Süddeutsche Zeitung

Nach Rottweiler-Attacke am Münchner Hauptbahnhof:"Waren Sie vor Ort, haben Sie sich beißen lassen?"

  • Ein Rottweiler hat am vergangenen Wochenende fünf Menschen in der Münchner Innenstadt angefallen und verletzt.
  • Den alarmierten Polizisten ist es nicht gelungen, das Tier zu beruhigen, als es erneut angriff, wurde es erschossen.
  • Nun hat die Halterin ein Video über den Einsatz gepostet - und eine weitere Debatte darüber ausgelöst.

Von Melanie Staudinger

Das Video dauert keine drei Minuten. Es ist verwackelt, ständig fahren Autos durchs Bild. Und doch wurde der Clip im Internet seit Dienstagabend fast 500 000 Mal angeschaut. Er zeigt, wie eine Frau versucht, ihren Hund zu beruhigen. Wie auch Polizisten versuchen, das Tier zu bändigen. Und wie der Rottweiler dann doch angreifen will und schließlich von den Beamten erschossen wird. Was das Video nicht zeigt, ist die ganze Geschichte, die sich am Wochenende am Münchner Hauptbahnhof ereignete.

Nun jedenfalls sieht die Polizei sich an den Pranger gestellt. Auf der einen Seite bedanken sich Nutzer, weil nur durch das Eingreifen der Beamten Schlimmeres verhindert worden sei. Von anderen aber werden sie beschimpft. Widerlich sei es, ein Tier zu erschießen, ja feige. Auf Twitter findet die Polizeipressestelle deutliche Worte: "Waren Sie vor Ort, haben Sie sich beißen lassen und mussten genäht werden? Trauen Sie sich zu anhand dieser kurzen Videosequenz so zu urteilen? Im Nachhinein im Netz über andere Personen herzuziehen, das ist feige."

Der eineinhalbjährige Rottweiler, der auf den Namen Pascha hörte, hatte zuvor fünf Menschen angegriffen und erheblich verletzt. Ein Bundespolizist etwa habe mit 27 Stichen genäht werden müssen, wie eine Polizeisprecherin sagt. Es gebe keine Hinweise auf ein Fehlverhalten der Einsatzkräfte. Gegen die Halterin des Tieres, eine 26-jährige Frau aus Berlin, wird hingegen ermittelt. Sie gab bei der Polizei an, ihren Hund mit Maulkorb und Leine bis zum Auto eines Freundes geführt zu haben, das in einem Hinterhof an der Bayerstraße parkte. Als sie ihn losmachte, um ihm etwas zu trinken zu geben, sei er abgehauen.

"Ein Hund darf und sollte in der Innenstadt niemals ohne Leine sein", sagt Claus Reichinger vom Münchner Tierschutzverein. Es könne immer etwas passieren, das einen Hund erschreckt oder beunruhigt, erklärt der Experte. Als Halter müsse man daher Vorkehrungen treffen, um für alle Fälle gerüstet zu sein. "Ein Hund kann meist nichts dafür, wenn er sich falsch verhält. Die Fehler macht in aller Regel der Halter", sagt Reichinger. Das Verhalten der Einsatzkräfte will er hingegen nicht kommentieren. "Es war eine wahnsinnig gefährliche Situation", sagt er. Die man nur beurteilen könne, wenn man dabei gewesen sei.

Generell nähmen Angriffe von Hunden zu - was sich hauptsächlich darauf zurückführen lasse, dass München eben nicht nur immer mehr menschliche Bewohner zähle, sondern auch Tiere. Und immer wieder stelle der Tierschutzverein fest, dass eine Kleinigkeit Eskalationen wirkungsvoll vorbeugen könne. "Hätten die Beamten eine Fangstange im Auto gehabt, hätten sie den Hund schnell fixieren können", erklärt Reichinger.

Er plädiert daher dafür, Polizisten besser auf mögliche Einsätze mit aggressiven Hunden vorzubereiten. Der Münchner Tierschutzverein jedenfalls will Anfang Juli mit einem speziellen Fachtag unter dem Motto "Ein Herz für jede Rasse" auf die Problematik hinweisen. Der war schon vor dem Zwischenfall am Hauptbahnhof geplant.

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SZ vom 01.06.2018/infu
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