Religionsgipfel:Gottesfrauen

Vier Frauen, vier Weltreligionen und eine Gemeinsamkeit: Sie alle haben es in hochrangige Ämter ihrer Glaubensgemeinschaften geschafft - mit mehr oder mit weniger männlichem Widerstand

Interview von Katja Riedel und Jakob Wetzel

Frau Knobloch, Sie waren immer wieder Pionierin: erste Frau an der Spitze einer jüdischen Großgemeinde, erste Frau an der Spitze des Zentralrats. Sind Sie je Vorbehalten begegnet, weil Sie eine Frau sind?

Knobloch: Ich will Ihnen da nicht direkt widersprechen, aber ich hatte ja nie die Absicht, den Vorsitz einer Gemeinde anzustreben. Ich habe mich im Sozialbereich engagiert. Damals gab es noch viele Holocaust-Überlebende, die recht alleine lebten, um die habe ich mich gekümmert. Eines Tages ist man seitens der Gemeinde an mich herangetreten, ob ich für den Vorsitz kandidieren will. Ich bin zunächst erschrocken. Ich stamme ja aus einer Zeit, in der die Frau im religiösen Bereich nicht im Vordergrund stand. Meine Frage war sofort: Was sagen denn die Rabbiner dazu?

Spangler: Da gibt's Parallelen. (lacht)

Knobloch: Ich war überzeugt, dass die sagen: Nein, die Zeit ist noch nicht reif. Aber sie haben alle zugestimmt, und ich bin gewählt worden, das war 1985. Ich habe mich aber innerlich verpflichtet, mich aus religiösen Belangen herauszuhalten, die sind Aufgabe der Rabbiner. Trotzdem war das damals in Deutschland eine Sensation, dass eine Frau den Vorsitz einer jüdischen Gemeinde übernimmt. Heute muss man ja an der Spitze der Gemeinden eher die Männer suchen.

Woran liegt das?

Knobloch: Daran, dass sich herumgesprochen hat, dass Frauen gleichwertig sind in der Leistungsfähigkeit. Und wer dann bessere Vorschläge hat, wird eben gewählt.

Frauen machen also bessere Vorschläge.

Knobloch: Entscheidend ist, dass Frauen in der Position heute eine Selbstverständlichkeit sind, damals waren sie es nicht. Aber als Quotenfrau bin ich nicht gesehen worden. Wobei: Ich bin mir sicher, dass hinter meinem Rücken viel gesprochen wurde. Aber direkt war ich nie irgendwelchen Bemerkungen ausgesetzt. Auch wenn man mal nicht einer Meinung war: Es wurde nie mein Frau-Sein thematisiert.

Frau Spangler, Sie nicken.

Spangler: Ich glaube, dass es in allen Glaubensgemeinschaften einen Aufbruch gibt. Wenn man überlegt, dass Frauen in Deutschland erst Anfang der Siebzigerjahre selbst über die Ausübung ihres Berufes und noch später etwa über Geld, das sie geerbt hatten, bestimmen durften, dann sind die Kirchen eigentlich Trendsetter. Das Zweite Vatikanische Konzil hat bereits 1965 darüber gesprochen, dass Frauen und Männer in ihrem Engagement und ihrer Wertigkeit gleich sind und sich auch so in der Kirche einbringen sollen. Das war zehn Jahre, bevor sich in unserer Gesellschaft wirklich etwas bewegte.

Nun wurden die Konzilstexte nicht unbedingt überall Wort für Wort umgesetzt.

Spangler: Aber sie spiegeln eine Denke, die schon damals kursierte. Es ist ja nicht so, dass eine einzelne Person aufgestanden wäre.

Kittelberger: Es gab Anfang der Siebzigerjahre Bewegung im Selbstbewusstsein, und zwar von Frauen und Männern. So habe ich das zumindest erlebt. Für die Männer ging es darum, ein Stück weit abzugeben. Da war zunächst eine große gesellschaftliche Bewegung, die dann in der evangelischen Kirche - im Unterschied zur katholischen - sehr schnell dazu geführt hat, dass Männer und Frauen den Beruf des Pfarrers teilen.

Spangler: Da waren Sie weiß Gott schneller als die katholische Kirche.

Kittelberger: Da sind wir immer noch um einiges vorneweg, aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es in Ihrer Kirche auch Wirklichkeit wird.

Spangler: Ich auch nicht.

Kittelberger: In dem Zusammenhang hat man auch festgestellt: Frauen und Männer können das genauso, und einer hat Anteil an der Arbeit des anderen, sowohl an der Hausarbeit als auch im Beruf. Ich habe ja 1974 angefangen, Theologie zu studieren, habe dann meinen Mann kennengelernt, und wir haben das miteinander gemacht. Wir haben uns eine Stelle geteilt - das bedeutete, Arbeit und Privates zu teilen und dabei die Balance zu halten. Und das war interessant, das zuzulassen als Frau, dass der Mann auch kochen oder die Wäsche machen kann. Mein Mann etwa macht bis heute leidenschaftlich gerne die Wäsche.

Ist das bei Ihnen auch so, Frau Yerli?

Yerli: Das würde ich nie zulassen.

Kittelberger: Auf kirchlicher Seite war dann das Jahr 1975 entscheidend. In dem Jahr wurde die Frauenordination möglich.

Sie haben Ihr Studium vorher angefangen. Wollten Sie Pfarrerin werden?

Kittelberger: Ja, schon. Das war für mich der schönste Beruf, den ich auch heute wieder wählen würde. Dass das auch klappen würde, war aber anfangs noch nicht klar. Das heißt: Irgendwie war es doch klar. Es hing an dem damaligen Landesbischof.

Hermann Dietzfelbinger.

Kittelberger: Der sagte, er könne aus Gewissensgründen nicht zulassen, dass Frauen ordiniert würden. Aber wir wussten natürlich, irgendwann wird seine Amtszeit enden, und es war klar, dass dann eine neue Zeit beginnen würde.

Knobloch: Man darf nicht vergessen, dass es in jeder Religion konservative und liberale Strömungen gibt. Auch bei uns. In den liberalen jüdischen Gemeinden haben Frauen einen ganz anderen Stellenwert, das muss ich schon sagen. Sie sitzen beim Gottesdienst zusammen mit ihren Männern, sie dürfen Rabbinerinnen werden oder Kantorinnen. Darüber denkt man in der Orthodoxie gar nicht erst nach. Da stehen Frauen im Vergleich im Kultusbereich etwas abseits.

Gibt es solche liberalen Strömungen eigentlich auch im Islam, Frau Yerli?

Yerli: Ja - und dazu sollten wir uns vor allem alle daran erinnern, dass unsere Theologien zum großen Teil von Männern gemacht sind. Männer haben auch die Theologie für die Frau bestimmt, auch in Fragen wie der Menstruation. Wie kann ein Mann diesen intimen Bereich theologisch bestimmen? Und dann ist die Rolle der Frau im Islam natürlich ein Thema. Gestern erst habe ich eine Email bekommen mit der Anrede: Sehr geehrter Herr Yerli. Kaum einer rechnet damit, dass in der Moschee eine Frau sitzen könnte.

Spangler: Es ist auch wirklich nicht selbstverständlich.

Yerli: Stimmt. Und es war auch nicht immer einfach.

Gab es Vorbehalte gegen Sie als Frau?

Yerli: Im Hintergrund hat es durchaus gebrodelt. Das wurde mir manchmal indirekt, manchmal direkt gesagt. Aber ich habe auch gewusst, es gibt auch noch jemanden, der mich in meiner Arbeit unterstützt. Und dann war auch das Gefühl da: Manchen Männern zeigst du es jetzt.

Auch manchen Frauen?

Yerli: Eher nicht. Für muslimische Frauen bin ich eher Vorbild. Ich hatte in letzter Zeit oft Anrufe von islamischen Lehrstühlen für Theologie, die wir jetzt in Deutschland haben. Da studieren zum großen Teil Frauen. Aber die sind jetzt im Masterstudiengang und fragen sich: Was mache ich eigentlich damit? Wo habe ich Perspektiven?

Spangler: Das kennen wir auch.

Yerli: Ja! Das entspricht wohl der Entwicklung, von der Sie vorhin für die Siebzigerjahre gesprochen haben. Ich denke, dass diese Entwicklung gerade die muslimische Gemeinschaft erreicht. Dieses Land prägt uns ja.

Knobloch: Sie kennen doch Necla Kelek.

Die Sozialwissenschaftlerin? Sie hat immer wieder über islamisch begründete Frauenfeindlichkeit geschrieben.

Knobloch: Sind Sie da mit ihr einig?

Yerli: Was mich bei ihr ein wenig stört, ist, dass sie alles aufzeigt, aber keine Lösungen hat. Natürlich, die Missstände gibt es. Aber man muss auch sagen: Religion ist auch Tradition, Brauchtum und Sitte. Und bestimmte Kulturräume haben sich eben leider gegen die Frau gewandt, das ist so. Ich wüsste nicht, wie mein Weg verlaufen wäre, wenn ich in der Türkei groß geworden wäre. Aber hier in Deutschland haben wir die besten Voraussetzungen, und wenn wir muslimischen Frauen das nicht nutzen, sind wir auch irgendwo selber schuld.

Gönül Yerli

"Hier in Deutschland haben wir die besten Voraussetzungen, und wenn wir muslimischen Frauen das nicht nutzen, sind wir auch irgendwo selber schuld."

Wie sind Sie denn an die Spitze der Gemeinde in Penzberg gekommen? Und was hat Sie motiviert - wo es doch nie die Perspektive gab, etwa Imamin zu werden?

Yerli: Das strebe ich auch nicht an. Ich war erst als Religionspädagogin beschäftigt. Aber dann wurde unsere Gemeinde bekannter, es kamen immer mehr Fragen von Nicht-Muslimen. Irgendwann wurde ich gefragt: Warum nicht gleich stellvertretende Direktorin? Ich habe mich ja anfangs ehrenamtlich engagiert und bin übrigens dankbar dafür, dass ich meine Kinder nicht mit sechs Monaten in die Krippe gegeben habe. Erst als unsere Tochter fünf Jahre alt war, habe ich voll gearbeitet.

Knobloch: Das war bei mir dasselbe. Ich wollte meine Kinder auch nicht in andere Hände übergeben.

Yerli: So kam ich dann auf diese Stelle. Und es war mir bewusst: Ich muss hier mehr geben als ein Mann.

Damit niemand sagt: Die kann es nicht?

Yerli: Ja, genau.

Die kann es nicht - das bekommen Frauen auch in der katholischen Kirche gerne zu hören, Stichwort: Priesteramt der Frau.

Spangler: Ja. Ich würde zwar nicht sagen, dass sich wenig getan hat in der Kirche, wir sind uns nur häufig nicht bewusst, was schon alles anders geworden ist durch das Konzil vor 50 Jahren. Aber das Priestertum oder das Diakonat der Frau sind tatsächlich weit weg. Immerhin: Im Dialogprozess der Deutschen Bischofskonferenz wurde abschließend festgehalten, dass das Diakonat der Frau weiterhin ein Thema bleibt.

Das ist nicht viel.

Spangler: Man braucht eben einen langen Atem. Es gab eine Phase unter Papst Johannes Paul II., da wollte er verbieten, auch nur darüber zu reden, dass es einmal ein Priesteramt der Frau geben könnte. Diesen Mund haben sich die Katholiken aber nicht verbieten lassen.

Sind Sie neidisch auf Frau Kittelberger?

Spangler: Ein Stück weit schon! Ich bin seit 30 Jahren in einem katholischen Frauenverband aktiv. Und fragen Sie mich bitte nicht, warum.

Doch, natürlich: Warum engagieren Sie sich so in einem reinen Männerladen?

Spangler: Schon weil ich hier dem größten Frauenverband in Deutschland angehöre. Und einiges bewegen kann. Wir haben ja auch schon viel bewegt. Wir haben viel angestoßen, wo es heute heißt: Da habt ihr den Boden bereitet, andere ernten jetzt die Rosinen. Aber so ist das eben, das muss man auch positiv sehen können.

Kittelberger: Ich bewundere Ihren Langmut. Ich hätte diese Geduld nicht. Da frage ich mich doch: Will das System überhaupt das weibliche Element haben. Ich hätte mir wohl was ganz anderes gesucht.

Rita Spangler

"Die einen sagen: Jesus war auch ein Mann. Die anderen meinen: Die Nachfolge von Christus waren Männer und Frauen. Wer da den längeren Atem hat, das müssen wir dem Heiligen Geist überlassen."

Spangler: Aber gerade in den letzten fünf, sechs Jahren hat sich etwas getan. Papst Franziskus hat gesagt: Wir müssen den Frauen eine ganz andere Wertschätzung, eine andere Möglichkeit geben, sich wirklich einzubringen. Und was hilft es denn, wenn ich heute hinschmeiße? Wird es dann besser? Oder ist es nicht besser, dabeizubleiben und aus meinem überzeugten Tun zu versuchen, etwas mitzugestalten?

Kittelberger: Meine Hochachtung haben Sie dafür, dass Sie sagen, nein, ich schmeiße nicht hin. Ich sehe das eher von außen und denke mir, Gott sei Dank, dass in meiner Kirche die Möglichkeit besteht, dass Männer und Frauen in einer ergänzenden Weise miteinander unterwegs sind.

Spangler: Das kann ich gut verstehen.

Kittelberger: Ich bin froh, dass es keine Frage ist, wer ordiniert werden kann.

Spangler: Wenn man es an dem Bereich Priesterweihe, Pfarrer-Sein misst, sind da natürlich Welten. Aber alles, was an Verantwortung, Einfluss, Gestaltungsbereichen gemeint ist bis hin zur Verantwortung im Ordinariat: Da sind wir Riesenschritte vorwärts gekommen. Die einen sagen aus theologischer Sicht: Jesus war auch ein Mann. Die anderen meinen: Die Nachfolge von Christus waren Männer und Frauen. Wer da den längeren Atem hat, das müssen wir dem Heiligen Geist überlassen.

Knobloch: Wenn ich mir da unser religiöses jüdisches Leben anschaue, leben auch viele nach der Tradition. Ein junger Mann hat mich gebeten, am Sabbat nach dem Gottesdienst auf seinen 90-jährigen Vater eine kleine Laudatio zu halten. Er hat aber noch dazu gesagt: Sie können ja nicht in der Synagoge, sie können erst nachher. Da habe ich mir gedacht: Oho! Das ist ein Traditioneller, der gar nicht so oft in die Synagoge geht. Aber schau mal an! Er weiß natürlich nicht, dass ich schon des Öfteren in der Synagoge gesprochen habe. Dennoch: Ich bin für die Orthodoxie, weil sie das Überleben des Judentums über die Jahrtausende garantiert hat und sichert. Aber so was zu hören, da hab ich mir schon gedacht: hoppla.

Kittelberger: Nur in einer Gesellschaft, in der es kein Gefälle gibt, ist ein Miteinander das möglich. Und Frauen müssen sich trauen, den Platz einzunehmen, den sie haben dürfen. Und Männer müssen bereit sein, Plätze zu teilen. Und zu erleben, dass das wunderbar ist.

Yerli: Und den Männern sei zugerufen, wir nehmen ihnen die Religion nicht weg. Es würde der Religion nur gut tun, wenn die Frauen auch etwas beitragen.

Spangler: Und das, glaube ich, kann man wirklich auf alle Religionen übertragen.

In der nächsten Folge der Serie "Stadt der Frauen" lesen Sie am Montag: Weibliche Wissenschaft - Wie Frauen die Universitäten verändern

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