Kompass:Zeichen unserer Zeit

Kompass: Boban Andjelkovic: "Unsere Zeit".

Boban Andjelkovic: "Unsere Zeit".

(Foto: Boban Andjelkovic/Design Widmer)

Plakatkunst ist eine ganz besondere Kunst. Die Motive für die aktuelle Spielzeit des Residenztheaters stammen von Münchner Künstlerinnen und Künstlern und beweisen: Plakate sind viel mehr als Werbung.

Von Evelyn Vogel

Plakatkunst ist eine ganz besondere Kunst. Plakate sollen neugierig machen, aber auch eigenständige kleine Kunstwerke sein. Sie sollen aus der Ferne funktionieren und aus der Nähe animieren. Für die aktuelle Spielzeit haben der Intendant des Residenztheaters, Andreas Beck, und der Sammlungsleiter für Gegenwartskunst an den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Bernhart Schwenk, in München arbeitende Kunstschaffende gebeten, Plakate und Programmhefttitel für die Neuinszenierungen des Residenztheaters zu gestalten. Die aus den Entwürfen ausgewählten 17 Motive stammen von renommierten Künstlerinnen und Künstlern wie Katharina Gaenssler, Eva Leitolf, Beate Passow und Olaf Metzel, aber auch von jüngeren Absolventinnen und Absolventen der Kunstakademie wie Philipp Guffler, Gülbin Ünlü oder Veronica Burnuthian. Zu sehen sind die Plakate, die von der Designerin Regular Widmer in einen einheitlichen Rahmen gebracht wurden, nicht nur im Stadtraum, sondern auch in einer kleinen Ausstellung in den Foyers sowie auf der Website des Residenztheaters.

Boban Andjelkovic: "Unsere Zeit"

Nomen est omen? Wenn ein Titel für die Irrungen und Wirrungen unserer Zeit - und nicht nur der pandemischen - stehen kann, dann vielleicht "Unsere Zeit". Boban Andjelkovic hat das Plakat für Simon Stones Inszenierung frei nach Motiven von Ödön von Horváth entworfen, und damit startete das Residenztheater in die neue Spielzeit. Horváths Panorama menschlicher Anstrengungen in Zeiten der Krise verlegte Stone in den Mikrokosmos einer Tankstelle. Die Glücksuchenden und Gestrandeten, die Auf- und Aussteigerinnen, die Tag- und Albträumer in dem Stück inspirierten den 1975 in Serbien - nach eigenen Angaben "in Europa" - geborenen und an der Münchner Kunstakademie ausgebildeten Andjelkovic zu einem vielschichtigen menschlichen Porträt. Über leicht verschobenen Augen und einem halb geöffneten Mund mit leuchtend roten Lippen türmt sich ein Gewirr an schwarzen Linien, als ob der Figur der Kopf rauchen würde angesichts all der Verwerfungen, die unsere Zeit mit sich bringt.

Jutta Burkhardt: "Tartuffe oder das Schwein der Weisen"

Kompass: Jutta Burkhardt: "Tartuffe oder das Schwein der Weisen".

Jutta Burkhardt: "Tartuffe oder das Schwein der Weisen".

(Foto: Jutta Burkhardt/Design Widmer)

Am 26. März wird am Residenztheater das Stück "Tartuffe oder das Schwein der Weisen" Premiere haben. Religiöses Heuchlertum, wie es der französische Dichter Molière in seinem bekannten "Tartuffe" im 17. Jahrhundert anprangerte, gibt es auch im 21. Jahrhundert reichlich. Der Autor und Musiker Peter Licht konzentriert sich in seiner Neudichtung "Tartuffe oder das Schwein der Weisen" auf die Gegenwart. Die Künstlerin und ausgebildete Bühnenbildnerin Jutta Burkhardt hat dafür eine eigene Bildsprache gefunden: einen halb gefüllten Wasserkrug mit einer roten Wärmflasche als Deckel, die an ein Béret erinnert und eine interessante Metapher dafür abgibt, dass einer mehr Schein als Sein ist. Die Aufführung wird Jutta Burkhardt nicht mehr erleben können. Sie ist kürzlich im Alter von nur 52 Jahren gestorben.

Miro Craemer: "Agnes Bernauer"

Kompass: Miro Craemer: "Agnes Bernauer".

Miro Craemer: "Agnes Bernauer".

(Foto: Miro Craemer/Design Widmer)

Nicht im Resi, sondern im Cuvilliéstheater hatte das Stück "Agnes Bernauer" von Franz Xaver Kroetz in der Inszenierung von Nora Schlocker Premiere. Die Geschichte der historischen Agnes Bernauer, Geliebte des bayerischen Herzogs Albrecht III., wurde vielfach literarisiert und dramatisiert. Kroetz dient die Figur als Folie, um damit gesellschaftliche Verhältnisse und soziale Ungerechtigkeiten unter die Lupe zu nehmen. Darauf geht auch der Künstler und Designer Miro Craemer in seinem Plakatentwurf ein: Die Ausbeutung von Fabrikarbeiterinnen in sogenannten Entwicklungs- und Schwellenländern im globalen Süden. Der Brand in einer Bekleidungsfabrik in Pakistan diente ihm konkret als Anlass. Umgesetzt hat er seine Idee in einer Patchwork-Decke, die das Plakat beherrscht und die an die Patchwork-Westen der Lohnarbeiter in der Inszenierung erinnert.

Mehmet & Kazim: "Es waren ihrer sechs"

Kompass: Mehmet & Kazim: "Es waren ihrer sechs".

Mehmet & Kazim: "Es waren ihrer sechs".

(Foto: Mehmet & Kazim/Design Widmer)

Was für eine überraschende Idee, das Plakatmotiv für ein so düsteres Thema wie politischen Widerstand von zwei Künstlern mit einer so heiteren Bildsprache wie Mehmet & Kazim umsetzen zu lassen. Die als "Kissing Cousins" bekannten Cousins Akal malen ihre expressiven, pastosen Gemälde immer in Rot und Weiß - abgeleitet von ihrem gemeinsamen Nachnamen. Das Stück "Es waren ihrer sechs" nach dem Roman von Alfred Neumann in einer Bearbeitung von Tomasz Śpiewak, das im Herbst Premiere im Marstall hatte, gilt zwar als Hommage an die Weiße Rose, fokussiert sich aber auf die allgemeine Idee vom jugendlichen Widerstand gegen totalitäre Herrschaftssysteme. Wie vielfältig der sein kann, bringt die Inszenierung durch eine alles prägende Aufsplitterung zum Ausdruck. Und die Plakatfigur? Auch die scheint in mehrere Identitäten zu zersplittern.

Beate Passow: "Spiel des Lebens"

Kompass: Beate Passow: "Spiel des Lebens".

Beate Passow: "Spiel des Lebens".

(Foto: Beate Passow/Design Widmer)

In ihren Installationen, Fotografien und Collagen beschäftigt sich Beate Passow oft mit der Zeit des Nationalsozialismus. Ihre Kunst ist auch eine gegen das Vergessen. In dieser Spielzeit hat sie nicht nur das Plakat für "Die Träume der Abwesenden" gestaltet, sondern auch das für die Inszenierung "Spiel des Lebens - Die Kareno-Trilogie" von Knut Hamsun, die am 8. April in der Regie von Stephan Kimmig am Residenztheater Premiere haben wird. Der norwegische Literaturnobelpreisträger Hamsun wurde zunehmend antidemokratisch und kollaborierte später mit den Nationalsozialisten. Auch seine Figur Ivar Kareno radikalisiert sich zunehmend politisch. Beate Passow benutzt die "Fury Foxes", eine rechtsradikale Vereinigung in den USA, die rote Armbinden mit Pfotensymbolen an Stelle der NS-Hakenkreuze tragen, um diese Radikalisierung in die Gegenwart zu verlegen - putzig und erschreckend zugleich.

Nana Dix: "Engel in Amerika"

Kompass: Nana Dix: "Engel in Amerika".

Nana Dix: "Engel in Amerika".

(Foto: Nana Dix/Design Widmer)

Mit dem großartigen, zweiteiligen Abend "Das Vermächtnis" von Matthew Lopez in der Inszenierung von Philipp Stölzl hatte sich das Residenztheater der Aids-Epidemie aus der Gegenwart heraus zugewandt (und Philipp Gufler hatte dafür das rätselhafte Plakat geschaffen). Mit "Engel in Amerika" von Tony Kushner, das im Juni am Resi Premiere haben soll, will Regisseur Simon Stone noch direkter in die Anfangsjahre der Krankheit eintauchen und die Verwerfungen jener Zeit aus der Perspektive unseres Jahrtausends interpretieren. Die Münchner Künstlerin Nana Dix, eine Enkelin von Otto Dix, hat dafür eine Art Todesengel - hier tauchen ihre schwarzen Raben auf - aufs Plakat gesetzt, der einen das Fürchten zu lehren scheint.

Die weiteren Plakate wurden gestaltet von Gabi Blum (Graf Öderland), Veronica Burnuthian (Die Unerhörten), Katharina Gaenssler (Marienplatz), Caro Jost (Gier unter Ulmen), Eva Leitolf (Urteile revisited), Olaf Metzel (Der Schiffbruch der Fregatte Medusa), Valio Tchenkov (Der Drang), Gülbin Ünlü (Cyrano de Bergerac) und Johannes Tassilo Walter (Die Wolken, die Vögel, der Reichtum).

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