Kritik:Reiz des Vergänglichen

Kritik: Marlis Petersen spielt die Marschallin als zärtliche und dennoch zutiefst lakonische Frau.

Marlis Petersen spielt die Marschallin als zärtliche und dennoch zutiefst lakonische Frau.

(Foto: Wilfried Hösl)

Erstmals vor Publikum: "Der Rosenkavalier" in Barrie Koskys Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper in München.

Von Michael Stallknecht, München

Wann immer sich früher in der Bayerischen Staatsoper der Vorhang zum zweiten Akt des "Rosenkavalier" öffnete, gab es Szenenapplaus für das Bühnenbild von Jürgen Rose, das in der Regie von Otto Schenk die Münchner Amalienburg zeigte. Barrie Kosky und sein Bühnenbildner Rufus Didwiszus wissen um die Hypothek, die die beliebte ältere Inszenierung für ihre eigene bedeutet - und bekommen an derselben Stelle ebenfalls Szenenapplaus in der ersten Liveaufführung der Produktion, deren Premiere im März 2021 nur im Stream gezeigt werden konnte. Auslöser ist eine riesige silberne Kutsche, die den Rosenkavalier zur Rosenübergabe trägt - wie schon der Auftritt des italienischen Sängers im ersten Akt die überbordenden Kostüme (Victoria Behr) des Rokokozeitalters zitiert.

Dabei kommt die neue Version durchaus abstrakter, symbolistischer, konzeptioneller daher. Kosky geht es vor allem um die Vergänglichkeit, die in Gestalt eines alt gewordenen Amor über die Bühne schleicht. Ein silberner Schattenriss nur bleibt das Schlafgemach der Marschallin, vorübergleitende Schatten auch die Besucher ihres Levers. Im dritten Akt entlarvt sich der ganze Bühnenzauber schließlich selbst als Theater und wird so zur Metapher auch für eine vergangene Aufführungsgeschichte voller berühmter Sänger- und Dirigentennamen. Aber mit seiner Lust an Opulenz und bewusst eingesetztem Kitsch demonstriert Kosky lässig, dass er weiß, was er Richard Strauss' Oper an diesem Ort schuldig ist.

Verspieltes, Morbides, Schwelgerisches, Tänzerisches, auch Humoristisches wird oft grob überfahren

Nicht ganz sicher kann man sich da bei Vladimir Jurowski sein, der am Ende - neben Bravorufen - ungewöhnlich viele Buhrufe einstecken muss. Der neue Generalmusikdirektor der Staatsoper will merklich Strecke machen, treibt die Tempi immer wieder entschieden voran. Dabei überrennt er vieles in einer Partitur, die voller Brüche steckt, eine zitatenreiche Postmoderne avant la lettre bietet: Verspieltes, Morbides, Schwelgerisches, Tänzerisches, auch Humoristisches wird oft grob überfahren, die feinen Übergänge dazwischen fallen eher schwammig aus. Lautstärke und Tempi bringen zudem immer wieder die Sänger in Bedrängnis, besonders im raschen Konversationston. Samantha Hankey (Octavian), Liv Redpath (Sophie), Christof Fischesser (Ochs), Johannes Martin Kränzle (Faninal) sind ohne Fehl und Tadel besetzt, wirken aber wenig charakteristisch in ihrer jeweiligen Rollengestaltung. Nur Marlis Petersen nimmt sich den Raum für ein bestechend ungewöhnliches Porträt der Marschallin: In ihrem fein geführten Sopran und ihrer präsenten Diktion erlebt man keine alternde Diva, sondern eine zärtliche, dennoch zutiefst lakonische Frau.

Das Bayerische Staatsorchester aber bleibt meilenwert entfernt von der raffinierten Klangstaffelung, mit der es dasselbe Stück noch unter Jurowskis Vorgänger Kirill Petrenko spielte. Im besten Fall kann man es als Spätfolge der Corona-Maßnahmen deuten, derentwegen Jurowski das Stück seinerzeit für den Stream nur in einer verkleinerten Instrumentation einstudieren konnte. Möglich also oder jedenfalls zu hoffen, dass es ihm nun mit der vollen Orchesterbesetzung schlicht an Probenzeit fehlte.

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