Agnes Neun:Reinkieken und das Heimweh nach Norddeutschland bekämpfen

Kostprobe Agnes Neun, Agnesstr. 9

Das Agnes Neun ist mehr als ein Treffpunkt fürs Viertel, hier findet auch die norddeutsche Seele einen Ankerplatz im bayerischen Exil.

(Foto: Florian Peljak)

Das "Agnes Neun" ist eine gemütliche Nachbarschaftskneipe. Es gibt Bremer Knipp, Kapitänssülze und andere Spezialitäten - besonders viele Fans hat aber eine vermeintlich simple Beilage.

Von Moritz Mayer-Rahn

Nur gut, dass die AfD das Thema noch nicht entdeckt hat. Wer weiß, ob da nicht sofort die nächste Kampagne gestrickt würde über die angeblich mangelnde Liebe zum eigenen Land, diesmal am Beispiel der Gastronomie. Denn es gibt zwar Spezialitätenlokale aus nahezu jedem Winkel der Welt. Aber wer den regionalen Besonderheiten der deutschen Küche nachspüren will, muss meist dorthin fahren. Jenseits der natürlich reichlich vorhandenen bayerischen Wirtshäuser finden sich nur wenig Lokale, die sich ganz der Küche anderer deutscher Regionen verschrieben haben.

Doch es gibt Ausnahmen, und von einer soll hier die Rede sein: dem Agnes Neun, das so heißt, weil es in der Agnesstraße Nummer neun liegt, und zwar schon seit 43 Jahren. Hier werden typisch norddeutsche Gerichte serviert, allerdings nicht schon seit 43 Jahren. Angefangen hat das Agnes Neun als eine der ersten Kneipen Münchens, in der Warsteiner Bier vom Fass ausgeschenkt wurde.

Und der heutige Wirt Harald Drews war auch schon dabei - als Stammgast. Später war er dann Mitarbeiter des Lokals, vor acht Jahren hat er es zusammen mit seiner Frau Karin übernommen, die ebenfalls die gleiche Sozialisation hinter sich hat: vom Gast über die Bedienung zur Wirtin. Auch Sohn Stefan ist dabei, er steht meist in der Küche und verantwortet dort ein Gericht, von dem noch zu schwärmen sein wird.

Nein, ein norddeutsches Spezialitätenrestaurant, möglicherweise gar noch ein hanseatisch-steifes, ist das Agnes Neun nicht. Es ist eine Nachbarschaftskneipe mit norddeutscher Küche, in der sich die Leute aus dem Kiez treffen. Seine Vergangenheit sieht man dem Lokal an, und das ist rundherum positiv gemeint. Denn die diversen Designerwellen, die vielen Münchner Lokalen einen sterilen Einheitslook verpasst haben, sind am Agnes Neun spurlos vorübergegangen. Hier sieht es noch so aus wie damals: viel dunkles Holz und jede Menge Nippes in den Ecken und an den Wänden. Eine saugemütliche Kneipe, wie es leider immer weniger im aufgemaschelten München gibt. Früher vermutlich jeden Abend völlig verräuchert.

Die wenigen Tische, die es im leicht erhöhten Nebenraum gibt, sind immer besetzt, weswegen sich eine rechtzeitige Reservierung empfiehlt. Und das liegt nicht nur am urigen Ambiente, sondern vor allem an der Küche. Wer typisch norddeutsch essen will, bekommt hier einen Querschnitt geboten, den es sonst nirgends gibt. Und der denjenigen, der aus Norddeutschland stammt, an seine Kindheit denken lässt.

Gute Küche ohne Schnickschnack

Das fängt bei den Vorspeisen an. Das Hackepeterbrot mit Zwiebeln und Gurken (5,50 Euro), zeigt, worauf es bei einem so einfachen Gericht ankommt: dass es richtig gewürzt ist. Auch das Bremer Knipp (7,90 Euro), ein hackfleischartiges Brät, das auf geröstetem Vollkornbrot serviert wird, ist ein Beleg dafür, dass gute Küche keinerlei Schnickschnack braucht, um ein intensives Geschmackserlebnis zu bieten.

Wer zu mehreren kommt, sollte sich die Vorspeisen am besten teilen, denn die Hauptgerichte sind nicht nur mächtig, sondern auch mächtig viel. Aber wer Kapitänssülze mit Bratkartoffeln (11,90 Euro) bestellt, hat ohnehin nicht vor, nur an einem Salatblatt zu knabbern. Die Sülze kommt fein aufgeschnitten auf den Teller, ohne den Glibber, mit dem sie oft serviert wird. Matjesliebhaber kommen beim Sylter Matjesteller mit Speckbohnen und Bratkartoffeln (13,90 Euro) voll auf ihre Kosten.

Kostprobe Agnes Neun, Agnesstr. 9

Auf der Karte stehen Gerichte wie Bremer Knipp und Labskaus und danach ist für einen Friesengeist immer noch Platz.

(Foto: Florian Peljak)

Und ein außerhalb Norddeutschlands gerne abschätzig betrachtetes Gericht darf natürlich nicht fehlen: Labskaus. Im Agnes Neun wird es klassisch mit Spiegelei, Rollmops und Salzgurke serviert (13,90 Euro). Klar, es gibt ästhetisch ansprechendere Gerichte als diesen Brei aus Rindfleisch, Kartoffeln und Roter Bete. Ursprünglich war Labskaus ein Seefahrer-Gericht, bei dem Pökelfleisch verwendet wurde, später kam meist Corned Beef zum Einsatz, heute wird durchaus auch frisches Hackfleisch verwendet, es gibt unzählige Rezepte für Labskaus. Je nach Menge der einzelnen Zutaten changiert die Farbe zwischen Rosa und Rot. Im Agnes Neun kommt es ziemlich rot auf den Tisch, es könnte auch ein Tatar mit Spiegelei oben drauf sein.

Es gibt auch Alternativen - und Bratkartoffeln

Und auch wenn keiner in der Testrunde genau sagen konnte, wonach Labskaus nun eigentlich schmeckt, waren sich alle einig: Es ist köstlich. Wer es nicht ganz so norddeutsch mag, für den hat die Wochenkarte Alternativen parat, etwa ein Paprikarahmschnitzel mit Spätzle (11,80 Euro, nun wirklich nicht norddeutsch) oder ein Cordon bleu mit Bratkartoffeln (11,80 Euro).

Überhaupt die Bratkartoffeln. Ihretwegen allein lohnt ein Besuch im Agnes Neun. So knusprig und kross wie hier bekommt man sie nur ganz selten. Wer auf eigene Versuche mit Bratkartoffeln zurückblicken kann, der weiß: So einfach ist das gar nicht. Der Koch verrät lediglich, dass er sie mit Margarine brät, der Rest bleibt sein Geheimnis.

Auch die Verdauungsschnäpse gibt es als norddeutsche Varianten, sie heißen Küstennebel, Friesengeist oder Kutterschluck. Und weil der Service so herzlich und familiär ist wie die ganze Kneipe, spricht nichts dagegen, ihr Motto zu beherzigen: Kiek mol wedder in.

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