Süddeutsche Zeitung

Riem:Starthilfe auf dem Bildungsweg

Gudrun Höhne ist Lernpatin und hilft einmal in der Woche einem vietnamesischen Mädchen bei den Schularbeiten. Sie und rund 900 weitere Ehrenamtliche wurden im Vorjahr von der Freiwilligen-Agentur Tatendrang vermittelt

Von Johannes Korsche, Riem

Gudrun Höhne ist selbständig, hat nicht viel Freizeit - aber immer am Montagnachmittag fährt sie zum SOS-Kinderdorf in Riem. Höhne trifft sich an der Riemer Straße 358 eine Stunde lang mit einer Zweitklässlerin. Die Eltern können ihre Tochter in der Schule nicht ausreichend unterstützen, vor allem im Fach Deutsch. Sie kommen aus Vietnam. Deswegen springt Höhne als Bildungspatin ein. Wie 900 andere Ehrenamtliche im vergangenen Jahr wurde Höhne von der Freiwilligen-Agentur Tatendrang vermittelt, die ihren Sitz an der Liebherrstraße 5 hat. Die Treffen zwischen Lernpate und Patenkind finden in den jeweiligen Partnerorganisationen vor Ort statt.

Tatendrang berate interessierte Münchner und schlage nach einem Gespräch ein Ehrenamt vor, sagt Renate Volk von der Freiwilligen-Agentur. "Erst wenn das Engagement zu mir passt, ist es auch für mich selbst eine Bereicherung." Seit diesem Jahr bietet Tatendrang für Bildungspaten außerdem die "Lernpaten-Akademie" an. Ehrenamtliche wie Höhne bilden sich in verschiedenen Kursen beim Pädagogischen Institut kostenlos weiter. Egal ob Grundlagen der Pädagogik oder fachspezifische Themen, die Freiwilligen können dadurch "leichter, lieber und besser" ihren Patenkindern den Schulstoff vermitteln, sagt Volk. Das Wichtigste sei dabei, das Kind individuell zu fördern und auf diese Weise das Selbstvertrauen zu stärken.

Auch Höhne hat bei den Kursen der Lernpaten-Akademie noch einiges dazugelernt. Dabei leitet sie als interkulturelle Trainerin Seminare in internationalen Betrieben. "Das Unterrichten macht mir Spaß", sagt sie. Doch wie sie eine Achtjährige nach einem langen Tag in der Schule motiviert - damit hatte sie keine Erfahrung. Sie besuchte den Kurs "Kinder im Lesen und Rechtschreiben unterstützen" und nahm vor allem eines mit in die wöchentlichen Treffen: "Alles, was man mit Bewegung verbinden kann, sollte man auch in Bewegung machen." Seitdem fährt sie zum Beispiel mit einem Finger über den Rücken der Zweitklässlerin, um Worte zu buchstabieren. Das macht dem Mädchen Spaß und ganz nebenbei lernt es die korrekte Schreibweise. Das Spielerische ist Höhne dabei sehr wichtig: "Eine Lernpatenschaft zu übernehmen, bedeutet mehr, als nur Hausaufgaben zu erklären."

Auch in der persönlichen Beziehung zu ihrem "Bildungskind", wie Höhne das Mädchen nennt. Obwohl das gerade zu Beginn nicht so einfach war. "Jeder zweite Satz war ,Weiß ich nicht'", erinnert sich Höhne. Was sollte sie damit anfangen? Über die Monate lernte sie, was dieser Satz wirklich bedeutet - und die Zweitklässlerin taute immer weiter auf: "Man darf nicht erwarten, dass so etwas von heute auf morgen geht." Inzwischen wirkt es so, als habe sich eine Freundschaft zwischen den beiden entwickelt: "Die Patenschaft bereichert meine Welt", sagt Höhne.

Zuhause spreche ihr Schützling meistens Vietnamesisch, habe also gerade in Deutsch Startschwierigkeiten. Höhne will verhindern, dass diese Probleme zur unüberwindlichen Hürde werden. Sie will durch ihr Engagement "zur Chancengleichheit in der Gesellschaft beitragen." Außerdem versteht sie, was es bedeutet, in einer fremden Kultur zu leben - zumindest ein bisschen. Augenzwinkernd erzählt sie, wie sie von Berlin nach München umgezogen ist. "Das war sogar für mich ein Kulturschock", sagt sie lachend.

Wer Interesse an einem ehrenamtlichen Engagement hat, kann sich zur Anmeldung und für weitere Informationen an lernpatenakademie@tatendrang.de wenden. Das Angebot der Freiwilligen-Agentur ist kostenlos. Das Kursprogramm der Lernpaten-Akademie ist unter www.tatendrang.de einzusehen.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2016
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