Draußen beginnt die Adventszeit, drinnen herrscht Abschiedsstimmung. So in etwa ist gerade die Lage beim Filmtheater Sendlinger Tor. Ebenjenes muss im Januar nach 111 Jahren Lichtspielbetrieb schließen, da werden nicht nur Cineasten nostalgisch. Am Dienstagabend gibt es aber noch einmal etwas zu feiern: bei den leicht angesäuselten Glühweintrinkerinnen auf dem Christkindlmarkt vor dem Kino sowieso, aber auch drinnen, im wohl schönsten Kinosaal Münchens. Die Premiere des österreichischen Roadmovies „Toni und Helene“ gerät zur umjubelten Abschiedsfeier, die Menschen im Saal lachen laut – und weinen leise.
Das hat wohl auch mit dem Filmtheater zu tun, das nur noch wenige Wochen geöffnet hat. Vor allem aber liegt es am Film und seinen beiden Stars. Christine Ostermayer und Margarethe Tiesel sind hinreißend als grundverschiedenes Seniorinnen-Paar: Die eine spielt eine bildungsferne und dauerfröhliche Anpackerin, die andere eine pikierte Diva mit ausgeprägter Todessehnsucht. Und genau diese bringt die beiden zusammen: Die Mittachtzigerin Helene (Ostermayer) hat einen Sterbehilfetermin in der Schweiz, aber niemanden, der sie dort hinfährt. Ihre Teilzeit-Zimmernachbarin in der Altersresidenz (Tiesel) möchte ihr helfen und setzt sich hinters Steuer von Helenes Jaguar. Dass Toni keinen Führerschein hat, erweist sich da noch als das geringere ihrer Probleme.
„In Filmen gibt es nur selten eine Auseinandersetzung mit Alter und Altersdiskriminierung“, sagt Sabine Hiebler auf dem roten Teppich. „Dabei checkt doch mittlerweile auch die 68er-Generation ein ins Altersheim“, fügt ihr Mann Gerhard Ertl hinzu. Die beiden führten Regie bei diesem Film, der in Österreich unter dem Titel „80 Plus“ seit Wochen erfolgreich in den Kinos läuft. Die beiden haben auch Christine Ostermayer zu ihrem Kino-Comeback überredet: Die 87-Jährige ist eine Theaterlegende, in München stand sie jahrzehntelang im Resi und im Volkstheater auf der Bühne. Beim Fototermin vor dem Kino wirkt sie zunächst etwas scheu; als ihr die Fotografen aber Anweisungen geben wollen, sagt sie: „Ich weiß schon, wie’s geht.“
Im Saal sitzen viele prominente Gäste, die meisten von ihnen wollen Ostermayer noch einmal live auf der (Kino-)Bühne erleben. Uschi Glas etwa erzählt davon, wie sehr sie die gebürtige Wienerin als junge Frau verehrt habe: „Ich habe sie auf der Bühne gesehen, da spielte ich selbst noch gar nicht.“ Ebenfalls Erinnerungen an Ostermayers Münchner Theaterjahre hat Ilse Neubauer: „Sie war schon ein großer Star, als ich am Resi anfing. Trotzdem teilte sie ihre Garderobe mit mir“, erzählt sie über ihre sechs Jahre ältere Freundin. Zu jung, um den Star des Abends noch auf der Bühne gesehen zu haben, ist Schauspielerin Nele Kiper. Am Ende des Abends ist auch sie Fan, sie schaut zur Kollegin hinüber und formt ihre Hände zu einem Herz.
Bei so viel Fan-Liebe hätte Ostermayers Leinwandpartnerin leicht untergehen können – dass dem nicht so ist, dürfte an Margarethe Tiesels Spielfreude und Präsenz liegen. Die heute 65-Jährige war lange Zeit nur in Nebenrollen zu sehen, bis Ulrich Seidl sie 2012 für seinen Kino- und Festivalhit „Paradies: Liebe“ entdeckte. Seitdem ist die Wienerin ein Star ohne Starallüren, letztes Jahr etwa drehte sie mit Rosalie Thomass einen Film für Netflix. Die Münchner Schauspielerin ist ebenfalls Premierengast, in Sachen Temperament dürften die beiden in etwa auf einer Wellenlänge liegen.
„Will jemand wissen, wo die Hütte ist?“, ruft Margarethe Tiesel nach der Vorstellung in den Saal – wohl wissend, dass diese Frage sicher kommen wird. Die Hütte, das ist die spektakuläre Unterkunft im Hochgebirge, in der die beiden Damen im Film übernachten. Gedreht habe man diese Szenen in der Dolomitenhütte bei Lienz in Osttirol, verrät die Schauspielerin. Dort gibt es ein weitestgehend komplett verglastes Zimmer mit Panoramablick, das zum Schlafen fast zu schade ist. Das wissen auch Influencer aus der ganzen Welt, die sich eben dort in allen möglichen Posen fotografieren. Wer sich ebenfalls einmal inszenieren will, braucht allerdings Ausdauer: Das Zimmer ist auf die nächsten zwei Jahre komplett ausgebucht. Im Kino sind aber noch Plätze frei: „Toni und Helene“ läuft am 5. Dezember an.