Saisoneröffnung am Theater RegensburgGeisterstunde mit Marie-Antoinette

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Die Geister der während der Revolution hingerichteten Aristokraten langweilen sich im Versailler Lustschloss. Ihnen kann geholfen werden.
Die Geister der während der Revolution hingerichteten Aristokraten langweilen sich im Versailler Lustschloss. Ihnen kann geholfen werden. (Foto: Marie Liebig)

Was passiert, wenn der „Figaro“-Dichter Beaumarchais die geliebte Königin vor der Guillotine retten möchte, erzählt die turbulente Revolutions-Oper „The Ghosts of Versailles“. Zur gefeierten Regensburger Premiere reist Komponist John Corigliano extra aus New York an.

Kritik von Paul Schäufele

Gegen 12 Uhr, es ist der 16. Oktober 1793, nimmt Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen die Stufen des Schafotts auf der Place de la Révolution. Ein paar Minuten später lässt der Scharfrichter Charles-Henri Sanson das Fallbeil nach unten sausen und präsentiert den Tausenden Versammelten das blutige Haupt der vormaligen Königin Frankreichs.

Eigentlich gibt es an den Fakten nichts zu rütteln. Doch der US-amerikanische Komponist John Corigliano und sein Librettist William M. Hoffman haben sich gefragt, ob nicht kraft der Fiktion die gewaltsame Geschichte geändert werden könne. Ergebnis ihrer Arbeit ist die 1991 spektakulär uraufgeführte Oper „The Ghosts of Versailles“. Die Premiere am Regensburger Theater ist intimer als an der New Yorker Met, aber nicht weniger mitreißend: ein rasantes, visuell und musikalisch überbordendes Spiel mit dem Spiel auf der Bühne.

Denn Coriglianos Oper ist vieles, unter anderem eine inszenierte Inszenierung, Theater auf dem Theater. Die Geister der während der Revolution hingerichteten Aristokraten um König Louis XVI. (dunkel majestätisch: Jonas Atwood) langweilen sich im Versailler Lustschloss. Der Dichter Beaumarchais möchte sie unterhalten – vor allem die Königin, die er gar nicht so heimlich liebt – und bietet den nächsten Teil seiner bewährten Figaro-Reihe an.

Die Geister jauchzen vor Freude, nur Marie Antoinette weint. Iida Antola füllt die Rolle, ein schwarzes Zentrum in dem knallig bunten Treiben, mit voller, in jedem Register expressiver Stimme. Marie-Antoinette vermisst das Leben. Das animiert den Dichter, seinen Gottkomplex einmal auszuleben. Und so verkündet Seymur Karimov als Beaumarchais mit kräftigem, edlem Bariton, dass er mithilfe seines Theaterstücks die Geschichte umschreiben will.

Das geht nur mittels recht verwickelter Aktionen, bei denen Marie-Antoinettes Halsband verkauft werden soll, um ihr die Flucht in die Vereinigten Staaten zu ermöglichen. Darauf kommt es letztlich auch nicht so genau an. Es ist vor allem eine helle Freude, dem Treiben zuzuschauen: Benedikt Eder als rührigem Figaro mit leichtem Buffo-Bariton. Dem etwas heiseren, aber spielerisch aktiven Carlos Moreno Pelizari als Grafen Almaviva. Der auch vokal noblen Theodora Varga als Gräfin und ihrer Dienerin Susanna, mit warmer Stimme belebt von Svitlana Slyvia.

Schatten in das heitere Spiel wirft der Intrigant Bégearss, den Martin Lechleitner konsequent als buffonesken Bösen darstellt, der mit hellem Tenor schmeichelt, aber eigentlich den Untergang der Aristokraten plant. Außerdem will er die Tochter des Grafen heiraten. Das will sie aber nicht (jugendlich blühender Sopran: Kirsten Labonte). Sie ist verliebt in Léon (strahlend und darstellerisch agil: Konstantin Igl), dem außerehelichen Kind der Gräfin mit Cherubino. Viel Personal, viele Probleme.

Coriglianos Stück ist eine Feier der Oper in all ihrer sinnlosen Opulenz und exzessiven Gefühlsansprache. Das kann nur funktionieren, wenn ein Ensemble so überzeugt zusammenwirkt wie in Regensburg. Ein Beispiel: das wilde Finale des ersten Aktes, eine Tanz-Show, bei der man kaum entscheiden kann, worauf man sich am ehesten konzentrieren soll – auf die charismatische Fabiana Locke als Zentralfigur, Figaro, der sich als Tänzerin verkleidet einschleicht, auf den Sultan, dem schwerer Schmuck zwischen den Brüsten hängt, die sinnlich modernistische Musik?

Eine over the top ausgestattete, exaltierte Revue: Das Regie-Paar Sebastian Ritschel und Ronny Scholz zieht alle Register in dieser modernen Grand opera buffa.
Eine over the top ausgestattete, exaltierte Revue: Das Regie-Paar Sebastian Ritschel und Ronny Scholz zieht alle Register in dieser modernen Grand opera buffa. (Foto: Marie Liebig)

Das Regie-Paar Sebastian Ritschel und Ronny Scholz zeigt „The Ghosts“ als große, over the top ausgestattete, exaltierte Revue, mit dem Funkeln von zehntausend Pailletten. Zumindest auf der Figaro-Ebene. Die Geisterwelt ist ein melancholisches Rokoko und ruft Erinnerungen an die Kino-Szene aus David Lynchs „Mulholland Drive“ auf. Ständig gilt es, zwischen diesen Ebenen zu springen, auch musikalisch. Denn der atonalen Totensphäre steht das klassizistisch gefärbte Spiel der Edelleute gegenüber. Das Philharmonische Orchester unter Stefan Veselka löst das mit reaktionsschnellem, stilbewusstem Musizieren und gibt sich noch ein bisschen mehr Mühe als sonst schon. Schließlich sitzt der eigens aus New York angereiste Komponist im Publikum.

So entstehen neben rossinihaftem Wirbel auch Momente echter poetischer Kraft. Zumal im Finale, wenn Marie-Antoinette in perfekten Phrasen ihren Wandel ausdrückt. Die Geschichte kann nicht geändert werden, aber sie nimmt nun ihr Schicksal an und kann ruhig zur Guillotine schreiten. Die Fiktion hat geholfen, in der harschen Wirklichkeit besser zu bestehen. Allein um diese Botschaft auf dem Theater selbst gestaltet zu sehen, in intelligenter, musikalisch verführerischer Weise lohnt sich der Besuch im geisterhaften Versailles.

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