Süddeutsche Zeitung

Theater:Fünf Premieren innerhalb von neun Tagen

Das Bayerische Staatsschauspiel, das Volkstheater und die Kammerspiele holen Zeitgenössisches und Historisches, in jedem Fall politisch und gesellschaftlich Brisantes auf die Bühne - in einem beeindruckenden Rhythmus.

Von Yvonne Poppek

Wenn es kommt, dann kommt es geballt. Das scheint zumindest für den diesjährigen Theaterpremierenrhythmus in München zu gelten. Im Januar gab es schon einmal so ein Wochenende, an dem alle drei großen Häuser Neues und Großes auf die Bühne brachten. Jetzt ist es ein bisschen entzerrter, aber von noch stattlicherer Dimension: fünf Premieren innerhalb von neun Tagen. Und jede scheint eine zu sein, bei der man gerne dabei wäre. Das klappt allerdings mindestens einmal nicht, egal wie gut man seinen Terminkalender auch im Griff hat.

Revolution

Den Anfang dieser Theater-Staffel macht das Volkstheater am 23. März. Hausregisseur Philipp Arnold bringt "Revolution" nach dem gleichnamigen Roman von Viktor Martinowitsch auf die Bühne zwei an der Tumblingerstraße. Formal scheint es der kleinste Abend zu werden, doch man sollte sich dadurch nicht täuschen lassen: "Revolution" ist sehr politisch, aktuell, eine Auseinandersetzung mit Macht und Machtstrukturen und zudem ein irrer Trip durch Moskau.

Der 1977 geborene Martinowitsch ist eine der wichtigsten literarischen Stimmen aus Belarus. In seiner Heimat darf er nicht publizieren, Exemplare von "Revolution" wurden beschlagnahmt. Da er ein Kritiker der Regierung ist, stellt seine Verhaftung eine reale Bedrohung dar. Großartig ist: Das Volkstheater hat ihn vor der Premiere zu einer Lesung eingeladen (17 Uhr), sodass man diesen mutigen Mann selbst hören kann, bevor die Adaption seines Romans auf der Bühne zu sehen ist.

In "Revolution" geht es um den Unidozenten Michail Alexejewitsch German, den Steffen Link spielen wird. Er unterrichtet Architektursemiotik und hat eine glückliche Beziehung mit einer Kellnerin. Doch eines Tages wird er in einen Unfall verwickelt und gerät dadurch in die Fänge eines Geheimbundes, der die Macht an sich reißen will. German erfüllt Aufträge für diesen ominösen Kreis, profitiert davon, indem er rasant Karriere macht, allerdings überschreitet er nicht nur moralisch einige Grenzen.

Revolution, Premiere: Donnerstag, 23. März, 20 Uhr, Volkstheater, www.muenchner-volkstheater.de

James Brown trug Lockenwickler

In der Theaterwelt ist dies ein Coup: Das Bayerische Staatsschauspiel hat die Uraufführung von Yasmina Rezas neuem Stück "James Brown trug Lockenwickler" ans Residenztheater geholt. Die Autorin von beispielsweise "Gott des Gemetzels" und "Drei Mal Leben" ist eine der populärsten Gegenwartsdramatikerinnen, weit über die Grenzen ihres Heimatlandes Frankreich hinaus. Die Inszenierung übernimmt Regisseur Philipp Stölzl, der dem Haus mit "Das Vermächtnis" gerade zu einer Einladung zum Berliner Theatertreffen verholfen hat. Das dürfte die Anziehungskraft dieser Premiere noch einmal steigern.

"James Brown trug Lockenwickler" ist ein Fünf-Personen-Stück, das Reza in einer psychiatrischen Klinik ansiedelt. Dort werden die beiden jungen weißen Männer Jacob und Philippe behandelt. Jacob hält sich für die Sängerin Céline Dion, Philippe für einen Schwarzen. Jacob wird immer wieder von seinen Eltern besucht, die mit dem Verlust ihres Sohnes zu kämpfen haben, während die durchaus schräge Psychiaterin die gewählten Identitäten der beiden Männer schlichtweg akzeptiert. Das ist interessant, denn Jacob glaubt daran, demnächst auf Welttournee zu gehen.

James Brown trug Lockenwickler, Premiere: Freitag, 24. März, 19.30 Uhr, Residenztheater, www.residenztheater.de

Bilder von uns

Es ist ein schwieriges Thema, dass sich das Volkstheater eine Woche nach "Revolution" vorgenommen hat: den Missbrauch in der katholischen Kirche und dessen Aufarbeitung. Intendant Christian Stückl inszeniert "Bilder von uns" von Thomas Melle auf der großen Bühne. Damit macht er von vorneherein klar, für wie relevant er die Auseinandersetzung mit diesem Thema hält. Denn Melle hat ein Stück geschrieben mit Kammerspiel-Charakter und kleiner Besetzung. Die Szenen sind intim, oft vertrauliche Gespräche zwischen nur zwei Personen. Es trotz dieser Grundstimmung auf die große Bühne an der Tumblingerstraße zu heben, ist eine klare Setzung.

Melles Stück erschien 2016, in diesem Jahr wurden erste Ergebnisse der Missbrauchsstudien eines Forschungsverbunds öffentlich. 3677 Opfer sexualisierter Übergriffe in Deutschland wurden darin ausgemacht, 1670 Priester sollen die Taten begangen haben. Melle besuchte das jesuitische Aloisiuskolleg in Bonn, im Stück existieren Bezüge zum dortigen Missbrauchsskandal, der 2010 öffentlich wurde. Auch Regisseur Stückl ist mit dem Setting einer katholischen Schule vertraut, er besuchte als externer Schüler eine Zeitlang das Internat von Kloster Ettal. Er kenne zudem Menschen, die die Missbrauchsstrukturen erlebt haben, sagt Dramaturg Leon Frisch. Diese Kenntnisse seien in die Auseinandersetzung mit dem Stück entscheidend eingeflossen.

Die zentralen Figuren in "Bilder von uns" sind vier Männer, die mittlerweile in den 40ern sind, drei von ihnen erfolgreich in ihren Berufen. Eines Tages werden einem von ihnen, Jesko, anonym Bilder geschickt, die ihn als Zwölfjährigen nackt auf dem Internatsgelände zeigen. Damit beginnt die Aufarbeitung des Traumas. Jesko sucht seine ehemaligen Schulkameraden auf, versucht herauszufinden, wer der Absender ist, und auch, woran die anderen sich noch erinnern. Vieles bleibt dabei nur Andeutung, der Umgang mit dem Erlebten ist schwierig und belastend. Der Skandal gerät schließlich an die Öffentlichkeit.

Melle arbeitet vielschichtig heraus, wie tief die Traumata sitzen und wie schwierig der Umgang damit ist. Er hat mit "Bilder von uns" keine Anklageschrift formuliert, sondern ein behutsames, kluges Stück Gegenwartsdramatik, das Stückl zu Recht auf die große Bühne bringt.

Bilder von uns, Premiere: Donnerstag, 30. März, 19.30 Uhr, www.muenchner-volkstheater.de

Götz von Berlichingen

Komplett gegenläufig zu den drei vorhergehenden Produktionen scheint sich die vierte zu positionieren: Im Rokoko-Schmuckkästchen des Bayerischen Staatsschauspiels, dem Cuvilliéstheater, kommt eine Inszenierung von Goethes "Götz von Berlichingen mit der eisernen Hand" heraus. Statt Zeitgenössischem also ein Stück aus dem 18. Jahrhundert. Doch Historisierendes ist nicht zu erwarten, denn die Regie liegt in der Hand von Alexander Eisenach. Der 1984 in Ostberlin geborene Autor und Regisseur hat im Marstall schon 2022 ein geschichtliches Thema auf die Bühne gebracht, den Schiffbruch der Fregatte Medusa im Jahr 1816. Hier verband er das historische Ereignis mit der Gegenwart, kombinierte Barock mit Forschung, verknüpfte mit viel Humor überzeitliche Fragestellungen nach der Solidargemeinschaft, nach Macht, Willkür und Gerechtigkeit über die Epochen hinweg.

Ähnliches hat er nun im Cuvilliéstheater mit dem "Götz" vor. Ihn interessiere der "Freiheitsbegriff", sagt Eisenach. In Goethes Drama ist dies eines der zentralen Motive. Gerade in der Zeit der Pandemie sei der Begriff der Freiheit strapaziert worden, sagt Eisenach. Eine Tendenz, die auch die sprach- und medienkritische Initiative "Floskelwolke" beobachtet hat. Sie hat den Begriff "Freiheit" zur Floskel des Jahres 2022 gewählt, da der Begriff "entwürdigt" werde von Egomaninnen und Egomanen, die "rücksichtslos demokratische Gesellschaftsstrukturen unterwandern".

Goethes Text wird nicht ohne größere Einschnitte auf die Bühne kommen. Eisenach hat ihn gekürzt und fügt eigene Texte hinzu. Der Bezug zu heute sei explizit, sagt er. Zugleich stellt er auch eine Verbindung zu München und seiner Geschichte her: Auf der Bühne wird eine "ziemlich naturalistisch reproduzierte" Feldherrnhalle zu sehen sein - ein Ort, an dem der Freiheitsbegriff mehr als strapaziert wurde.

Götz von Berlichingen, Premiere: Donnerstag, 30. März, 20 Uhr, Cuvilliéstheater, www.residenztheater.de

Anti War Women

Der Abschluss dieser Premierenserie ist zugleich ein Auftakt: Die Kammerspiele richten gemeinsam mit der Monacensia zum ersten Mal das hochpolitische Festival "Female Peace Palace" aus, das am 31. März beginnt und am 23. April endet. Es befasst sich mit Theater und Widerstand in Zeiten des Krieges. Der Festivalstart ist Jessica Glauses Inszenierung von "Anti War Women" im Schauspielhaus mit dem Untertitel "Wie Frauen den Krieg bedrohen".

Glause hat mit "Bayerische Suffragetten" schon die Auseinandersetzung mit der frühen Frauenbewegung auf die Bühne der Kammerspiele gebracht. Für das Volkstheater entwickelte sie "Unser Fleisch, unser Blut", in dem verschiedene Positionen zu Fleisch und Fleischkonsum und Schlachtbetrieb sichtbar wurden. Glause hat sich mit ihren rechercheintensiven, ästhetisch klug umgesetzten Arbeiten einen Namen gemacht. Nun lenkt sie also den Blick auf das Jahr 1915. Damals organisierten die beiden Münchnerinnen Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg einen Frauenfriedenskongress in Den Haag. Die Protokolle dieses Treffens bilden die Grundlage für den Abend, der auch weiteren "verschütteten Geschichten zivilen Ungehorsams und politischer Aktion" Raum geben soll.

Anti War Women, Premiere: Freitag, 31. März, Schauspielhaus der Kammerspiele, www.muenchner-kammerspiele.de

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