Süddeutsche Zeitung

"Refill":Münchner Cafés und Läden schenken kostenlos Wasser aus - für die Umwelt

  • München hat eine neue Umweltschutz-Kampagne: Refill soll helfen, Plastikmüll zu reduzieren, indem mitgebrachte Wasserflaschen in Cafés aufgefüllt werden dürfen.
  • Nach knapp zwei Monaten bieten rund 40 Münchner Läden und Cafés das kostenlose Leitungswasser zum Nachfüllen an.
  • Deutschlandweit haben sich dem Angebot bereits 40 Städte angeschlossen.

Von Franziska Gerlach

Normalerweise erledigt Philipp Bankosegger die Sache ja an den Waschbecken öffentlicher Toiletten, oder er füllt seine Flasche auf, bevor er das Haus verlässt, am Wasserhahn seiner WG. Wäre ihm an der Glastür des "Lost Weekend" aber der runde, blau-weiße Aufkleber aufgefallen, mit dem das Café mit Buchhandlung an der Schellingstraße signalisiert, dass man sich mitgebrachte Flaschen nun kostenfrei mit Leitungswasser befüllen lassen kann, hätte er das auch gleich ausprobiert.

So aber macht der Student der Zahnmedizin zunächst große Augen auf seinem Barhocker. Weil ihm der Schutz der Umwelt aber wichtig ist, verspricht er aber auch: "Jetzt, wo ich das weiß, werde ich das künftig auch machen. Das ist lässig."

München hat also eine neue Umweltschutz-Kampagne, sie heißt Refill, und soll helfen, Plastikmüll zu reduzieren: eben indem Flaschen mehrfach befüllt werden. Die Zahlen, die die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf ihrer Homepage veröffentlicht, lesen sich nämlich nicht gut: Allein 2015 sei "die unvorstellbare Menge" von 17 Milliarden Einweggetränkeverpackungen verbraucht worden, vor allem die großen Discounter würden den deutschen Getränkemarkt mit Einweg-Plastikflaschen überschwemmen, ist da zu lesen. Mit "verheerenden Folgen" für Klima und Umwelt: Allein für die Herstellung der Plastikflaschen fielen jedes Jahr mehr als 650 000 Tonnen Rohöl und Erdgaskondensate an.

Nach knapp zwei Monaten haben rund 40 Münchner Läden und Cafés den Sticker angebracht, unter www.refill-deutschland.de steckt für jeden Teilnehmer der Aktion ein blaues Fähnchen in einer interaktiven Karte. Das "Kochhaus" an der Hohenzollernstraße macht zum Beispiel mit, der nachhaltige Klamottenladen "Phasenreich" an der Reichenbachstraße schenkt gratis Wasser aus, auch Yoga-Studios und Kitas haben schon Interesse bekundet.

Und im Ohne-Laden an der Schellingstraße bekommen Interessenten nicht nur die Aufkleber. Christine Traub, die Inhaberin des plastikfreien Geschäftes, ist auch eine der drei Organisatoren von Refill München. Die beiden anderen Namen kennt vermutlich ebenfalls, wer sich für grüne Themen in der Stadt interessiert: Julia Post hat 2015 die Umweltschutz-Kampagne "Coffee to go again" gestartet, die sich gegen Einwegbecher richtet. Der Dritte im Bunde, der Biologe Markus Mitterer, ist Mitgründer und Vorstandsmitglied von Rehab Republic, einem Verein, der Aktionen zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit plant. "Und wir haben das jetzt für München in die Hand genommen", sagt Traub.

Wurde auch Zeit? Dieser Gedanke ist doch recht unfair, wenn man bedenkt, dass die drei das Projekt ehrenamtlich betreuen, auch wenn in Bayern etwa Nürnberg oder Rosenheim früher dran waren mit Refill. Das Konzept kommt aus Bristol in England, irgendwann entdeckt Stephanie Wiermann, Grafikerin und Webdesignerin aus Horst in Schleswig-Holstein, einen Tweet der Briten. Sie fand die Kampagne klasse, und sagte sich: Wenn das in England läuft, läuft das doch sicher auch in Hamburg.

Tat es dann auch, und nicht nur dort: In diesen Tagen wird die Gründerin von Refill Deutschland förmlich überrannt von Anfragen, wie sie am Telefon erzählt, seit dem Start der Kampagne im März haben sich Refill mehr als 40 Städte angeschlossen. Köln, Hannover oder die Universitätsstadt Tübingen etwa, in Berlin machen sogar Apotheken mit. "Das wird immer größer", sagt Wiermann.

In der Filiale der kalifornischen Outdoormarke "Patagonia" an der Leopoldstraße war man gleich von Refill angetan. "Die Idee ist super, um die Leute wachzurütteln", sagt Verkäufer Gerald Stein. Wie das Angebot ankommt beim Münchner, kann er nach einer Woche aber noch nicht absehen, zumal die klassischen Patagonia-Kunden - "die Alpinisten" - ja eh von der Sorte seien, die sogar bei einem Spaziergang durch die Stadt eine Flasche dabei hätten. Überhaupt sei Wasser auffüllen bei ihnen schon seit jeher gang und gäbe. "Wenn wir gesehen haben, dass jemand eine leere Flasche am Rucksack hat, haben wir das manchmal sogar von uns aus angeboten."

Das ist in den meisten Münchner Geschäften noch lange nicht üblich. Und wenn man hier auch stolz ist auf die Qualität des Wassers, bei anderen Dingen hat die Stadt durchaus Nachholbedarf: Gerade einmal einen Trinkwasser-Brunnen hat die München vorzuweisen, am Rindermarkt, und der befindet sich im Testbetrieb. Während Kellner in anderen europäischen Großstädten automatisch eine Flasche Gratis-Wasser auf den Tisch stellen, muss der Münchner für einen Dreiviertelliter Sprudelwasser mancherorts sieben Euro löhnen.

Bei "Einfach genießen" an der Pestalozzistraße finden Weinseminare statt, sie machen aber auch bei Refill mit. "Wir finden das eine gute Sache", sagt Mitarbeiterin Rebekka Scheurich. Bislang sei zwar noch niemand vorbeigekommen, um sich seine Flasche befüllen zu lassen. Aber das werde sicher noch, die Kampagne sei ja gerade erst gestartet.

Dass in diesen Tagen vor allem immer mehr junge Münchnerinnen eigene Flaschen mit sich herumtragen, bunte Behältnisse aus Edelstahl oder auf antik gemachte Glasflaschen, dürfte dem Ganzen wohl zugutekommen. Es soll ja sogar Leute geben, die der Trinkflasche das Zeug zum Accessoire attestieren. Na gut. Nur welche Flasche ist denn nun die richtige, wenn man es ernst meint mit dem Umweltschutz?

Während Refill-Gründerin Wiermann ganz weg will von der Plastikflasche, sind in München moderatere Töne zu vernehmen. Natürlich weise sie ihre Kunden darauf hin, sagt Traub vom Ohne-Laden, dass Einwegflaschen aus Plastik, wenn sie brüchig werden oder mit heißen Flüssigkeiten befüllt, gesundheitsschädliche Stoffe freisetzen - und man diese dann nicht mehr verwenden sollte.

Aber bevor jemand jedes Mal, sobald er durstig sei, eine neue Plastikflasche kaufe, verwende er eine solche doch lieber mehrfach. Noch tut Aufklärung also offenbar Not. Damit es vorangeht mit Refill, wollen Traub, Post und Mitterer zunächst in möglichst jedem Stadtviertel eine sogenannte Verteiler-Station einrichten, an der Informationen und Aufkleber zu haben sind. Denn es gibt da diese Vision für München: Dass es eines Tages völlig normal ist, Leitungswasser zu trinken, und man die Flaschen überall problemlos befüllen kann. Trend, heißt das ja gerne, wenn sich etwas fläschendeckend durchsetzt. Traub: "Idealerweise können die Aufkleber dann wieder weggemacht werden, weil man sie nicht mehr braucht."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3737872
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 07.11.2017/libo
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.