Rechtsstreit um Antisemitismus:Die "Erben der Firma Freisler"

Der Autor Henryk M. Broder muss vor Gericht. Weil er Gerichten unterstellt, noch heute nicht frei darüber zu entscheiden, was antisemitisch ist und was nicht. Das könnte eine Beleidigung sein.

Wolfgang Roth

Kein Richter des von den Nationalsozialisten eingesetzten Volksgerichtshofs ist in der Bundesrepublik Deutschland je zur Verantwortung gezogen worden. Und es hat ein halbes Jahrhundert gedauert, bis der Gesetzgeber die Urteile dieses zur Liquidierung und Abschreckung von Regimegegnern gegründeten Tribunals in aller Form aufhob.

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(Foto: Foto: dpa)

Dass "die" Nachkriegsjustiz sich "schwertat" mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit, wäre ein milder Urteilsspruch. Aber muss sich ein deutscher Richter deshalb den Vorwurf gefallen lassen, die Last dieser Vergangenheit hindere ihn heute noch an freier Entscheidung?

Weil sich Eberhard Kramer, der Präsident des Frankfurter Landgerichts, in die Nähe des Volksgerichtshofs gerückt sah, hat er wegen Beleidigung Strafantrag gegen den Journalisten und Autoren Henryk M. Broder gestellt und einen Strafbefehl über 16.000 Euro erwirkt. Anlass war ein Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 27. Januar 2006, in dem Broder mit dem Satz zitiert wird: "Es bleibt der Hautgout, dass die Erben der Firma Freisler entscheiden, was antisemitisch ist und was nicht." Da Broder gegen den Strafbefehl Einspruch einlegte, verhandelt an diesem Montag das Amtsgericht München über die Causa.

Jude über Jude

Die Entscheidung, auf die sich das Zitat bezog, oblag damals dem Landgericht Frankfurt, und sie hatte als Gegenstand Klagen, mit denen Broder verschiedene Wertungen untersagt werden sollten, die dieser auf seine Internet-Homepage gestellt hatte. Im Kern war darüber zu befinden, ob ein Jude (Broder) andere Juden (den Verleger Abraham Melzer und den Buchautor Hajo Meyer) als Antisemiten bezeichnen darf.

Die drei Beteiligten kannten sich lange Zeit, hatten früher auch beruflich miteinander zu tun, sich aber in ihren Positionen später weit voneinander entfernt. Das verwundert nicht angesichts der Thesen, die Meyer entwickelte und Melzer als Verleger in die Welt brachte. Da wird schon mal der Holocaust als "Laune der Geschichte" bezeichnet, "die früheste Ursache für den Antisemitismus im Judentum selbst" gesehen und davon gefaselt, die Juden hätten es neuerdings wirklich auf die Weltherrschaft abgesehen.

Für Broder, der, wohlwollend ausgedrückt, ein sehr feines Sensorium für antisemitische Haltungen hat, also kein Grund, sich sonderlich zurückzuhalten. Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt befand allerdings, dass jedenfalls in einem Fall die Grenze zwischen zulässiger Meinungsäußerung und unzulässiger Schmähkritik überschritten sei.

Untersagt wurde die Behauptung, Melzer und Meyer seien "Kapazitäten für angewandte Judäophobie". Durchgehen ließen die Richter hingegen die Aussage, die beiden hätten "den Hitler gemacht".

Der innerjüdische Streit über die Deutungshoheit, darüber, wo die Grenzen zwischen Antizionismus, Antisemitismus und berechtigter Kritik am Staat Israel verlaufen, wäre längst beendet, wenn Broder damals gegenüber der SZ nicht dem Gericht die Urteilsfähigkeit abgesprochen hätte. "Die Erben der Firma Freisler" waren darüber nicht erfreut, auch wenn sie der Autor als "brave Richter" bezeichnete.

Die braven Richter nämlich, fügte Broder hinzu, seien schlechterdings nicht in der Lage, das Urteil zu fällen, weil die Idee eines antisemitischen Juden ihr Vorstellungsvermögen übersteige. Juristisch ist dies eine völlig legitime, strafrechtlich irrelevante Behauptung.

Mit der Erbschaft der "Firma Freisler" allerdings hat sich nun das Münchner Amtsgericht zu befassen. Es betritt wieder den relativ schwankenden Boden, den der Tatbestand der Beleidigung bildet mitsamt seinen in der Rechtsprechung entwickelten Formeln. Klar ist auch, dass in einem zivilrechtlichen Unterlassungsverfahren etwas andere Kriterien gelten als im Strafrecht. Deshalb ist Henrik M. Broder auch in einem der Causa Melzer/Meyer nachfolgenden Beleidigungsprozess freigesprochen worden.

Ob die Münchner Richter die Assoziation an den Volksgerichtshof und seinen schrecklichsten Richter noch als zulässigen Ausdruck der Meinungsfreiheit werten, ist aber die Frage. Die Verteidigung wird wohl argumentieren, dass eine Erbschaft nicht zwangsläufig irgendeine Übereinstimmung mit dem Vererber voraussetze, sondern nur die Übernahme des Erbes mitsamt seinen Lasten.

Mit einiger Sicherheit wird diese Entscheidung ihren Widerhall auf der Internetseite achgut.de finden, auf der Henryk M. Broder mit seinen Mitstreitern unermüdlich gegen "Gutmenschen", die "politische Korrektheit" und anderes Weicheiertum angeht. Dort findet sich keiner, der jemals unfähig wäre, ein Urteil zu fällen.

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