Bob Thomas ist schuld. Zum Ende eines Arbeitsbesuchs in Rochester, New York, drückt er dem Kollegen aus Germany nicht nur eine Flasche Rotwein in die Hand, sondern auch ein paar gelbe Habaneros aus dem Garten. „Eine der schärfsten Chili-Sorten“, erklärt Ron Marier, „fruchtig, wenn man über die Schärfe hinaus schmecken kann.“ Daheim fragt sich der gebürtige Amerikaner damals: Was mache ich bloß mit den Chilis? Scharfe Soße, was sonst!
Bis dahin hat er mit scharf nichts am Hut, „höchstens mal Tabasco übers Essen“, wie er sagt, „ich koche gern alles nach, was ich irgendwo auf der Welt gegessen habe“. Seine erste Soße? „Hab’ ich gemacht, wie Omas Marmelade machen: daheim in der Küche.“ Als er da anfangs Soßen gekocht habe, „konnte meine Frau gar nicht in der Wohnung sein, so schlimm war das für sie“. Seine Lernkurve: schmerzhaft. Einmal brannten die Hände nach einer Stunde Herumhantieren mit den Chilis so, dass er schon ins Krankenhaus fahren wollte: „Alles, was du anlangst, schmerzt. Ich bin dann ins Auto, hab’ das Schiebedach aufgemacht, eine Hand rausgehalten und bin mit Tempo 30 gefahren, um die Hände zu kühlen.“ Was man auch nicht tun sollte: Creme drauf, „so dringt das Capsaicin noch mehr in die Haut ein“. Deshalb steht nun ganz oben auf seinem Rezept in roten Großbuchstaben: Handschuhe tragen! „Ich hab’ mal zwei Wochen später dasselbe Brett zum Ananas schneiden benutzt: immer noch höllenscharf“, sagt Marier und muss selbst lachen, „du darfst echt nichts anlangen, auch die Partnerin nicht.“
16 Jahre ist der Besuch bei Bob Thomas nun her, seitdem hat sich bei Ron Marier in Sachen Soßen einiges getan. Aus dem Gelegenheits-Mixen ist eine Leidenschaft geworden. Mehrere Hundert Flaschen produziert er pro Jahr, steht mit seinen schlanken Fläschchen bald wieder auf dem Pasinger Christkindlmarkt, verkaufte schon bei der Pfennigparade und dem Corso Leopold, beliefert den Currywurst-Laden „Alles Wurscht“ an der Seidl-Villa sowie die Bar Gabanyi und auch die Cocktailabteilung des Tantris. Wie das?
„Alles per Zufall entstanden“, sagt Marier. Im richtigen Leben ist der 60-Jährige seit 1978 bei Bosch: Sicherheitssysteme, technischer Support für Brandmeldesysteme. Geboren ist er in Rome, einem Städtchen im Norden des US-Bundesstaats New York. Der Vater war bei der Luftwaffe, lernte Rons Mutter in Fürstenfeldbruck kennen. Als Ron zehn ist, kommt die Familie nach München, in die McGraw-Kaserne. Ron macht eine Lehre als Elektroinstallateur, fängt bei Bosch an, steigt zum Schulungsleiter auf – und trifft in der alten Heimat Bob Thomas und dessen Habaneros.
Der amerikanische Einschlag ist ihm nach all den Jahren geblieben, und so erzählt er an der Bar des Tantris bei einer Spicy Margherita und einem „Penicilin“ (rauchig-torfiger Whisky, frische Limette, etwas Honig und ein bisschen Schärfe von „Honest Ron’s Hot Sauce“), was alles reinkommt in die 100-Milliliter-Flasche – und was nicht: „Das ist ein Naturprodukt, ohne Bindemittel und Farbstoffe“, erklärt Marier. Stattdessen: Essigessenz, Zwiebeln, Knoblauch, selbst gemachter Senf, getrockneter Oregano, Kreuzkümmel, Ur-Salz aus Bad Reichenhall, gemahlener Pfeffer – und natürlich Habaneros, „die von Westland Peppers aus den Niederlanden“.
Zunächst kam die in der heimischen Küche gekochte Soße auch nur dort zum Einsatz, „bei meiner Tochter Selina weniger, bei Max ab und zu, und Philipp schüttet sie sich auf die Fischstäbchen“. Und der Name? „Weil ich von Haus aus ein ehrlicher Mensch bin. Und aus Spaß: weil in den alten Filmen der gerissene Gebrauchtwarenhändler immer Honest heißt.“
2016 nimmt die Produktion Fahrt auf – weil ein befreundeter Amerikaner meint: „Deine Soße muss in mein Restaurant!“ Es ist die Red Hot Bar & Grill in der Amalienpassage, Spareribs und Hamburger. Den Besitzer kennt er von der Baseball-Variante Softball, das er bei den Haar Disciples spielt – und denen er für die obligate Burger-Braterei bei Heimspielen seine Soße anbietet. Dann wird es ernst: Marier muss ein Kleingewerbe anmelden, Leihküche mieten, Etiketten entwerfen, eine Homepage basteln. Der in der Gastronomie arbeitende Sohn Phil unterstützt ihn, es bleibt aber beim Prinzip Mundpropaganda.
Bald kommen erste Stimmen: nicht scharf genug! Also schärft Marier nach, nun gibt es seine Soße in vier Varianten: Classic (nur Habanero-Fruchtfleisch, ohne Haut und Samen), „am beliebtesten, auch bei mir“: Hot (ganze Habanero), Stufe drei: Extra Hot (ganze Habanero plus Samen und Haut) sowie Red Hot (ganze Habanero plus eine Handvoll Carolina Reaper, die schärfste Chili-Sorte der Welt). „Ich will keinen Weltrekord brechen, kein Logo mit Totenkopf, sondern dass man das Essen genießen kann ohne zu kollabieren.“ Ein Freund habe mal gesagt: „Deine Soße ist Schärfe mit Geschmack.“ Und Gäste aus Pakistan: „Schon scharf …“
Über Freunde und Bekannte landet die Hot Sauce bei experimentierfreudigen Barkeepern wie Jörg Krause, der im Tantris mixt. Ein Kilo Habaneros entkernen dauere eine gute halbe Stunde, sagt Marier, alle Zutaten pürieren, aufkochen – da gehe schon einiges an Zeit drauf. Von Dezember an ist er in Altersteilzeit, Ende 2027 in Rente. Sein Plan: eine scharfe Marmelade für den Christkindlmarkt, aus Orangen, Zitronen, Limetten, Gelierzucker und fünf bis acht Gramm fein geschnittenen Habaneros. Außerdem: nächstes Jahr aufs Tollwood. Und: Bob Thomas finden. „Der ist weg von der Firma, aber ich finde ihn schon noch“, sagt Marier.
Wenn er dann schon in der Heimat ist, will er auch einen entfernten Verwandten besuchen. Vom Urgroßvater, einem Frankokanadier, der von Quebec nach Massachusetts ausgewandert war, hat er ein Buch mit Rezepten gefunden, darunter auch eins für Chilisoße. Marier betreibt Ahnenforschung, bis ins 17. Jahrhundert und entdeckt dabei den Verwandten Steve in Minnesota: „Und was macht der? Baut Chilis an, im großen Stil. Vielleicht ist es ja doch genetisch …“

