelindert werden. Dass ihnen irgendwann die Arbeit ausgeht, müssen die Mitarbeiter in Steinhausen also nicht befürchten, im Gegenteil. Beim Besuch in der Ausbildungswerkstatt ruft Erich Brzosa den jungen Männern "Werd's bald fertig!" zu. Denn gut ausgebildete Arbeitskräfte sind begehrt bei der S-Bahn, alle Azubis werden übernommen. Sie nennen sich hier tatsächlich "Bahnfamilie".

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SZ vom 13.07.2017/libo
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