Literatur:Text wird Sound

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Patti Smith 2012 bei ihrem Konzert auf dem Rathausplatz in Dachau. (Foto: Toni Heigl)

Thomas Kraft hat ein Buch über die enge Verbindung von Literatur und Rockmusik geschrieben.

Von Christian Jooß-Bernau, München

Bei Jim Morrison waren es die Stimmen der Beat-Generation - Kerouac, Ginsberg, Ferlinghetti. Robert Zimmermann wurde durch Dylan Thomas zu einem anderen. Und Patti Smith fand ihre Lebensliebe, als sie an einem Bücherstand in Philadelphia ein Buch klaute. Er hieß Arthur Rimbaud und war schon 1891 in Marseilles gestorben. "Rock'n'Read" hat Thomas Kraft sein Bändchen betitelt, dessen Untertitel so klar wie simpel das Konzept vorstellt: "Wie Literatur Rockmusik inspiriert".

Thomas Kraft ist für diesen Themenkomplex eine ideale Besetzung. Den Literaturbetrieb kennt er als Literaturkritiker, ehemaliger Programmleiter des Literaturhauses und Organisator mehrerer Literaturfestivals - um nur einen kursorischen Überblick über seinen Werdegang zu geben. In seiner Rolle als Autor veröffentlichte er zuletzt "Zeit der Narben", einen Roman, der nach Ghana und in die deutsche Vergangenheit führt. Rockmusik ist seit Jahren sein Begleiter, er hat klingende Anthologien veröffentlicht, schreibend Dylan, Cohen, Morrison umkreist.

Der Reiz von "Rock'n'Read" ist die Verschiebung der Perspektive. Sucht die herkömmliche Musikerbiografie nach den Urgründen des Schaffens meist im komplexen Gemenge von Sozialisation und Sound, verengt Kraft hier den Blick auf das Wort. Ihm geht es nicht darum, umfassend in Biografien einzutauchen, sondern Kristallisationskeimen der Inspiration nachzuspüren. Mustergültig gelingt das natürlich im ersten Kapitel über Patti Smith. Rimbaud wird ihr "Erzengel": "Seine Hände hatten eine Gebrauchsanweisung für den Himmel in Stein gemeißelt, und ich klammerte mich daran fest."

Dokumentiert ist hier das Erweckungserlebnis einer Heranwachsenden, der die Kunst die Tür zu einer anderen Welt aufstößt. Ob es das Verhältnis von Morrison zu William Blake ist oder die Seelenverwandtschaft von Suzanne Vega und Carson McCullers. Der Pop-Star wird hier zum Fan. Und auf reizende Art ganz klein. Der Weg zur eigenen Kunst ist eben auch eine universelle Erfahrung, das wird hier schön sichtbar, wenn Biografien nebeneinander ausgebreitet werden: "Obwohl Lorca für ihn anfangs exotisch und sehr weit weg schien, borgte er sich seine Stimme, um die eigene Stimme zu finden." So heißt es über den Kanadier Leonhard Cohen, der seine kommende Entwicklung, das Kreiseln um Tanathos und Eros ausgerechnet in einem surrealistischen schwulen andalusischen Dichter gespiegelt sieht: Federico García Lorca.

Dylan-Songs könnte man listenweise mit Fußnoten versehen

Nicht immer ist das so zwingend, was weniger an Thomas Kraft, als manchmal am Material liegt. Frank Wedekinds "Lulu" hat auf Lou Reed eher episodische Wirkung. Die Art, wie sich The Alan Parsons Project in Edgar Alan Poe verstieg, offenbart viel Konzept, ein beeindruckendes Soundgebirge, aber wenig existentielle Lebensbegleitung. Anders, kühl aber faszinierend sieht das aus beim Kapitel über David Bowie. Dass Anthony Burgess' "A Clockwork Orange" beim frühen Bowie weiterschwingt, wurde so selten erzählt. Aber, hier weitet sich der Blick, denn es ist vor allem Kubricks Filmästhetik, die den Pop-Styler beeindruckte.

Das letzte Kapitel ist Bob Dylan gewidmet, der als Künstler zum Katalysator wird, durch den solche Ströme von Text und Ton fließen, dass man seine Songs mit listenweise Fußnoten versehen könnte. Plagiat oder nicht, was schert es den Sänger? Dass das Nobelpreiskomitee ihn 2016 endgültig für den Literaturbetrieb vereinnahmte und damit zwischen alle Stühle fiel, ist der letzte Akkord dieses Bandes.

Thomas Kraft: Rock'n'Read. Wie Literatur Rockmusik inspiriert, 158 Seiten, Verlag Andreas Reiffer

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