Eskalation bei Regionalliga-Derby:Polizei und Bayern-Fans geben sich gegenseitig die Schuld

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Ein Banner der Bayern-Anhänger mit dem Schriftzug "Bayern-Fanklub Kurdistan" war der Auslöser für den Spielabbruch. (Foto: Goldberg/Imago)

Wegen einer pro-kurdischen Zaunfahne, die die Heimmannschaft Türkgücü nicht im Stadion sehen wollte, stürmte die Polizei den Fanblock des FC Bayern II. Dessen Anhänger bezeichnen den Einsatz nun als unverhältnismäßig.

Von Martin Bernstein und Christoph Leischwitz

Eigentlich stand am Samstagnachmittag ein attraktives Regionalliga-Derby an: Die U23 des Rekordmeisters FC Bayern München war bei Türkgücü München zu Gast, die Partie sollte auf der Anlage des SV Heimstetten stattfinden. Doch der Ball rollte keine zwei Minuten. Auslöser war ein Banner der Bayern-Anhänger mit dem Schriftzug "Bayern Fan Club Kurdistan", das sie zu Spielbeginn entrollten. Die Polizei stürmte daraufhin den Gästeblock, es kam zu Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz.

Während Türkgücü-Fans auf Twitter jubeln, werfen Bayern-Anhänger der Polizei einen völlig unverhältnismäßigen Einsatz vor. "Es ist ein Glück, dass nicht mehr passiert ist", sagte einer, der im Fanblock stand. Offenbar wurde sogar ein Kind durch die Pfefferspraywolke verletzt - ebenso wie acht Bayern-Fans. Vier von ihnen mussten nach Polizeiangaben ins Krankenhaus. Auch zehn Polizisten seien "beim Zugriff" leicht verletzt worden, so ein Polizeisprecher, aber weiter dienstfähig.

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Anders als von Türkgücü-Anhängern kolportiert ist die Zaunfahne keine Reaktion auf den Terroranschlag in Istanbul: Es gibt sie schon länger, Bayern-Fans hängten sie in der Vergangenheit immer wieder auf. Das bestätigt auch die Polizei. Die Türkgücü-Fans sollen bereits vor dem Spiel gewusst oder zumindest vermutet haben, dass diese Zaunfahne auch zum Spiel in Heimstetten mitgebracht wird.

Dass die Situation so schnell eskalierte, dafür geben die Anhänger der Polizei die Schuld

Der Verein, diesmal Heimmannschaft, wollte jedoch von seinem Hausrecht Gebrauch machen und das Aufhängen verhindern, was wiederum den Bayern-Fans im Vorfeld bekannt gewesen sein soll. Ein Bayern-Fan erklärte der SZ, dass man den Zusammenhang zu den Anschlägen in Istanbul überhaupt nicht gesehen habe. Dass die Situation so schnell und unmittelbar nach Anpfiff des Regionalliga-Derbys eskalierte, dafür geben die FC-Bayern-Anhänger allein der Polizei die Schuld.

Behelmte und Pfefferspray verspritzende Polizisten scheinen den Fanblock unvermittelt mit Schlagstöcken zu stürmen. (Foto: Mladen Lackovic/IMAGO)

Aus Sicht der Polizei kam es dagegen zur Eskalation, weil man eine Eskalation habe verhindern wollen - nämlich zwischen Fans mit Sympathien für die Kurden und jenen, die dem Verein mit der türkischen Flagge auf dem Trikot anhängen. Das beanstandete Banner sei vom Gastgeber-Verein ausdrücklich verboten gewesen und von den Bayern-Anhängern auch nicht zuvor angemeldet worden. Unmittelbar nach dem Anpfiff sei es entrollt worden. Daraufhin sei es "unmittelbar zu lautstarken und sehr emotionalen Reaktionen" der Türkgücü-Fans gekommen. Ordner der Heimmannschaft hätten versucht, das Banner zu entfernen, seien aber von Bayern-Fans mit Gewalt daran gehindert worden. Erst zu diesem Zeitpunkt sei die Polizei eingeschritten, berichtet ein Sprecher.

Ziel der Polizei: "Weitere Eskalation verhindern"

Angesichts der aufmarschierenden geschlossenen Einheit hätten die Bayern-Fans ihr Banner tatsächlich eingerollt. Der Schiedsrichter unterbrach das Spiel nach zwei Minuten und schickte fünf Minuten später die Spieler in die Kabinen. Dass das Banner nicht mehr zu sehen war, genügte den Vertretern von Türkgücü indes nicht. "Um eine weitere Eskalation zu vermeiden", habe die Einsatzleitung daraufhin entschieden, dass das Banner aus dem Stadion gebracht werden müsse, so ein Polizeisprecher. Man habe zunächst versucht, "dieses Problem kommunikativ zu lösen". Als das nicht fruchtete, sei "unmittelbarer Zwang angedroht" worden. Die Bayern-Fans weigerten sich aber weiterhin, dass inkriminierte etwa sieben Quadratmeter große Stück Tuch aus dem Stadion zu bringen oder der Polizei zu übergeben.

"Man kann davon ausgehen, dass es wieder entrollt worden wäre", sagte ein Polizeisprecher am Sonntag. Dann entschied sich die Einsatzleitung zum Zugriff. Ein Video zeigt, wie behelmte und Pfefferspray verspritzende Polizisten anscheinend unvermittelt mit Schlagstöcken in den Fanblock stürmen. Rufe wie "Bullenschweine!" sind zu hören. In einer anderen Sequenz ist zu sehen, wie ein Beamter mit dem Schlagstock mehrmals einen am Boden liegenden Mann trifft - was der Szene vorausgegangen ist, bleibt unklar. Von einer "massiven Gegenwehr der betreffenden Fans des FC Bayern" spricht die Polizei am Sonntag.

Der Polizei gelingt es schließlich, des Banners habhaft zu werden. Strafrechtlich zeige das Spruchband "nichts Verbotenes", stellte ein Polizeisprecher am Sonntag klar. Und es gibt wohl einen eingetragenen "Kurdistan Fanclub" der Bayern - im Irak. Einen eingetragenen Fanklub mit dem Namen auf dem Banner gibt es nicht. Dennoch zieht das Spiel, das nie stattgefunden hat und vom Schiedsrichter nach etwa einer Dreiviertelstunde endgültig abgebrochen wird, weitere Ermittlungen nach sich: wegen Körperverletzung, Landfriedensbruch und Sachbeschädigung gegen Bayern-Fans. Aber auch die Polizei, heißt es aus dem Präsidium, werde den Einsatz "nachbereiten" - ob es etwa Alternativen gegeben hätte. Vermutlich werden auch die internen Ermittler des Landeskriminalamts eingeschaltet. Ein "normales Vorgehen" bei Vorwürfen gegen Polizisten, so der Sprecher des Präsidiums.

Spielabbruch kann laut dem Verband "beileibe nicht im Sinne des Fußballs sein"

Bei Türkgücü München zeigt man sich enttäuscht, wie sich die Dinge entwickelt haben. Präsident Taskin Akkay macht auf SZ-Anfrage aber auch deutlich, dass die Eskalation aus seiner Sicht leicht zu verhindern gewesen wäre. Bereits nach dem Hinspiel habe man seine Verärgerung gegenüber dem FC Bayern deutlich gemacht, es war bereits vermutet worden, dass das Banner auch beim Türkgücü-Heimspiel in Heimstetten zum Einsatz kommt. Man habe den Verantwortlichen des FC Bayern deutlich gesagt, dass keine unerlaubten Banner ins Stadion gelassen würden. Wenngleich auch immer ausschließlich die Heimmannschaft für die Einlasskontrolle zuständig ist. Trotz Leibesvisitation sei die Zaunfahne eingeschmuggelt worden.

Akkay möchte das Ausmaß des Polizeieinsatzes nicht kommentieren, ein Eingreifen sei aber gerechtfertigt gewesen. Eigentlich war Türkgücü München froh, für die restlichen Heimspiele in diesem Kalenderjahr überhaupt noch ein Stadion gefunden zu haben. Der Drittliga-Absteiger hat für das Grünwalder Stadion nur ein begrenztes Heimspiel-Kontingent. Für Bayerns Trainer Holger Seitz war es eine traurige Rückkehr an die Seitenlinie. Der 48-jährige, zwischen 2018 und 2021 bereits zwei Mal Chefcoach der Mannschaft, hatte sie vor wenigen Tagen von Martin Demichelis übernommen, der künftig als Trainer von River Plate in Argentinien arbeitet.

Der für die Regionalliga verantwortliche Bayerische Fußball-Verband äußerte sich in einer kurzen Stellungnahme auf seiner Homepage. "Dass es zum Spielabbruch gekommen ist, kann beileibe nicht im Sinne des Fußballs sein - jede Form von Gewalt hat auf unseren Plätzen nichts zu suchen! Eine weitere Einordnung der Geschehnisse bleibt den Sportgerichten vorbehalten", sagte Jürgen Igelspacher. Der BFV-Geschäftsführer war zufällig als Zuschauer dabei gewesen.

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