Roman/Sachbuch:Ohne Wohnung, aber mit Würde

Roman/Sachbuch: Sabine Roidl hat für ihr Buch "Ohne Dach, ohne Ofen, ohne Bett" obdachlose Menschen in München befragt und gezeichnet; Markus Ostermair erhält für seinen Roman „Der Sandler“ den Tukan-Preis 2020.

Sabine Roidl hat für ihr Buch "Ohne Dach, ohne Ofen, ohne Bett" obdachlose Menschen in München befragt und gezeichnet; Markus Ostermair erhält für seinen Roman „Der Sandler“ den Tukan-Preis 2020.

(Foto: Sabine Roidl/Allitera)

Markus Ostermair und Sabine Roidl widmen sich dem Thema Obdachlosigkeit - auf recht unterschiedliche Weise.

Von Antje Weber

Da ist zum Beispiel der "Barometer-Karl". Eine große Narbe quer über Gesicht und Hals macht ihn so wetterfühlig, dass er jeden Umschwung früher spürt als andere. Das bringt Karl ab und zu einen Schluck Schnaps ein oder eine Zigarette. Vor allem aber ein bisschen Aufmerksamkeit, und das ist wohl das Wichtigste.

In seinem Debütroman "Der Sandler", in diesem Jahr mit dem Tukan-Preis für das beste Buch aus München ausgezeichnet, beschäftigt sich Markus Ostermair mit dem Thema Obdachlosigkeit. Nicht abstrakt, sondern ganz konkret anhand des Alltags von Menschen wie Karl. Ostermair interessiert sich für deren Schicksale, seit er als Zivildienstleistender in der Münchner Bahnhofsmission gearbeitet und anschließend ehrenamtlich Nachtschichten geschoben hat. Acht Jahre hat er an seinem Roman geschrieben, in dem er einen sehr guten, passend wirkenden Tonfall gefunden hat, um aus verschiedenen Perspektiven von Armut, Gewalt, Wohnungs- und Hoffnungslosigkeit zu erzählen. "Der Sandler" besticht auch in der Beschreibung vermeintlich unspektakulärer Momente eines Alltags auf der Straße: Wenn im Schaufenster eines Ladens Licht aus- und angeht, um einen störenden Penner wegzuscheuchen. Wenn in der U-Bahn alle besonders viel Platz machen.

An die Tiefe und den Formwillen dieses Romans kann der Band "Ohne Dach, ohne Ofen, ohne Bett" von Sabine Roidl nicht heranreichen. Doch auch sie nähert sich in Texten und Zeichnungen behutsam einzelnen Schicksalen obdachloser Menschen an, die sie in München befragt und porträtiert hat; ein schönes Projekt. Gemeinsam ist beiden Büchern jedenfalls, dass sie Floskeln wie "sie leben am Rand der Gesellschaft" umdrehen - und die Obdachlosen zum Mittelpunkt machen.

Markus Ostermair: Der Sandler. Osburg Verlag, 371 Seiten, 20 Euro; Sabine Roidl: Ohne Dach, ohne Ofen, ohne Bett. Allitera, 87 Seiten, 15 Euro

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