Rockavaria im Olympiapark:Rock nach Regeln

Ein Festival mit Camping-Verbot und Sitzenbleiben: Drei Tage lang war der Olympiapark Bühne für das "Rockavaria". Das musikalische Resümee fällt solide aus, die Besucher wundern sich aber über ungewöhnliche Vorgaben.

Von Thierry Backes, Sebastian Krass und Jürgen Moises

120 000 Liter Bier

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(Foto: Florian Peljak)

Sonnenschein, Stehverbot und stickige Luft: Nach fast zwanzig Jahren hat es in München im Olympiapark erstmals wieder ein großes mehrtägiges Musikfestival gegeben. Von Freitag bis Sonntag dauerte das Rockavaria. Aus Sicht der Veranstalter war die Premiere ein Erfolg. Rund 49 000 Besucher sind ihren Angaben zufolge pro Tag in den Olympiapark gekommen, rund 120 000 Liter Bier sollen verkauft worden sein. Das Gelände war für 68 000 Menschen zugelassen. Worüber Gäste wie Veranstalter sich freuen durften, war das schöne Wetter. Rockavaria soll im nächsten Jahr wieder stattfinden. Eindrücke aus den Festivaltagen.

Die Weiten des Stadions

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(Foto: dpa)

Um kurz vor 17 Uhr spielt am Freitag die Avantgarde-Elektropunk-Band Bonaparte auf der Bühne im Stadion. Was auffällt: Die Bühne steht an der Längsseite, nicht vor einer Kurve. So wirkt ein nicht ausverkauftes Stadion bei Konzerten etwas voller. Ein paar Tausend Menschen verlieren sich zu dieser Zeit im Stadion. Direkt vor der Bühne drängen sich die meisten von ihnen. Dahinter ist der Innenraum eine weitläufige Sitzfläche. Das muntere Chaos, das sonst bei Bonaparte-Konzerten von der Bühne auf das Publikum überspringt, verliert sich diesmal in der Weite des Stadions.

Das Stehverbot

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(Foto: dpa)

Die Theatron-Bühne ist mit Abstand die kleinste der drei Bühnen auf dem Festival, aber auch die schönste: links der Berg, hinter der Bühne der See. Das ist ein wunderschöner Ort, um Musik zu hören. Aber was steht da auf diversen Schildern, schon am Einlass und auch an der Bühne? "Bitte bei allen Aufführungen sitzen bleiben." Es spielt gerade Brant Bjork, ein bärtiger Wüstenrocker, der mit seiner Band einen sehr treibenden Sound produziert. Und die Menschen auf den Stufen, die vor der Bühne ein Halbrund bilden: Sie bleiben sitzen.

Ohne Elefanten

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Es geht auch anders. Zirkus, Feuerwerk und Rock: Das ist laut Kiss-Bassist und Sänger Gene Simmons die Formel für ein erfolgreiches Festival. Sie selbst haben das alles inklusive Elefanten in Los Angeles gemacht. Bei ihrer Headliner-Show am Samstagabend haben die US-Amerikaner die Elefanten zu Hause gelassen. Aber sonst war, Respekt, alles dabei. Feuerfontänen, Böller, Konfettiregen und Raketen sowie natürlich: eine Menge Rock'n'Roll. Eine musikalische Zirkus-Show mit hohem Unterhaltungswert, die vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Der skurrilste Auftritt

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(Foto: dpa)

Was gab es noch? Einen überzeugenden Auftritt der schwedischen Band The Hives mit zackigem Indierock am Freitag, dem Geburtstag von Sänger Per Almqvist, was er mehrfach erwähnte. Das Konzert der Crossover-Band Incubus (im Bild: Sänger Brandon Boyd) war dagegen etwas enttäuschend. Seit sie sich vom funkigen Rock à la Red Hot Chili Peppers entfernt haben, fehlt der stilistisch zwischen Pop und hartem Rock schlingernden Band etwas die Identität. Ansonsten gab es auf den insgesamt drei Bühnen von Rock an aufwärts eigentlich alles: Hardcore, Thrash-, Doom- oder "Kawaii"-Metal von der japanischen Band Babymetal. Was das ist? Drei tanzende Frauen in Schuluniform, eine piepsige Frauenstimme, dazu harte Riffs von Männern in weißen Kutten. Sicherlich einer der skurrilsten Auftritte.

Der Wacken-Vergleich

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Nach etwas "weicheren" Musikstilen musste man dafür mit der Lupe suchen, weswegen man Rockavaria vielleicht eher mit dem "Wacken"-Festival vergleichen sollte als mit "Rock im Park". Fündig wurde man aber doch, etwa bei den Mad Caddies im Theatron: mit Bläsern und einem Funk- und Ska-Einschlag. Auch der bluesige Hardrock der Münchner Newcomer-Band Lem Motlow fiel fast etwas heraus. Diese war über einen Wettbewerb bei Rockavaria gelandet und durfte am Samstag in der Olympiahalle als erste Band spielen.

Die Mitgröler aus Bulgarien

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(Foto: dpa)

Der erste Tag hat ihnen gut gefallen, vor allem die englische Rockband Muse, erzählt ein Pärchen, das Samstagnachmittag entspannt über das Geländer schlendert. Die beiden stammen aus Tirol. Wie die drei stämmigen Bulgaren, die beim Judas-Priest-Konzert lautstark "Turbolover" mitgrölen, haben sie zwar keine Weltreise hinter sich, aber doch einen weiteren Weg. Aus den drei Männern ist gerade noch herauszukriegen, dass sie diesen nicht bereut haben, ebenso wie das Pärchen. Dann müssen die drei weiter, denn auf "Turbolover" folgt das "Redeemer Of Souls". Und das muss ja auch jemand mitgrölen. Im Bild: Judas-Priest-Sänger Rob Halford.

Die Maskottchen

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

"Es ist wohl das meistfotografierte Motiv hier auf dem Festival", sagt Christian Utz, Leiter der Münchner M.U.C.A.-Galerie, nicht ohne Stolz. Tatsächlich vergeht kaum eine Minute, ohne dass sich nicht Besucher neben dem gesprayten Charlie Brown fotografieren lassen, der mit einer Bierflasche in der Hand auf dem M.U.C.A.-Container prangt. Innerhalb des Containers, mit dem Utz den Rock-Fans Urban Art näherbringen will, hängen weitere Motive. Etwa das Bild eines Mädchens mit einer Kiss-Maske in der Hand. Das gleiche Motiv sprüht rund 100 Meter weiter der Street-Art-Künstler L.E.T. an eine Wand. Wie Charlie Brown hat das Mädchen damit eine gute Chance, inoffizielles Festival-Maskottchen zu werden. Ein offizielles Maskottchen gibt es bereits: Ein weibliches, Comic-artiges Wesen in Lederkluft, das auf hohen Stelzen über das Gelände läuft. Man sieht es immer lächeln, dabei ist das sicherlich kein einfacher Job.

Die Facebook-Freunde

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(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Im Internet wird lieber geschimpft als gelobt, das ist beim Rockavaria nicht anders als bei anderen Dingen. Wer die Bewertungen auf der Facebook-Seite des Festivals durchliest, findet viel Lob für die Bands - und viel Kritik an den Veranstaltern. Diskutiert werden die Preispolitik oder die grundsätzliche Frage, ob ein Festival ohne Camping überhaupt ein Festival ist. So weit, so erwartbar. Aber warum bloß hat man keine Dixi-Klos im Innenraum des Stadions aufgebaut? Das ist eine weitere Frage. Für Frust sorgen auch das Theatron und die Olympiahalle, die häufiger gesperrt werden mussten. Die offizielle Begründung lautet: wegen Überfüllung. "Sie können zahlenden Besuchern den Eintritt zu einer Band auf einem Festival nicht verwehren", schreibt ein Nutzer und berichtet, dass man ihn am Freitagabend nicht zu Limp Bizkit in die Halle gelassen habe: "Sie haben mein Geburtstagsgeschenk ruiniert! Vielen Dank dafür, wo ist mein Geld?" Das verärgert umso mehr, wenn andere berichten, dass die Halle nicht annähernd voll gewesen sei. Die Veranstalter verweisen in diesem Punkt allerdings auf die behördlichen Vorgaben - die seien eindeutig und hätten ihnen keine andere Wahl gelassen.

Die Besucher aus Dresden

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(Foto: Florian Peljak; Florian Peljak)

Nora Merker und Thomas Höring sitzen oben auf dem Hang am Olympiasee und blicken auf die Tretboote, die unten rumschippern. Sie sind aus Dresden angereist, verbinden den Festivalbesuch mit ein paar Tagen in den Bergen. Warum sie hier sind? Ihnen hat die musikalische Zusammenstellung zugesagt. Die Drei-Tages-Karten haben sie im Dezember gekauft, vor einer Rabattaktion, die in sozialen Netzwerken böse Kommentare ausgelöst hat. Höring und Merker haben davon nichts mitbekommen und wollen sich jetzt auch nicht mehr ärgern.

Der Camper

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(Foto: Florian Peljak)

Peter aus Tirol studiert im Schatten eines Baumes konzentriert einen ausgedruckten Zettel. Er hat sich den Bühnen-Belegungsplan ausgedruckt und eingezeichnet, wann er von wo nach wo muss. Peter hat schon einige Festivals hinter sich. Was im Vergleich zu anderen fehlt? "Ganz klar das Camping. Wenn es das hier in München gäbe, wären bestimmt 20.000 Menschen mehr da", sagt Peter. Er selbst ist mit einem Camper angereist. Und wo steht der? "Nun", sagt Peter, "ich bin von Beruf Betonpumpenfahrer und kenne so ziemlich jede Baustelle in der Gegend. Da frag ich halt mal einen Polier, und der sagt dann: Passt schon, kannst Du über das Wochenende hierhin stellen."

Die Einheizer

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(Foto: dpa)

Ja, das sind sie wirklich. Faith No More, die Gründerväter des Crossover, treten am frühen Sonntagabend ganz in Weiß auf, inmitten eines Blumenmeers, das gleich für mehrere Beerdigungen reichen würde. Und dann noch das: "Supersuper", ruft Sänger Mike Patton, als wäre er Pep Guardiola. Die Band spielt das Publikum im Olympiastadion warm, kaum einer verlässt im Anschluss seinen Platz in der Arena. Warum? Weil alle auf Metallica warten.

Die Superstars

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(Foto: dpa)

Um 20.36 Uhr rollen drei schwarze VW-Busse durch das Marathon-Tor des Olympiastadions. An Bord: James Hetfield (Bild), Lars Ulrich, Kirk Hammet und Robert Trujillo. Es dauert dann drei, vielleicht vier Töne, bis sie selbst hinten im Block Z 2 direkt unter dem Zeltdach aufstehen und die Fäuste in die Höhe recken. Mit "Fuel" steigen Metallica ins Konzert ein, es ist der Auftakt zu einem mehr als zwei Stunden langen, furiosen Auftritt. Es mag zwar sein, dass nicht alles geklappt hat beim ersten Rockavaria, aber nun leuchten die Wolken rosa über dem altehrwürdigen Stadion, und selbst auf der Ehrentribüne wird geheadbangt.

Schwieriges Verhältnis

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(Foto: dpa)

Anmerkung der Redaktion: In der Pfingstausgabe vom 23. Mai berichtete die Süddeutsche Zeitung auf der Seite Drei unter dem Titel "Rock oder stirb" über den Konkurrenzkampf zweier Veranstalter von Rockfestivals. Der eine ist Peter Schwenkow, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Entertainment AG (Deag), der in diesem Jahr in den Markt der großen Rockfestivals eingestiegen ist, unter anderem mit dem Rockavaria in München und dem Rock im Revier auf Schalke. Sein Konkurrent ist die Marek Lieberberg Konzertagentur, die Rock am Ring und Rock im Park veranstaltet. In dem Text wurde die Frage aufgeworfen, ob Schwenkow und die Deag sich mit ihrer Expansion in den Festivalbereich verhoben haben und ob im Extremfall die Existenz des Unternehmens in Gefahr geraten könnte. Die Deag hatte während der Recherche versucht, mit Anwaltsschreiben die Berichterstattung zu unterbinden. Am Donnerstag, also einen Tag vor Beginn des Festivals, veranstaltete die Deag eine Pressekonferenz zum Rockavaria. Deag-Pressesprecher Michael van Almsick verwehrte dem Berichterstatter der SZ den Einlass. Die SZ habe keine Einladung erhalten und sei nicht erwünscht. Man arbeite gern mit qualifizierten Journalisten zusammen, sagte van Almsick. Die Süddeutsche gehöre in diesem Fall nicht dazu. Schließlich wies er einen Sicherheitsmitarbeiter an, den SZ-Journalisten auch nicht mehr in den Vorraum zur Pressekonferenz hineinzulassen. Außerdem lehnte die Deag es ab, mehrere SZ-Journalisten für das Rockavaria zu akkreditieren, auch solche, die bisher nicht mit dem Thema befasst waren. Dies betrifft auch einen Fotografen, der Bilder für die SZ machen sollte.

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