Süddeutsche Zeitung

Rheinpfalz:Tellerfleisch und ganz viel Hirn

Ein Ort für Professoren, Bildhauer und verhinderte Rockstars: Die Rheinpfalz in Schwabing ist die Kneipe mit dem höchsten IQ der Stadt - behauptet zumindest der Wirt.

Lisa Sonnabend

In der Rheinpfalz pulsiert Schwabing an manchen Abenden noch wie früher. Gerade erst rückte Hans Karp, den alle nur Hänsel nennen, mal wieder zwei Tische zur Seite und ließ die Beatstones auftreten, eine Sixties-Band aus Pasing. Die Musik war treibend, es war heiß und furchtbar eng. Die älteren Gäste tanzten, die jüngeren sagten: 'Wahnsinn, wie die alten Leute tanzen.'

Abend für Abend treffen sich in dem Lokal in der Kurfürstenstraße Musiker, Künstler, Kabarettisten, Denker und Thekensitzer. Wenn ein neuer Gast den Raum betritt, grüßt er die anderen. Die meisten mit Vornamen. Jeder duzt jeden, auch die wenigen Neulinge. Der Gitarrist Nick Woodland, der der Legende nach einmal beinahe von den Rolling Stones engagiert worden wäre, kommt fast jeden Tag gegen 22.30 Uhr, setzt sich an den Tisch hinter der Eingangstür und trinkt ein Glas Wein. Dann geht er wieder. Rock"n"Roller Richard Rigan, der noch immer 'Elvis von Schwabing' genannt wird, sagt über die Rheinpfalz: 'Es ist eines der wenigen Lokale, wo es noch urig ist und kein Schickimicki zu sehen ist.' Eines der wenigen Lokale, wo er seine Cowboystiefel anziehen könne, ohne schief angeschaut zu werden.

Der Bildhauer Olaf Metzel sitzt an diesem Abend an einem der Holztische im hinteren Bereich des Lokals. Ein paar Tage zuvor ist ein großes Interview mit ihm erschienen, über sein neues Werk für die Staatsbibliothek in Berlin. Den Artikel reichen die Gäste, darunter einige Professoren der umliegenden Hochschulen, herum und nicken Wetzel anerkennend zu. 'Die Rheinpfalz hat Kultur', sagt der 67-jährige Wirt Hänsel stolz. 'Sie ist die Kneipe mit dem höchsten IQ der Stadt.' Hier haben auch die Angestellten studiert. Köchin Barbara zum Beispiel, die seit 35 Jahren Tellerfleisch, Schinkennudeln oder Zanderfilet zubereitet, ist Politologin.

Woher der Name der Kneipe kommt, hat hier allerdings trotz allem IQ niemand herausgefunden. Auch wie lange es das Lokal schon gibt, kann keiner so genau sagen. Sicherlich habe es die Rheinpfalz schon vor dem Krieg gegeben, vermutet Hänsel. Eines weiß der Wirt allerdings genau: Der Tag, an dem er das Lokal übernahm, war der 1. September 1971. Hänsel steckte damals mitten im BWL-Studium. Er hatte finanzielle Reserven, weil er einen gut bezahlten Nebenjob hatte. Als der damalige Besitzer des Lokals nach Indien ging, dachte sich Hänsel: 'Das könnte ich ja für ein paar Jahre machen.' Nun steht er nach 40 Jahren immer noch hinter der Theke. Er ist davon überzeugt, dass er der dienstälteste Wirt in Schwabing ist.

Als er das Lokal übernommen hatte, riss Hänsel erst mal die Tapete ab, zum Vorschein kam eine holzvertäfelte Wand. Die hat der Wirt mit Ochsenblut-Farbe bemalt und mit der Zeit Schwarz-Weiß-Fotos der Angestellten und der Stammgäste hingehängt. Die Bilder hängen noch heute. Hänsels Gastronomiekonzept lautet: 'Bloß nichts ändern.' Auch die Besucher sind großteils immer noch die gleichen - auch wenn sie inzwischen ein wenig in die Jahre gekommen sind.

Die meisten Gäste sitzen an der Theke, vor sich ein Bierglas, das erst halbleer, dann leer und schließlich wieder voll ist. Mitten im Raum steht ein Klavier, ab und an haut ein Gast in die Tasten und wenn er das gut macht, verstummen die Gespräche, und die Gäste lauschen. In der Ecke hängen Wimpel von Fußballvereinen. Nicht vom FC Bayern, dafür von Erzgebirge Aue oder Rot-Weiß Oberhausen. 'Meine Sympathien haben die Vereine, die gegen den Abstieg kämpfen', erklärt Hänsel. Hinter dem Tresen liegt seine Trompete. Immer wenn ein Gast Geburtstag hat, holt Hänsel sie hervor und spielt ihm ein Ständchen.

Nur am Samstag müssen die Stammgäste ihr Bier woanders trinken. Denn dann ist - für eine Kneipe recht ungewöhnlich - Ruhetag. Hänsel sagt: 'Ich will ja auch mal ausgehen.' Und das gehe samstags am besten. Er ist dann meist im Podium oder in der Schauburg anzutreffen, natürlich in Schwabing.

Ans Aufhören denkt Hänsel noch lang nicht - vor allem wegen seiner Angestellten. Wegen Barbara, Morin, Heike und Klaus, von denen die meisten bereits seit mehr als 30 Jahren hier sind. 'Die bappen doch an ihrem Job', meint Hänsel. Die Rheinpfalz einfach zumachen, das würde ohnehin nicht gehen. Dann würden Freundschaften kaputtgehen, mehr noch: eine Familie würde zerbrechen.

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