Reform:G 8 + G 9 = Probleme

Internationale Klasse für Flüchtlingskinder

Eine längere Schulzeit könnte vielleicht eine bessere Förderung für Kinder am Gymnasium ermöglichen, sagt Stadtschulrätin Beatrix Zurek.

(Foto: Monika Skolimowska/dpa)

Das Kultusministerium will die Entscheidung den Schulen überlassen, ob sie ein acht- oder neunjähriges Gymnasium anbieten. Die Euphorie bleibt aus, zumal die wenigsten Platz für beides haben

Von Melanie Staudinger

Wenn der bayerische Kultusminister den Begriff "G 8" hört, erinnern ihn dieser irgendwie immer an Italien. Damals, in der Allerheiligenwoche 2003, spazierte Ludwig Spaenle mit seiner Frau über den Marktplatz in Parma. Nette Cafés, eine altrömische Straße, schmucke historische Gebäude und plötzlich ein Anruf von der Staatsregierung. Dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber war eingefallen, dass er die Schulzeit am Gymnasium um ein Jahr verkürzen könnte. Die Anwesenheit von Spaenle, der damals dem Hochschulausschuss vorstand, war erforderlich. Urlaub vorbei. Wenn Spaenle heute über das achtjährige Gymnasium spricht, lässt er den Abend in Parma nicht unerwähnt. Seine kurzfristige Abreise - das steht für ihn sinnbildlich für die überstürzte und von vielen ungeliebte Einführung des G 8 vor 13 Jahren.

Jetzt aber soll alles anders laufen. Spaenle und die Staatsregierung wagen die nächste Reform. Wahlfreiheit heißt sie und sie soll sich im Dialog vollziehen. Gymnasien sollen selbst entscheiden, ob sie ein Abitur nach zwölf oder 13 Jahren Schule anbieten wollen. Oder beides gemeinsam. Niemand soll überrumpelt, alle Beteiligten - Eltern, Lehrer, Schüler und Kommunen - sollen einbezogen werden. Ein Fokus dabei liegt auf München, der Stadt, die der bayerischen Bildungspolitik stets kritisch gegenübersteht und gleichzeitig die Stadt ist, in der Spaenle der CSU vorsteht.

Bisher bleibt in München die G-9-Euphorie gänzlich aus. Die Leiter der 14 städtischen Gymnasien wollen sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern. Man wolle sich erst intern besprechen. "Da mit einer Einführung von G 9, parallel zu G 8 oder auch alleine, abgesehen von der Raumnot mit erheblichen Mehrkosten zu rechnen ist, bedarf es hier zunächst einmal einer klaren politischen Weichenstellung des Stadtrats und der Referatsspitze", teilt Wolfgang Fladerer, Direktor des Lion-Feuchtwanger-Gymnasiums in Milbertshofen mit. Vorfreude klingt anders.

Auch Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) gibt sich zurückhaltend. Natürlich mache man sich Gedanken, sagt sie. Allerdings wisse man nicht so recht, worüber eigentlich konkret. Zu wenige Details seien bisher bekannt über die mögliche Ausgestaltung des G 9. Grundsätzlich, sagt Zurek, könne man über beide Varianten debattieren. "Bei uns wird die Frage der Bildungsgerechtigkeit im Mittelpunkt stehen", sagt sie. In den städtischen Gymnasien ist der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund und derer aus schwierigen Verhältnissen höher als an staatlichen Gymnasien Münchens. "Vielleicht können wir sie mit einer längeren Schulzeit besser fördern", sagt die Stadtschulrätin. Ob die Stadt ihre Schulen im acht- oder neunjährigen Modus betreiben, müsse letztlich aber der Stadtrat entscheiden.

Einfach auf G 9 umstellen, das können nur die wenigsten Schulen. Dazu fehlt ihnen der Platz, schon jetzt wird auf jedem Quadratmeter unterrichtet. Wenn 60 Prozent aller Gymnasiasten das G 9 wählen würden, wie bayernweite Umfragen derzeit vorhersagen, bräuchte die Stadt nach Schätzungen des Bildungsreferats drei neue Gymnasien, die einen dreistelligen Millionenbetrag kosten würden, und zusätzlich zu den mindestens fünf Gymnasien errichtet werden müssten, die fürs G 8 jetzt schon benötigt werden. "Vom alten G 9 sind keine Kapazitäten mehr frei, die haben wir bereits aufgefüllt", sagt Zurek.

Tatsächlich ist in München schwer abzuschätzen, wie groß die Nachfrage nach dem achtjährigen Gymnasium sein wird. Am Modellprojekt Mittelstufe plus hat sich keine der 39 öffentlichen Schule beteiligt. Beim Volksbegehren der Freien Wähler 2014 zur Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 gingen kaum zwei Prozent der Stimmberechtigten zur Urne. Erste Gymnasien haben jetzt für sich bereits beschlossen, beim G 8 zu bleiben. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Was viele ärgert: Die Verantwortung wird auf die Schulen abgewälzt. "Ich hätte mir eine klare Entscheidung gewünscht", sagt etwa Walter Scharl, Direktor am Max-Planck-Gymnasium in Pasing und Bezirksvorsitzender für München in der bayerischen Direktorenvereinigung. Aus Platzmangel werden nur die wenigsten Schulen G 8 und G 9 parallel anbieten können. "Wenn wir uns aber für ein Modell entscheiden, wer sagt uns denn, dass das dann auch in ein paar Jahren noch nachgefragt wird?", erklärt Scharl. Was passiere, wenn alle ins G 8 gingen oder alle ins G 9? Fragen, auf die es keine Antwort gibt.

Scharl rechnet damit, dass in München ein "riesiger Verschiebebahnhof" entstehe, bis alle Kinder den gewünschten Schulplatz hätten. Mit all den organisatorischen Problemen: "Dann haben Sie an einer Schule zu viele Lehrer und Räume und an der anderen zu wenig." Ein solches Modell funktioniere aus seiner Sicht nur auf dem Land. Die Wahlfreiheit sei eher ein Programm zur Rettung der ländlichen Gymnasien, sagt er. Dort entschieden sich viele Eltern lieber für eine klassische Halbtags-Realschule, weil die Kinder nach dem Unterricht problemloser mit dem Schulbus heimkämen, nach dem Nachmittagsunterricht am G 8 hingegen oft lange warten müssten. Ein G 9 ohne Nachmittagsstunden würde den Zuspruch zu den Gymnasien erhöhen. "Das Problem haben wir nicht", sagt Scharl. Konstant treten mehr als die Hälfte aller Viertklässler ins Gymnasium über, lange Schulwege gibt es kaum.

Kultusminister Spaenle will sich all diesen Fragen bis Jahresende stellen. Eine enge Kooperation mit der Stadt sei nötig, vielleicht sogar ein Konzept für alle Schulen, um Wanderungen zu vermeiden. Hoffnungen setzt Spaenle in die große Schulbauoffensive. "Bei neuen Bauten könnte man beide Varianten mitdenken", sagt er. Die bestehenden Einrichtungen müssten erweitert werden. Wo das nicht geht, stellen sich zwei Alternativen: Die Schulen verzichten auf G 9 oder nehmen weniger Schüler auf, damit die G-9-Klassen Platz haben. Wie viele Gymnasien zum Schuljahr 2018/19 auf G 9 umstellen, vermag der Kultusminister nicht vorherzusagen. Stadtschulrätin Zurek sagt: "Wir werden auf jeden Fall eine Entscheidung getroffen haben."

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