Süddeutsche Zeitung

Performance:Die letzten Dinge

Ruth Geiersberger erfindet in der Kirche St. Paul konzertante Andachten voller Trost.

Von Egbert Tholl

Man sollte sich nicht wundern, wenn einem derzeit im Bahnhofsviertel ein mobiler Beichtstuhl begegnete. Mobile Beichtstühle sind selten, dieser hier verfügt über eine Cognac-Abfüllungsgelegenheit und Ruth Geiersberger. Die sitzt auf der einen Seite, auf der anderen kann Platz nehmen, wer will. Das sieht man im Video. Der Beichtstuhl selbst rollt indes in sein natürliches Habitat hinein, eine Kirche, St. Paul an der Theresienwiese, welche ja einer der schönsten Orte für Kunst in dieser Stadt ist.

Ruth Geiersberger hat eine neue, sehr schöne Reihe performativer Verrichtungen erfunden, die "Verlassenschaften" heißt und ihren Ursprung in St. Paul hat. Von dort zieht sie hinaus in die Welt, am Samstag, 12. November etwa in den Laden für Begräbniskunst im Marienhof an der Rückseite des Rathauses, am Donnerstag, 24. November ins Ägyptische Museum, wo um 20 Uhr Hannes Benedetto Pircher dazukommen wird, ehemaliger Jesuit und Gradredner, natürlich aus Wien. Und zum Abschluss kehrt die Unternehmung wieder nach St. Paul zurück, am Sonntag, 27. November, wo man dann etwas im weitesten Sinne ähnliches erleben kann wie dort zu Beginn dieses Monats, der ja traditionell dem memento mori gewidmet ist.

Damals brauste ein Akkordeon wie eine ferne Brandung durchs Kirchenschiff, zu Michel Watzinger, der bald ans Hackbrett wechselte, gesellten sich Evi Keglmaier, ebenfalls mit ihrem Akkordeon, aber auch mit ihrer Bratsche, Maria Reiter und Geiersberger selbst, irgendwann spielte Peter Gerhartz Orgel, und alles zusammen war ein wundervoll leichtes, bezaubernd tröstliches Nachsinnen über das, was bleibt, wenn man geht. Also, wenn man nicht mehr da ist.

Volksliedton ist immer Trost, wenn er zauberhaft schön gesungen wird, einzelne Sätze können es auch sein. Man versteht sofort, dass Geiersberger nicht "in einer Welt ohne Kathedralen leben will", wegen deren Erhabenheit, deren Glanz und wegen des "gebieterischen Schweigens". Schweigen kann sehr schön sein, wenn man es erspüren kann, und das lassen Geiersbergers "Verlassenschaften" wundervoll zu. "Der Tod geht uns nichts an. Solange wir da sind, ist er nicht da. Stellt er sich ein, sind wir nicht mehr da." Und was ist mit dem Tod eines geliebten Menschen? Da hilft ein Klang, ein Ton, ein Halleluja.

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