Am ResidenztheaterEin neuer Theaterraum für München

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Hanna Scheibe ist in einer der kleinen Produktionen im Marstall zu sehen. „Heartship“ heißt der Abend, in dem sie zusammen mit Nicola Kirsch spielt.
Hanna Scheibe ist in einer der kleinen Produktionen im Marstall zu sehen. „Heartship“ heißt der Abend, in dem sie zusammen mit Nicola Kirsch spielt. (Foto: Adrienne Meister)

Das Residenztheater hat eine kleine Spielstätte neu etabliert: Im „Marstall Salon“ gibt es Bar-Abende, Lesungen, Party und Inszenierungen. Warum das eine Bereicherung für das Staatsschauspiel und für München ist.

Von Yvonne Poppek

Es ist eine Situation, die sich zu nutzen lohnt. Samt diesem Ambiente-Mix aus Kaffeehaus, Bar und doch irgendwie Theater. Oberhalb der Bühne im Marstall gibt es diesen wunderbaren Möglichkeitsort, der das Ensemble schon mit Beginn der Intendanz unter Andreas Beck gelockt hat. Aus diesem Raum ließe sich etwas machen, war immer wieder zu hören. So wie in Basel, wo einige der Schauspielerinnen und Schauspieler und des Leitungsteams einen unkomplizierten Begegnungsort geschaffen hatten, bevor sie nach München kamen.

Doch in der bayerischen Landeshauptstadt scheint alles etwas behäbiger zu funktionieren als in der Schweiz. Und so hat es bis zu dieser Spielzeit gedauert, dass der „Marstall Salon“, wie dieses Bartheaterkaffeehaus nun heißt, zu einem – mit einigen Auflagen versehenen – wendigen Spielort und Treffpunkt werden konnte. Es ist eine Bereicherung für das Staatsschauspiel und für München.

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Hinter dem Eingang zum Marstall, dieser mutmaßlich größten Tür der Republik, führt eine uncharmante Metalltreppe zum Salon herauf. Hier blickt man auf die roh belassene Backsteinmauer, auf Holzboden und ein gigantisches Lichtquadrat in Lüster-Optik, einst Teil des Bühnenbilds in „Don Karlos“ von Martin Kušej, zudem auf ein paar Stühle und Tische und eine Theke.

Hinter dieser leuchtet seit Kurzem der Schriftzug „Heartship“. Und das nicht ohne Grund. „Heartship“ ist eine der sehr nahbaren Produktionen, die sich nun im Programm des Residenztheaters finden. Fabiola Kuonen hat den Text von Caren Jeß als eine zarte, mutmachende Freundschafts- und Liebesgeschichte inszeniert. Dafür nutzt sie nicht nur den Platz vor der Theke, sondern auch die Spielfläche vor einer kleinen Tribüne, die ebenfalls zum „Marstall Salon“ gehört.

Der Theaterabend beginnt mitten im Publikum

„Heartship“ beginnt mitten im Publikum, das mit um die 40 zugelassenen Personen immer sehr überschaubar ist. Die warten an den Salon-Tischchen, dass es losgeht. Unter ihnen sitzt Hanna Scheibe. Sie wirkt wie ein Gast, ist aber tatsächlich schon in ihrer Rolle, ist diese schüchterne, sich im konservativen Outfit und in eben solchen Verhaltensmustern versteckende Augenärztin, deren Leben durch die provokante, unangepasste, in ihrer direkten Art empathische Sara aufgewühlt werden wird.

Nicola Kirsch ist diese Sara. Und die Begegnung der beiden ist wie das Aufeinandertreffen von einem Sturm und einem zarten Bäumchen, das hinterher zwar etwas zersaust, aber erfrischt und stärker ist. Fabiola Kuonen hat die Vorlage dafür stark gekürzt, die Mittel auf Wasserbomben (die nicht ins Publikum fliegen) und etwas Klarsichtfolie beschränkt. So gehört den beiden Schauspielerinnen der blanke Raum, in dem sie sich ganz auf eine gefühlvolle Figurenzeichnung konzentrieren. Ann und Sara sind zwei Frauen im mittleren Alter, die sich in einer Bar und bei Aerobic kennenlernen. Sara gibt Ann Mut, mit ihren Problemen klarzukommen, schließlich werden sie zu einem Paar.

Nicola Kirsch spielt die toughe Sara in „Heartship“, die ihre Freundin Ann zu beflügeln weiß.
Nicola Kirsch spielt die toughe Sara in „Heartship“, die ihre Freundin Ann zu beflügeln weiß. (Foto: Adrienne Meister)

Die Intimität, die dem „Marstall Salon“ innewohnt, überträgt sich auf diese kuschelwarme Erzählung. Man meint, Ann und Sara schon einmal begegnet zu sein und jetzt ein wenig in ihr Privatleben zu linsen, in dem es durchaus Probleme gibt, die aber durch diese Verbundenheit lösbarer erscheinen.

Für „Heartship“ ist diese Spielstätte ideal, es ist kein Abend, der von krasser Überhöhung oder Ausstattungsopulenz leben muss. Gleichzeitig begeistert ein so wendiges Format das künstlerische Team und die Gewerke so, dass sie Extra-Arbeit investieren, um hier etwas Liebevolles zu erschaffen. Der Salon inspiriert aber auch Ensemblemitglieder, selbst Produktionen einzubringen. Anfang des Jahres nutzte Pia Händler diese Gelegenheit. Zusammen mit Evelyn Gugolz und Nicola Mastroberardino stellte sie die „Ophelia Balladen“ zusammen. Ein herrlich schräger Abend mit Musik, in der sich die berühmteste Wasserleiche der Weltliteratur über ihren sehr geringen Textanteil in „Hamlet“ auslässt und alles mal andersherum dreht.

Soeben hat auch Max Mayer den „Marstall Salon“ genutzt, um seine Auseinandersetzung mit Franz Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ zu installieren. Mayer hat sich Kollaborateure gesucht, den bildenden Künstler Robert Muntean, Musiker Valerio Tricoli, künstlerisch beratend Sara Dec und Jonas Vogt, und als junges Bühnen-Gegenüber Oskar Probst.

Max Mayer hat nach seinem Solo „Mars“ nun Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ am Residenztheater umgesetzt.
Max Mayer hat nach seinem Solo „Mars“ nun Kafkas Erzählung „Ein Bericht für eine Akademie“ am Residenztheater umgesetzt. (Foto: Joel Heyd)

Der Abend, den sie allein gestemmt haben, ist eine wildwüchsige Performance, in der das Publikum zur Masse in Einweg-Overalls wird, durchdrungen von Tricolis Soundwolken. Muntean arbeitet an einem abstrakten Gemälde, während Mayer dem aus der Not zum Mensch gewordenen Dressuraffen eine grelle, getriebene, angstkontrollierte Natur verleiht. Wie schon in seiner Arbeit „Mars“ fordert Mayer die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen, mit Anpassung und Auflehnung intensiv ein.

Zwischen „Ein Bericht für eine Akademie“ und „Heartship“ geht ästhetisch die Schere weit auseinander, was die (hoffentlich) wachsende Zahl an Produktionen interessant macht. In jedem Fall ist der „Marstall Salon“ ein schönes Überraschungspaket. Denn abgesehen von den Aufführungen und Lesungen gibt es hier auch monatlich den Barbetrieb am „Traurigen Montag“, den Ensemblemitglied Steffen Höld übernimmt und der kombiniert ist mit Gesang, Diskussion oder Lesung. Auch eine Party mit DJ abseits der Premierenfeiern ließ sich schon besuchen. Es gibt einfach viele Möglichkeiten für den „Marstall Salon“, gut, dass sie genutzt werden.

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