Oper:Hojohe mit Windmaschine

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Der heulende Sturm im Skagerrak kommt hoffentlich von der Windmaschine bei der Aufführung des Fliegenden Holländers am Ufer des Ammersees bei Schondorf: (von links) Renatus Mészàr als ursprünglicher Holländer, den nun Paul Gukhoe Song singt, Arabella Hellmann, Elodie Théry, Valentin Francois, Sandra Gerlach, Anahita Ahsef, André Calegaro und Maarja Purga. (Foto: privat)

"Fliegender Holländer" am Ammersee gesichtet: Der Richard-Wagner-Verband verwirklicht sein Herzensprojekt in Schondorf.

Von Jutta Czeguhn

Ob Katharina Wagner in Bayreuth Choristen-Hemden aufbügelt, Kostüme färbt, Unmengen Kaffee kocht und eine Windmaschine heranschafft? Gehört alles zum Job einer Intendantin, für Arabella Hellmann jedenfalls. Die 38-Jährige ist Vorsitzende des jungen Richard-Wagner-Verbands Ammersee, und der hat sich etwas ziemlich Wahnsinniges vorgenommen. Bayreuther Festspiele meets Bregenz, könnte man sagen, denn direkt am Ammersee-Ufer in Schondorf zwischen dem Strandbad Forster und den dunkelgrünen Umkleidekabinen wird am 15. und 16. Juli ein "Fliegender Holländer" zu erleben sein, in voller Länge, mit international renommierten Wagnerstimmen wie Stefan Vinke oder Andreas Hörl, mit 30-köpfigem Chor, zwei Klavieren, einem Kontrabass, einem Horn, einer Oboe, einer Klarinette und einer Trompete. Und eben jener Windmaschine, die man hoffentlich braucht. Denn schließlich soll's - "Hojohe! Hallojo! Hojohe! Ho!" - nur in der Oper stürmen und nicht über dem See.

Ein Besuch bei den Proben in Schondorf, erste Station: Das Zuhause der Hellmanns, Arabellas Eltern, ist die Schaltzentrale dieses couragierten Opernprojekts. Eine Art sehr charmanter Villa Wahnfried, denn eines wird sofort klar: Hier wohnen Wagnerianer, ein Relief mit dem markanten Seitenprofil des Komponisten neben der Haustür, im Flur dann seine Büste in Gold, im Wohnzimmer eine der 500 Wagner-Figuren, die anlässlich seines 200. Geburtstags 2013 überall in Bayreuth herumstanden. Der kleine Sachse aus dunkellila Plastik scheint in seiner Dirigenten-Pose gestreng über die Musiker zu wachen, die im Nebenraum eine Holländer-Arie proben. "Ich hab' die Figur zu meinem 30. Geburtstag bekommen", erzählt Arabella Hellmann und macht kurz noch zwei Dinge gleichzeitig, Kaffee kochen und ein Auge auf den Probenplan mit vielen Post-its werfen, die an der Tür kleben.

Mit Wagner aufgewachsen: Arabella Hellmann, Vorsitzende des Richard-Wagner-Verbands Ammersee, hier zu Hause in Schondorf. (Foto: privat)

Wer in einem Wagner-Haushalt aufwächst, entkommt ihm nicht, diesem Faszinosum. Wie schon ihre Mutter Claudia war auch Araballa Hellmann lange ein "Blaues Mädchen" in Bayreuth, das sind jene Türsteherinnen in einst blauer, mittlerweile grauer Uniform im Festspielhaus, die Eintrittskarten kontrollieren und - zumindest in der Vergangenheit - selbst kundigste Wagnersüchtige waren. "15 Jahre, von meinem 18. Geburtstag an, hab' ich meine Sommerferien immer in Bayreuth verbracht", erzählt sie. Während ihre Freunde feierten, verreisten und sie für komplett bekloppt hielten. Bei den Festspielen jedoch hat sie viele Gleichgesinnte getroffen, aus der verschworenen Gemeinschaft junger Wagnerianer ist dann schließlich vor sieben Jahren der Richard-Wagner-Verband Ammersee hervorgegangen. Er hat mittlerweile 150 Mitglieder in aller Welt und ist so etwas wie die Frischzelle in einem doch recht angejahrten Organismus. Hellmann weiß das nur zu genau. Auf dem Richard-Wagner-Kongress 2019 in Venedig, dessen Rituale in Axel Brüggemanns wunderbarem Film "Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt" gar köstlich kolportiert werden, wurde sie ins Präsidium des Richard-Wagner-Verbandes international gewählt. Dort ist sie die mit Abstand Jüngste.

Thema bei diesen Kongressen, die überwiegend von Menschen besucht werden, die schon eine ganze Weile auf der Welt sind: Wie kann man die Jugend für Wagner begeistern. Am Ammersee hat man da viele Ideen: kleine Konzerte am Ufer, in Kindergärten und Grundschulen, oder aber etwa das Format "Wagner Goes Wild" mit Poetry Slams, Flash Mobs. Vor allem aber pflegt man eine intensive persönliche Betreuung der jährlichen Stipendiaten der Richard-Wagner-Stipendienstiftung. "Wir ermöglichen ihnen nicht nur eine Woche Bayreuther Festspiele, sondern laden sie auch ein zu Tutorien bei uns an den Ammersee", erzählt Hellman. Man hält Kontakt, sie bleiben Teil der Wagner-Familie sozusagen. So kommt's, dass die Ex-Ex-Stipendiatin Michiko Tashiro extra aus São Paulo eingeflogen wurde als Pianistin für dieses Holländer-Projekt, das sich irgendwie auswuchs von der Idee eines kleinen Sommerkonzerts im Hellmannschen Garten zur Komplett-Oper am See. Der Geisterschiff-Kapitän, der nur alle sieben Jahre Landgang hat, um eine Frau finden, die ihn von seinem Fluch erlöst. Was könnte passender sein zum siebenjährigen Vereins-Bestehen?

Plakatmotiv für die Aufführungen des "Fliegenden Holländers", entworfen von der sechsjährigen Philippa, der Tochter einer Freundin von Intendatin Arabella Hellmann. (Foto: Richard-Wagner-Verband Ammersee)

Probenbesuch zweite Station: das Vereinsheim des TSV Schondorf. Arabella Hellmann und Mutter Claudia haben nicht nur Sponsoren sondern auch tatkräftige Unterstützer gefunden, im Rathaus, bei der Feuerwehr, der Wasserwacht und im Sportverein, der ihnen sein Heim überlässt. Dort haben sie sich nun eingefunden, Regisseur Georg Rootering, Anahita Ahsef, die die Senta singt, die "Mary" Sandra Gerlach. Noch fehlen der Daland Andreas Hörl und Eric-Sänger Stefan Vinke, der gerade auf der Autobahn Richtung Ammersee heransegelt. Beide haben schon in Bayreuth gesungen, sind international gefragte Wagner-Stimmen. Den berühmten Orchester-Graben, den mystischen Abgrund dort, kennt auch Rainer Armbrust nur zu gut, der musikalische Leiter des Projekts lehrte bis vor kurzem noch am Bard College in New York. Im Online-Chat hat er dort nachts gemeinsam mit Michiko Tashiro in Brasilien an der Holländer-Partitur gefeilt. Ursprünglich wollten die beiden Pianisten die Sänger nur auf ihren Klavieren begleiten. Doch dann kam ein Instrument nach dem anderen hinzu.

Wie halt alles immer größer wurde bei diesem Herzensprojekt von Arabella Hellmann. Sie sieht ihren Verein als "Türöffner" zu Wagner, diesem fragwürdigen Menschen, diesem Antisemiten, maßlosen Egomanen, mit dem sie, sagt sie, gewiss nicht hätte befreundet sein wollen. Dessen Musik sie aber so tief berühre. Mit den jungen Wagnerianern vom Ammersee kann man über diese Ambivalenz leidenschaftlich diskutieren. Doch die Intendantin muss weiter, die Windmaschine wartet.

"Der Fliegende Holländer": Freitag und Samstag, 15. und 16. Juli, Strandbad Forster in Schondorf (An der Point 2), jeweils 18 Uhr. Karten für 35 und 50 Euro unter rwv-ammersee.de

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