Es war der Name, der Iwan Lende ins Auge sprang und eine seltsame, angesichts eines Restaurants ganz ungewöhnliche Reaktion hervorrief. Eine Erinnerung, tief im Hinterstübchen versteckt. An einen US-Marine, der nach einem Bauchschuss im Niemandsland vor Schmerzen brüllte, getroffen von einem weiblichen Heckenschützen der Vietcong. Eine der brutalsten Szenen in Stanley Kubricks Film "Full Metal Jacket". Er spielt in Huê, jener zentralvietnamesischen Hafenstadt am Parfümfluss, die heute längst zum Weltkulturerbe der Unesco gehört, aber damals, 1968, während der Tet-Offensive eine tragische Rolle spielte. Das Lokal, vor dem Lende in Untersendling plötzlich stand, heißt Huê House und machte einen sehr einladenden Eindruck, dem Lende alsbald nachgab.
Und drinnen schon wieder so ein Flashback: An den beiden Seiten des kleinen Gastraumes hängen zwei riesige Bilder von sehr eleganten Vietnamesinnen in weißen, wallenden Kleidern, so wie jene Schöne, die von dem wortgewaltigen Discjockey Adrian Cronauer in "Good Morning, Vietnam" erfolglos umworben wird. Vielleicht liegt es daran, dass Lende zu jener Generation gehört, die den Vietnamkrieg live mitbekommen hat, damals, als man auch in München gegen die USA demonstrierte. Und so schließt sich dieser Gedankengang mit der letztlich frohen Erkenntnis, dass eine im Kriegswahn völlig zerstörte Stadt wieder erblühen und ihre Kultur in die Welt schicken kann. Vielleicht gibt es ja irgendwann ein "Aleppo House".
Kostprobe:Wozu ein Hauptgericht, wenn es doch Vorspeisen gibt
Das libanesische Restaurant Baalbek in der Maxvorstadt ist ein wahrer Tempel des Teilens. Und lässt ahnen, warum der Libanon einst als Schweiz des Orients galt.
Man sollte vorbestellen, denn es gibt nur ein paar Tische und davon auch nur wenige für mehr als zwei Personen. Sie sind, wie die Stühle, in schwarz gehalten, das Licht ist gedimmt, die Speisekarte nicht ganz so umfänglich wie in vielen fernöstlichen Restaurants, und es steht darin geschrieben, dass man leider nur Bargeld annehmen könne. Was aber in dieser Gegend nichts Außergewöhnliches ist.
Überraschend ist, dass die beiden Herren, die das Geschäft mit dem Gast in großer Freundlichkeit abwickeln, akzentfrei die Sprache ihrer neuen Heimat sprechen, was insofern als angenehm empfunden wird, als doch viele Italiener mit ihrer Radebrecherei eine Originalität an den Tag legen wollen, die eher gekünstelt wirkt.
Und schon kommt die Vorspeise: Sie heißt Bò Lá Lõt, das sind fünf "Rindfleischhäppchen in Betelpfefferblätter gerollt, verfeinert mit duftenden Gewürzen". Man hat natürlich "die Nummer 4" bestellt, weil man im Vietnamesischen nicht so beschlagen ist. Und es gilt schon hier, was auf nahezu alle getesteten Gerichte zutrifft: Nach dem ersten Bissen gibt es im Gaumen eine Geschmacksexplosion, wie man sie nur bei perfekt abgestimmten Gerichten erlebt.
Die lauwarmen, leicht bitteren Blätter lassen einen das unglaublich spannend gewürzte, heiße gehackte Rindfleisch im Inneren wie ein Geschenk des Himmels erleben. Die kundige Verwendung von frischen, oft aus der Heimat eingeflogenen Kräutern, beileibe nicht nur Kurkuma und Koriander, ist ja eines der Geheimnisse der Küche Vietnams; ein zweites ist die absolute Verbannung von Glutamat und sonstigen Geschmacksverstärkern aus der Küche. Manch ein Freund hiesiger Chinaküche muss die Feinheiten hier erst wieder schmecken lernen.
Die Nummernvielfalt fast aller asiatischen Restaurants speist sich ja aus der Variabilität der Zutaten zu den einzelnen Fleischarten oder Tofugerichten. Die Kunst, die Haut einer Ente knusprig zu kriegen, ohne das Fleisch auszudörren, ist natürlich auch kein Alleinstellungsmerkmal der Huê-House-Küche, aber Garnierung, Kombination und Würzung sind es allemal, auch wenn beim Schweinebauch die Haut mal allzu knusprig gerät. Aber wenn dann eine gedünstete Dorade auf dem Speiseplan steht, sollten Fischfreunde unbedingt zugreifen: So haben sie diesen Allerweltsfisch wohl noch nie gegessen.
Was die bei Vietnams Küche in der Regel weniger rabiate Schärfe betrifft, so geht man auch hier eher vorsichtig zu Werke. Wo "leicht scharf" angekündigt ist, überlebt auch einer wie Lende, der die wahre Kraft fernöstlicher Schärfe eher von Hörsagen kennt. Und weil er auch keine Erdnusssauce, keinen Kokosgeschmack, dafür aber gerne Knoblauch, Wasserspinat und die hier so köstliche Limetten-Basilikum-Sauce mag, ist der Entdeckerfreude auf der Speisekarte kein Ende gesetzt. Das geht von frischen Wan Tans über den zarten Tintenfischsalat, den Reismehlpfannkuchen mit Shrimps und Schwein zu Ente mit Cashewnüssen oder den knusprigen Eiernudeln mit diversen Fleischsorten, wobei die Nudeln sich gegen den Verzehr etwas sperren. Mit Stäbchen erst recht.
Man trinkt hier Bier, auch ein gutes aus Saigon, weniger Wein. Vietnamkenner und Vietnamesen, man trifft hier oft welche, nehmen gerne Jasmintee. Und was die Preise angeht, kommt man mit circa 35 Euro pro Person sehr gut genährt durch den Abend.