Süddeutsche Zeitung

Auer Dult:Das letzte Jahr des Russenrads

Nach 94 Jahren fährt das traditionsreichste Fahrgeschäft auf dem Mariahilfplatz seine letzte Saison. Die Geschwister, die das Rad in der dritten Generation betreiben, blicken zurück.

Franz Kotteder

Es kommt schon vor, dass die Leute Herbert Koppenhöfer, 73, und seine Schwester Edith Simon bitten, das Russenrad mal etwas länger stillstehen zu lassen, wenn ihre Gondel ganz oben ist. Aber auch der eigene Sohn? Mit seiner Freundin? Da ahnte Edith Simon schon etwas, und als die beiden wieder ausstiegen, war klar: Er hatte ihr einen Heiratsantrag gemacht, und sie hatte ihn angenommen.

Das 14 Meter hohe Russenrad ist eben der Gipfelpunkt der Romantik auf der Auer Dult. Nicht nur Simons Sohn hat sich hier erklärt. "Verlobungen gab es öfters", sagt Edith Simon und lächelt, "einmal ist sogar ein Brautpaar nach der Trauung in der Mariahilfkirche zu uns gekommen und ist dann ein paar Runden in einer blumengeschmückten Gondel gefahren." Achtung, Verliebte und Heiratswillige, die das nachmachen wollen: Dafür ist von diesem Samstag an, wenn die Jakobidult auf dem Mariahilfplatz beginnt, nur noch 34 Tage lang Zeit. Denn nach dieser Saison wird das 94 Jahre alte, kleine Riesenrad keine Runden mehr drehen. "Auch wenn einem da das Herz blutet", wie Edith Simon sagt. Aber neue Auflagen machten den Betrieb unrentabel, und dann sind die beiden Geschwister auch nicht mehr die jüngsten, wie sie selbst sagen.

Wegen europäischer Sicherheitsauflagen müsste die 1925 in Thüringen gebaute "Russische Schaukel" mit erheblichem Aufwand umgebaut werden - Bestandsschutz für alte Fahrgeschäfte wie in den anderen Ländern gibt es in Deutschland merkwürdigerweise nicht. Und so haben sich Edith Simon und ihr Bruder Herbert entschlossen aufzuhören. Für sie ist es auch ein rundes Datum. Nach dem Tod des Vaters 1999 haben sie das Fahrgeschäft gemeinsam betrieben. 20 Jahre sind das jetzt, eine runde Zahl. Diese Jakobidult nehmen sie noch mit, dann das Oktoberfest, schließlich die Kirchweihdult. Und dann geht eine große Münchner Schaustellertradition zu Ende. "Die Kinder haben andere Berufe", sagt Edith Simon. Ist eh schon schön, dass sie sich für Auf- und Abbau Urlaub nehmen. Andere Helfer gibt es praktisch kaum noch, und: "Man kriegt ja keine neuen Leute mehr."

Seit den Fünfzigerjahren sind die beiden Geschwister dabei, gleich nach der Schule ging es auf die Dult. Der Opa Josef Esterl, ein Schuster, hatte damals das Russenrad bauen lassen, nachdem er sich erst mit seinem Bruder zusammengetan hatte, der mit einer Schaustellerstochter verheiratet war. Esterls Tochter heiratete dann einen Schreiner, der so zum Schausteller und zum Vater von Edith und Herbert wurde. Das Russenrad aber kam weit herum, bis nach Norwegen und Finnland gar, und auf dem Markusplatz in Venedig stand es auch schon mal. "Damals wurden die Einzelteile mit Gondeln hintransportiert", erzählt Herbert Koppenhöfer, "eine Gondel hat dem Gewicht mal nicht standgehalten und ist gesunken." Taucher mussten dann die Bauteile wieder aus dem Canal Grande herausholen.

Das ist lange her, später war man dann nur noch im bayerischen Raum unterwegs, seit den Achtzigerjahren beschränkten sich der Vater und seine beiden Kinder auf die drei Dulten und die Wiesn. "Die Dult hat sich all die Jahre praktisch nicht verändert", sagt Edith Simon, "die Wiesn schon sehr." Im kommenden Jahr, so viel ist klar, wird sich aber auch die Dult sehr verändern. Denn dann gibt es kein Russenrad mehr dort, und das ist doch ein gewaltiger Einschnitt.

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Quelle:
SZ vom 27.07.2019/flud
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