Vortrag und Lesung:Die Spurendeuterin

Vortrag und Lesung: Die Schriftstellerin Ruth Rehmann engagiert sich in der Friedensbewegung und kandidiert bei der Bundestagswahl 1983 für die Grünen.

Die Schriftstellerin Ruth Rehmann engagiert sich in der Friedensbewegung und kandidiert bei der Bundestagswahl 1983 für die Grünen.

(Foto: Brigitte Friedrich)

Ruth Rehmann (1922 - 2016) verstand sich hervorragend auf die Erkundung deutsch-deutscher Verhältnisse unter Schriftstellern. Anlässlich ihres 100. Geburtstages erinnert die Akademie der Schönen Künste einen Abend lang an die Autorin.

Von Sabine Reithmaier, München

1947 findet - noch vor der Teilung Deutschlands - der "Erste Gesamtdeutsche Schriftstellerkongress" statt. 283 Autoren, Verleger und Journalisten aus den vier Besatzungszonen sind eingeladen. Zum ersten Mal nach dem Krieg treffen Exil- und in Nazi-Deutschland gebliebene Autoren aufeinander. Die Konflikte sind programmiert, die Auseinandersetzungen heftig.

42 Jahre später beschließt die Schriftstellerin Ruth Rehmann (1922-2016) dieser Tagung nachzuspüren, um die Geschehnisse der Vergangenheit zu verstehen und sie für sich und andere einzuordnen. Ihre Spurensuche hat sie 1993 in "Unterwegs in fremden Träumen" festgehalten, einem bis heute lesenswerten, exakt recherchierten und hervorragend erzählten Buch. Die Autorin wäre heuer 100 Jahre alt geworden, Anlass für die Akademie der Schönen Künste, ihrem ehemaligen Mitglied einen Abend zu widmen, in dem es auch, aber nicht nur um dieses Buch geht.

Fast alle ihre Werke sind in einer erkennbaren Nähe zum eigenen Leben geschrieben, doch "Unterwegs in fremden Träumen" ist besonders stark autobiografisch geprägt. Rehmann verknüpft die historischen Geschehnisse mit Fragmenten ihres Lebens, längst vergangenen genauso wie aktuellen. Während sie den Kongress rekonstruiert, erkundet sie eigene Realitäten und Träume, notiert hellhörig den Stimmungswechsel zur Wendezeit, die neue Hast, die Unzufriedenheit ihrer ostdeutschen Freunde. Und erinnert ihr eignes bewegtes Leben.

Als Tochter eines Pastors in Siegburg geboren besucht sie erst eine Dolmetscherschule, studiert dann Kunstgeschichte, Archäologie, Germanistik und schließlich Geige, bevor sie zur Wehrmacht als Bürokraft dienstverpflichtet wird. 1945 flieht sie nach Oberbayern, nimmt ihr Geigenstudium wieder auf, schließt mit Konzertreife ab. Sie singt Chansons in einem Heidelberger Nachtclub, unternimmt lange Reisen nach Algerien, Griechenland und Frankreich, arbeitet als Lehrerin, ist Pressechefin an der Indischen Botschaft in Bonn. Später engagiert sie sich in der Friedensbewegung, kandidiert bei der Bundestagswahl 1983 für die Grünen, lebt in Trostberg.

Ihre Erinnerungsbilder tauchen wie Splitter auf. Manches deutet sie nur an, anderes breitet sie detailliert aus. In den Fünfzigerjahren beginnt sie zu schreiben. 1958 liest sie vor der Gruppe 47 in Großholzleute das erste Kapitel ihres ersten Romans "Illusionen", gerade neu aufgelegt vom Aviva Verlag. Sie erntet Lob. Doch nach ihr liest Günther Grass aus der noch unveröffentlichten "Blechtrommel", der Rest ist Geschichte. Aber Rehmann hat nachdrücklich auf sich aufmerksam gemacht.

Illusionen enttarnt sie bereits in diesem Erstling, legt geduldig und akribisch Täuschungen offen, in diesem Fall diejenigen von vier Büroangestellten. Der Methode bleibt sie auch in weiteren Romanen und Erzählungen treu. Besonders erfolgreich ist "Der Mann auf der Kanzel" (1969). Darin setzt sie sich mit der Geschichte ihres Vaters auseinander, der als Pfarrer glaubt, sich vom Nationalsozialismus fernhalten zu können, eine Illusion, die letztlich das verbrecherische System stärkt.

Um den Schriftstellerkongress zu rekonstruieren, reist sie im Mai 1990 nach Berlin, um das Protokoll desselben, ein lang nicht zugängliches 800-seitiges Typoskript, im Archiv des Schriftstellerverbands Ost einzusehen. Peinlich berührt hat sie zuvor die erste deutsch-deutsche PEN-Tagung in Kiel verlassen, auch das eine Erkundung deutsch-deutscher Verhältnisse. Auch hier gegnerische Fronten, am heftigsten schießen die Ausgebürgerten der ehemaligen DDR. Die Beschossenen sind "die zum PEN delegierten Dableiber", die teils Schuldbekenntnisse ablegen, teils Rückzugsgefechte führen. "Die Westler halten sich mehr oder weniger raus. Sie sind nicht im Schußfeld." Sie begnügen sich, ab und an eine Hand auf eine "Ossi-Schulter" zu legen, "nett, locker, kollegial, angefüllt mit gutem Wein und Good-will." Die Tagung endet mit heftigem Streit.

Ein großes Lesevergnügen sind Rehmanns Charakterstudien, sie zeichnet die Kongress-Teilnehmer des Jahres 1947 behutsam und eindringlich, ruft fast schon vergessene Autoren ins Gedächtnis: den Amerikaner Melvin Lasky, der auf dem Kongress unvermutet die gegensätzlichen Fronten definiert, den russischen Schriftsteller Valentin Katajew, der daraufhin zum Gegenschlag gegen den "lebendigen Kriegsbrandstifter" ausholt, die rhythmisch raunende Anna Seghers, die nur ein Referat hält und sonst kein Wort sagt, die elegante Elisabeth Langgässer, die im Kongress als "würdige Vertreterin der Inneren Emigration" gilt, den eloquenten Friedrich Wolf oder den leisen, aber entschiedenen Stephan Hermlin.

"Mein Schreiben war immer darauf gerichtet, Kompliziertes einfach zu machen, durchsichtig, klar, überschaubar, mitteilbar. Keine literarischen Experimente!", schreibt Ruth Rehmann. "Ich ziehe behutsam an einem einzigen Fädchen, nichts im Sinn, als seinem Lauf nachzugehen. Aber dabei bleibt es nie." Auf jeden Fall ist es ist mehr als anregend, ihrer Erinnerungsarbeit zu folgen.

Ruth Rehmann, Kompliziertes einfach machen, mit Uwe Timm, Dagmar Leupold, Gert Heidenreich, Mittwoch, 29. Juni, 19 Uhr, Bayerische Akademie der Schönen Künste, Max-Joseph-Platz 3, Eintritt frei.

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