Literatur:Wenn die Wälder alle brennen

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Die wütenden Waldbrände in Griechenland, hier auf der Insel Euböa, lieferten Bilder, die Franziska Gänsler beim Schreiben ihres Romans "Ewig Sommer" im Kopf hatte. (Foto: Petros Karadjias/picture alliance/dpa/AP)

Im Roman "Ewig Sommer" der Augsburger Autorin Franziska Gänsler regnet es Asche und die Menschen tragen Masken gegen die Schwefelluft. Ein souveränes Debüt mit Sogwirkung.

Von Jutta Czeguhn, Augsburg

"Ich setzte mich draußen auf einen Stuhl und beobachtete die Sonne", heißt es in Ilya Kaminskys Gedicht "Wir lebten glücklich während des Krieges" aus dem Jahr 2013. Unlängst konnte man ihn live lesen hören im Münchner Literaturhaus, mit hohem, überwältigendem Singsang und schwerem Akzent, denn Kaminsky ist 1977 in Odessa geboren, 1993 mit seiner Familie in die USA emigriert - und schwerhörig seit seinem vierten Lebensjahr. Franziska Gänsler hatte diese besonderen Zeilen im Ohr, als sie 2021 an ihrem Debütroman "Ewig Sommer" schrieb.

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hatte noch nicht begonnen, aber all den anderen schwelenden Katastrophen begegneten ihre Mitmenschen ja auch da schon mit der trügerischen Überzeugung, man werde diese schwierigen Phasen wie immer irgendwie durchtauchen. So wie Iris, die Ich-Erzählerin in Gänslers Geschichte, die raucht, sich sonnt und Musik hört, während um sie herum die Welt verbrennt.

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Man trifft Franziska Gänsler in ihrer Heimatstadt Augsburg, in einem Café neben der Annakirche, deren Glocken das Verstreichen der Zeit beständig vermelden. Ihr Verlag, Kein & Aber in Zürich, hat mittlerweile bekannt gegeben, dass die erste Auflage von "Ewig Sommer", immerhin 6000 Exemplare, schon kurz nach Erscheinen ausverkauft war. Gänsler, 35, dunkle Augen, zart, reagiert darauf, so scheint es, mit gelassenem Erstaunen, aber auch selbstbewusst wie jemand, der weiß, dass die 204 Seiten, die sie da in die Welt gebracht hat, all die begeisterte Aufmerksamkeit auch verdienen.

Ein Sommerbuch, Liegestuhl-Strandlektüre? Das feuerrote Cover mit der Frau im schulterfreien Bikini, die hinter dunklen Sonnenbrillengläsern versonnen in die Ferne blickt und die Zigarette zwischen Ring - und kleinem Finger verglimmen lässt, führt da auf die falsche Fährte. Denn es könnte sein, dass man beim Lesen das Sonnenlicht irgendwie trüber als sonst empfindet, man den Horizont nach vagen Zeichen von Rauch absucht und die Atemluft einen brandigen Geschmack bekommt. "An Feuer im Juli und August hatte ich mich gewöhnt, doch nun warteten wir schon seit Mitte September darauf, dass die Erde wieder feucht wurde und die Luft klarer", sinniert Iris, die Ich-Erzählerin. Warten auf Regen, auf irgendetwas, das ist die Grundstimmung des kurzen Romans. Denn es ist Oktober, und immer noch ist kein Tropfen in Sicht. Der Sommer will nicht weichen.

Schon als Kind hat Franziska Gänsler geschrieben. Literatur begleitete sie auch im Modedesignstudium, Thema ihrer Abschlusskollektion war Dostojewskis "Schuld und Sühne". (Foto: Linda Rosa Saal)

Als "Klimaroman" wird Franziska Gänslers Text gefeiert, als Buch der Stunde im ewigen Sommer 2022, da in Frankreich, Portugal und Spanien Flüsse und Seen versiegten, in Brandenburg die Wälder brannten und ein Teppich toter Fische in der Oder trieb. Nur dass im Roman, der etwa fünf Jahre in der Zukunft spielt, alles nur noch viel schlimmer ist: Nach draußen geht es mit Maske, Apps, wie man sie aus Pandemie-Zeiten kennt, schicken unaufhörlich Warnmeldungen. Gelb heißt Vorsicht, Orange Lockdown, Rot Evakuierung. Das Fernsehen kündigt immer neue Hitzerekorde an. "Tränende Augen, Halsschmerzen, geschlossene Parks, Bäder, Spielplätze. Sommertage im Haus hinter geschlossenen Fenstern, Blätter, die langsam in der Luft verglühten."

Über Bad Heim, dem Schauplatz der Geschichte, kreisen die Hubschrauber wie Geier. Der kleine Luftkurort irgendwo in Bayern hat schon bessere Zeiten gesehen, denn das Atmen macht hier mittlerweile krank. Das Grandhotel verfällt, die Leute meiden und fliehen die Gegend, nur noch wenige wie Hotelbesitzerin Iris und Baby, die unerschütterliche alte Nachbarin, harren aus. Prophetisch? Franziska Gänsler schüttelt den Kopf. "Es wäre eher seltsam, wenn es nicht so käme, oder?"

Frischobst, das Iris ihren Gästen servieren könnte, gibt es schon lange nicht mehr. Aber es sind auch keine Gäste da, denn es gilt ja Beherbergungsverbot. Es sei denn, jemand steht vor der Tür und bittet um Obdach. So beginnt, ganz klassisch, mit dem Eintreffen der Fremden, diese Geschichte. Ein sparsamer Eröffnungssatz: "Die Frau und das Kind kamen an einem Dienstag." Die beiden, Dorota und ihre kleine Tochter Ilya (der Dichter Kaminsky stand mit seinem Vornamen Pate), bringen "den Geruch des Waldes herein, den Geruch nach verbrannten Blättern und Rauch". Und sie tragen mit sich ein toxisches Geheimnis, in dem Iris, diese stille Beobachterin, ihrer eigene Familiengeschichte gespiegelt sieht.

Rot sind die Münder der nach Luft schnappenden Fische im Teich

Sie sei ein visueller Mensch, sagt Franziska Gänsler. Beim Schreiben sehe sie die Szenen vor sich wie durch eine Kamera. Was ihrem Buch diesen soghaften, filmhaften Charakter gibt. Mit nur wenigen kurzen Sätzen, manchmal nur Worten lässt sie Stimmungen entstehen, zeichnet Figuren, die leidende Natur, die hier weit mehr ist als dramatische Kulisse, sondern das Geschehen vorantreibt. Wie der Wind das Feuer, vor dem sie in Bad Heim nur sicher sind, solange es den Fluss, den Bruch, nicht überspringt. Schwarz, aschgrau fließt dieser Fluss, die Wolken, der Rasen sind braun, rot sind die Münder der nach Luft schnappenden Fische im Teich und das Leuchten des brennenden Waldes, pinkfarben Dorotas Lippenstift.

Den Umgang mit der Farbpalette hat die Autorin gelernt: Nach dem Abi in Augsburg geht Gänsler nach Berlin. Dort studiert sie zunächst Modedesign, überrascht mit einer Abschlusskollektion zu Dostojewskis "Schuld und Sühne". Das Arbeiten in der Modebranche ist dann aber nicht ihr Ding, sie studiert Malerei an der Universität der Künste Berlin. Und irgendwann teilt sie ihrer Professorin mit, sie werde ab sofort nicht mehr malen, sondern nur noch schreiben. Ein Anglistikstudium kommt hinzu. Sie zieht um nach Wien, wo sie an der Albertina als Kunstvermittlerin den Menschen die Bilder beschreibt.

Geschrieben, verrät Gänsler, habe sie schon als Kind, und als Jugendliche in Schreibwerkstätten. Immer in den Sommerferien. Jetzt hat sie selbst ein Kind, einen sechsjährigen Sohn, nicht zuletzt wegen ihm wohnt sie nun wieder in Augsburg, wo sie "als Brotberuf" einen Lehrauftrag für Englisch an der Hochschule hat. Eines Tages, das sagt sie sehr bestimmt, wolle sie vom Schreiben leben. Mit dem Kopf ist Gänsler schon in ihrem nächsten Buch, auch wenn sie gerade wieder intensiv zurücktauchen muss in das Roman-Debüt, mit dem sie in einer Kurzfassung (Titel: "Stare") Finalistin beim Open Mike 2020 in Berlin war. Sie verfolgt die Kommentare im Netz, da tauchen Fragen auf an sie, die Autorin, ungefiltert. Etwa warum es im Roman die Andeutung einer lesbischen Liebesgeschichte gibt? Warum die Sache mit Iris und Dorota so enden muss, wie sie endet? Und warum im Roman so furchtbar viel geraucht wird, wo doch alles brennt.

"Das hat meine Mutter gefragt", Franziska Gänsler muss lachen. Man hat den Eindruck, dass sie ihren Figuren noch sehr nahe ist, dass sie gerade ihre Protagonistin noch nicht ganz gehen lassen kann. Vielleicht, sagt Gänsler, schaue sie in zehn Jahren noch mal bei Iris und ihrer wunderbaren Nachbarin Baby vorbei. Gut möglich nun also, dass das allerletzte Wort in dieser Geschichte doch noch nicht gesprochen ist. Das Wort jedenfalls, mit dem Franziska Gänsler "Ewig Sommer" enden lässt, macht großen Appetit auf mehr.

"Ewig Sommer" von Franziska Gänsler, 2022, Kein & Aber, Zürich, 23 Euro, Lesung mit der Autorin, 17. November, 19.30 Uhr, Stadtbücherei Würzburg

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