Porträt:Der Boulevardtheatermann

Porträt: Autor, Schauspieler, Regisseur und mehrfacher Theaterbesitzer: René Heinersdorff.

Autor, Schauspieler, Regisseur und mehrfacher Theaterbesitzer: René Heinersdorff.

(Foto: Catherina Hess)

René Heinersdorff leitet drei Theater in NRW und seit 2021 auch die Komödie im Bayerischen Hof. Wie schafft er das? Und wie gestaltet sich sein Verhältnis zu seinem Vorgänger Thomas Pekny? Da knirscht es nämlich gewaltig.

Von Barbara Hordych, München

Anders als die städtischen und staatlichen Bühnen leben die Privattheater von den Einnahmen an der Kasse und müssen ohne Subventionen auskommen. Das weiß kaum jemand so gut wie René Heinersdorff, der gleich vier solcher Bühnen besitzt: In Nordrhein-Westfalen das Theater an der Kö in Düsseldorf, das Theater am Dom in Köln, das Theater im Rathaus Essen - und im Süden des Landes neuerdings die Komödie im Bayerischen Hof.

Dort ist er in Abstimmung mit der Inhaberin des Bayerischen Hofs, Innegrit Volkhardt, seit dem 26. Oktober vergangenen Jahres neuer Geschäftsführer und Mitinhaber der Theaterbetriebe Margit Bönisch GmbH. Nun ist Heinersdorff, der auch als Autor, Regisseur und Schauspieler erfolgreich ist, ein erfahrener Boulevardtheatermann und als solcher auch Vorsitzender der Privattheatergruppe im Deutschen Bühnenverein. Trotzdem ist die Situation in München, wo er mit 51 Prozent die Mehrheit der Anteile übernahm, auch für ihn etwas Besonderes.

Denn sein Mit-Inhaber ist Thomas Pekny, der im Sommer 2021 wegen schweren sexuellen Missbrauchs angeklagt und freigesprochen worden war. Zwar hält Pekny noch 49 Prozent der Anteile, doch er habe sich verpflichtet, sich aus dem "operativen Geschäft" zurückzuziehen, sagt Heinersdorff bei einem Treffen im Bayerischen Hof. Das heißt: keine öffentlichen Auftritte bei Pressekonferenzen oder Premieren, um weiteren Imageschaden für das Traditionshaus zu vermeiden. Daran hielt sich Pekny bis einschließlich der jüngsten Premiere von "Das Brautkleid" Anfang Mai. Regie: Heinersdorff, Bühnenbild: Pekny.

Porträt: Hat ihn Hauptdarstellerin Judith Richter (vorne links) nun gegrüßt oder nicht? Diese Frage stellte sich dem Mit-Inhaber Pekny vor kurzem bei einer zufälligen Begegnung in der Komödie.

Hat ihn Hauptdarstellerin Judith Richter (vorne links) nun gegrüßt oder nicht? Diese Frage stellte sich dem Mit-Inhaber Pekny vor kurzem bei einer zufälligen Begegnung in der Komödie.

(Foto: Alvise Predieri)

"Natürlich trifft es ihn sehr, dass er das Gefühl hat, in seinem Haus nicht mehr willkommen zu sein", sagt Heinersdorff. Bei jeder zufälligen Begegnung mit Darstellern überlege er, wer ihn gegrüßt habe und wer nicht. Hat ihm Judith Richter, die Hauptdarstellerin im "Brautkleid" Hallo gesagt im Treppenhaus oder nicht? "Rein juristisch gesehen ist er natürlich freigesprochen, auch die Revision hat die Staatsanwaltschaft zurückgenommen". Aber das sei ja nur die eine Seite. Auf der anderen Seite habe er, Heinersdorff, festgestellt, dass zwei junge Schauspielerinnen, die ihn vor kurzem auf Tournee begleiteten, "förmlich erstarrten", als sie in München zufälligerweise Pekny begegneten. "Warum gibst du dir das eigentlich?", habe er Pekny schon des Öfteren gefragt. Ihm sei es unverständlich, warum Pekny nicht damals einen "Cut" gemacht und sich beispielsweise für ein halbes Jahr komplett zurückgezogen habe. Fast klingt es so, als wenn er Pekny für dieses Nicht-loslassen-Können und die daraus resultierende Geister-Existenz bemitleidet.

Peknys Blumenstrauß für Luise Kinseher ist für Heinersdorff ein "Vertragsbruch"

Aber nur fast. Denn am Montag Abend hatte Luise Kinseher ein Gastspiel in der Komödie. Und Pekny überreichte ihr am Ende auf der Bühne einen Blumenstrauß. Eine galante Geste, könnte man meinen, in normalen Zeiten kein Aufreger. Aber in der besonderen Situation der Boulevardbühne eben doch. "Ich bin mehr als irritiert über diesen Vertrauens- und Vertragsbruch", sagt Heinersdorff. "Das ist ein Verstoß gegen die notarielle Vereinbarung, die er unterschrieben hat". Akzeptieren will er ihn nicht.

Porträt: "Als Autor verdiene ich nur, wenn mein Stück von anderen Häusern übernommen wird", sagt Theaterdirektor René Heinersdorff.

"Als Autor verdiene ich nur, wenn mein Stück von anderen Häusern übernommen wird", sagt Theaterdirektor René Heinersdorff.

(Foto: Catherina Hess)

Freilich fällt es ihm aus der Ferne schwer, sofort einzugreifen. In den vergangenen Wochen tourte Heinersdorff mit Jochen Busse, Hugo Egon Balder und seinem Stück "Komplexe Väter" durch Bayern - als Autor, Schauspieler und Regisseur in Personalunion. "Zwischendurch fuhr ich immer wieder nach München, um ,Das Brautkleid' für die Bühne hier anzupassen", sagt Heinersdorff, in diesem Fall "nur" Regisseur. Vordergründig verhandelt das Stück von Stefan Vögel ein heiteres Nichts, das sich bei näherer Betrachtung aber als clever-gewitzte Reflexion auf Verhältnisse entpuppt, in denen via Ebay Waren (ein Brautkleid), Budgets und Partner gegeneinander verrechnet und getauscht werden. In "Komplexe Väter", das im Herbst nach München kommt, spielt Heinersdorff Björn, einen mittelalten Therapeuten mit einer 20 Jahre jüngeren Freundin. Die wiederum hat zwei Väter - der eine hat sie gezeugt, der andere hat sie aufgezogen. Beide beäugen nun sehr skeptisch diesen Björn, der in bewährter Therapeuten-Manier nach dem "Positiven" in der komplizierten Lage fahndet. "Immerhin bin ich jünger als meine Schwiegereltern", tröstet Heinersdorff als Björn seine Freundin. Die Lacher hat er auf seiner Seite.

Die beiden Väter-Rollen hat Heinersdorff seinen Freunden Jochen Busse als Biedermann und Hugo Egon Balder als Sponti auf den Leib geschneidert. "Ich kann nur über das schreiben, was ich von mir selbst oder aus meinem Umfeld kenne", sagt Heinersdorff. Er ist 58, und damit in einem Alter, in dem man feststelle, dass gewisse Verhaltensmuster von Männern gerade im Kontext der "Me-Too"-Debatte, von Frauen nicht mehr als witzig, frech und charmant empfunden würden, sondern "als das Gebaren eines alten Sacks". Da müsse man aufpassen, um nicht peinlich zu agieren. Klar, dass er diese Peinlichkeiten den beiden Schauspieler-Haudegen Busse und Balder nicht erspart.

"Die Theater werden noch eine Zeit lang benötigen, um ihr Publikum zurückzugewinnen"

Heinersdorff kommt aus einer Theaterdynastie. Sein Großvater, der auch René hieß, besaß einen Konzertsaal in Düsseldorf, den Ibach-Saal. Die Eltern führten eine renommierte Konzertagentur. Mutter Barbara gründete (und vererbte ihm) das Kölner Theater am Dom. Seine Lebensgefährtin und die Mutter der drei jüngeren Kinder ist Tanja Schleiff, die lange am Bayerischen Staatsschauspiel engagiert war. Träumt er davon, dass seine vier Kinder - heute zwischen sechs und 17 Jahren alt- die Theaterdynastie einmal weiterführen?

"Da sage ich ganz klar: Ich wünsche mir, dass sie sich diesen Arbeitsplatz nicht wünschen", sagt Heinersdorff. "Die nicht-subventionierte Theaterleitung, so wie ich sie ausübe, ist immer Selbstausbeutung; sie funktioniert bei mir auch nur, weil Geld für mich zweitrangig ist und ich ein gutes Netzwerk habe". In gewissem Sinne sei es "kontraproduktiv", dass er mehrere Theater leite. "Als Autor verdiene ich nur, wenn mein Stück von anderen Häusern übernommen wird". Gelungen ist ihm das bei den "Komplexen Vätern": Nachdem die Produktion in seinen eigenen Häusern abgespielt war, lief sie in Hamburg, Berlin, Bonn, Frankfurt und Neuwied. Wie schafft man das? "Im Grunde genommen lebe ich in der Deutschen Bundesbahn", sagt Heinersdorff. Und originelle Hotelunterkünfte aufzuspüren, sei inzwischen eine Leidenschaft von ihm. "Gerade wohne ich in der Amberger Fronfeste, ein Gefängnishotel mit einer 300-jährigen Geschichte".

Wie wirkt die Pandemie in seinen Häusern nach? "Die Theater werden noch eine Zeit lang benötigen, um ihr Publikum zurückzugewinnen, das gilt für uns wie für die Stadt- und Staatstheater", sagt Heinersdorff. Dazu gebe es einen gewissen "Stau an Inszenierungen", die fertig produziert, aber noch nicht abgespielt seien. Womit man wieder bei Pekny wäre. Der habe sich darüber beklagt, dass er in der nächsten Saison in München nur zwei von acht Bühnenbildern gestalte. "Aber das hängt mit genau diesem Stücke-Stau zusammen", sagt Heinersdorff. Unabhängig davon halte er eine größere Vielfalt an einem Haus für ratsam. "Weder Bühnenbilder noch Inszenierungen sollten immer in einer Hand liegen - auch ich inszeniere in der nächsten Saison nur zwei Stücke".

Was ist für ihn das Charakteristische am Münchner Standort? Zu dem es auch familiäre Anknüpfungspunkte gibt, weil seine Mutter Barbara eine Zeit lang Partnerin in der Kleinen Komödie am Max II war. "Die Stadt hat ein Theaterpublikum, das Qualität gewohnt ist. Auch wenn wir eher die leicht verderbliche Unterhaltungskost servieren, muss sie doch gut gespielt sein und zeitgenössische Themen mit Niveau behandeln". Ein bewährtes Rezept sei auch, die Stücke mit prominenten Schauspielern zu besetzen. Noch wichtiger sei aber etwas anderes: "Bei uns darf, dramaturgisch gesprochen, die Form nie über den Inhalt dominieren. Es muss für unser Publikum immer eine nachvollziehbare Geschichte erkennbar sein".

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