Regensburger Domspatzen:Verdächtige Verharmlosungen

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"System der Angst" vom 8. Januar, "Bis zu 700 Opfer" vom 9. Januar, "Ratzinger will nichts von Missbrauch gehört haben" vom 11. Januar und "Georg Ratzinger legt nach" vom 13. Januar:

Kartell der Verschwiegenen

Georg Ratzinger will damit nichts zu tun haben, obwohl er fest im Management aller Einrichtungen eingebunden war und eigene Züchtigungen eingeräumt hat. Er argumentiert, es sei üblich gewesen, Schüler drastisch zu bestrafen. Das ist eine gefährliche Antwort, weil sie verharmlosend den Eindruck erweckt, es sei auch heute noch alles, was "üblich" ist, rechtens. Georg Ratzinger sagt zu seiner Verteidigung nur, die Methoden der 50er Jahre seien nicht mehr zeitaktuell und Wiederholungen ausgeschlossen. Also schwamm drüber! Das riecht nach Ausrede. Züchtigungen dieser Art sowie deren Duldung waren auch damals Straftaten. Also kann er nicht behaupten, er solle nur zum Sündenbock gemacht werden. Am Verlust seines Leumunds ist er also selbst schuld.

Zudem waren ja nicht nur die schon benannten Täter am Werk. Es muss im Kartell der Verschwiegenen einen Stallgeruch gegeben haben, der das Gewissen der Beteiligten kanonisiert abgeschaltet hat. Warum ist kein einziger Erzieher oder Sachbearbeiter im Ordinariat gegen die herrschende Praxis aufgestanden? Wurde Missbrauch deswegen schleichend zum Leitfaden der Erziehung, weil keiner, der Kenntnis hatte, mutig genug war zu protestieren? Macht, Prestige und Wegschauen im Eigeninteresse stehen ja nicht zusammenhanglos nebeneinander. Die gesamte Tragik der Vorkommnisse kulminiert doch darin, dass die Leiden der Betroffenen niemand interessiert haben, weil Menschen sich wie in Max Frischs gleichnamigem Drama als Biedermänner verhielten und dadurch zu Brandstiftern wurden. Benedikt XVI. kritisiert diese Scheinheiligen und sagt dazu in einem Vortrag (Josef Ratzinger, Gesammelte Schriften, Band 4, S. 681 ff.: "Die Zerstörung (Abschaltung) des Gewissens ist die eigentliche Voraussetzung totalitärer Gefolgschaft und totalitärer Herrschaft." Was also hat Georg Ratzinger falsch gemacht? Dazu nochmals der Bruder: "Gewissen heißt, ganz einfach gesagt, den Menschen, sich selbst und den anderen, als Schöpfung annehmen und in ihm den Schöpfer zu respektieren."

Alfred Gassner, Regensburg

Vielsagende Geste

Dazu fällt mir eine Episode aus meiner Kindheit in den ersten Jahren nach Kriegsende in Regensburg ein: Mit vorgestreckter Hand, die Innenfläche nach oben und mit den Fingern eine kraulende Bewegung andeutend - so hänselten wir auf dem Pausenhof der Pestalozzi-Schule die Zehnjährigen, die von ihren Eltern für das Domgymnasium und den Eintritt bei den Domspatzen angemeldet waren. Meine Mutter verbot mir, diese Geste gegenüber einem Nachbarbuben zu zeigen, allein weil sie um ein ungetrübtes Verhältnis zu dessen Familie bemüht war. Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand deren grundsätzliche Berechtigung anzweifelte. Sie schickte sich einfach nicht.

Dr. Hans Bleibinhaus, München

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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