Rechtsextremist Karl Richter in München:Rechts, perfide, erfolglos

Bei der Vereidigung zeigte er den Hitlergruß: Seit 2008 sitzt der Rechtsextremist Karl Richter im Münchner Stadtrat. Die anderen Parteien versuchen, seine ausländer- und judenfeindlichen Vorstöße ins Leere laufen zu lassen. Doch der Umgang mit demokratisch gewählten Rechtsextremisten ist manchmal nicht einfach.

Dominik Hutter

Oft kommt es nicht vor. Aber gelegentlich erhebt sich der unauffällige Mann mit der runden Brille von seinem Platz in der letzten Reihe und schreitet zum Rednerpult. Im Sitzungssaal beginnt dann eine seltsame Prozedur: Ein paar Stadträte starten eine nette Plauderei, andere besorgen sich Getränke, lesen die Zeitung oder gehen kurz raus auf den Gang. Karl Richters Redebeitrag verpufft ins Leere. Irgendwann ist er fertig und setzt sich. Danach geht die Sitzung ganz normal weiter.

Muenchner Stadtrat Richter muss Eid wegen Hitlergruss wiederholen

Im Juli 2009, als der rechtsextreme Stadtrat Karl Richter seinen Amtseid wiederholte, verzichtete er auf den Hitlergruß.

(Foto: ddp)

Karl Richter ist Rechtsextremist. Seit 2008 sitzt der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD im Münchner Stadtrat - für die "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA), die damals 1,4 Prozent der Stimmen erhielt. Und seitdem bemühen sich alle Demokraten im Rathaus gemeinsam, dass der ungeliebte "Kollege" keinen Fuß auf den Boden bekommt. "Wir wollen keine Kommunikation mit ihm", sagt Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Das Münchner Stadtparlament soll nicht zum Schauplatz von Richter angezettelter Debatten werden, zum Forum für ausländer- oder judenfeindliche Thesen.

Nur wenn unbedingt eine Richtigstellung erforderlich ist, darauf haben sich alle demokratischen Parteien geeinigt, spricht der OB im Namen aller. Allerdings soll dem durchaus karrierebewussten Historiker auch keine Märtyrerrolle in rechtsextremen Kreisen zuwachsen. Deshalb verzichtet der Stadtrat auf symbolische Handlungen, etwa das demonstrative Verlassen des Saals.

Bisher ist die Taktik aufgegangen: Richter kann getrost als der erfolgloseste Stadtrat am Marienplatz bezeichnet werden. Seine Anträge werden nie diskutiert, noch kein einziger hat mehr als eine einzige Stimme, die der BIA nämlich, erhalten. In den Fachausschüssen ist der 49-Jährige nicht vertreten, über ein eigenes Büro verfügt er nicht. Seit einer Änderung der Geschäftsordnung, die nach der Kommunalwahl 2008 vorgenommen wurde, haben Ein-Mann-Gruppierungen keinen Anspruch mehr darauf.

Die anderen im Stadtrat vertretenen Klein-Parteien haben sich deshalb zu einer Ausschussgemeinschaft zusammengeschlossen. Nur mit Karl Richter wollte keiner. Der Extremist ist zwar juristisch gegen den Büro-Entzug vorgegangen, doch die Verwaltungsgerichte haben die Haltung der Stadt für rechtmäßig erklärt.

Der Umgang mit demokratisch gewählten Rechtsextremisten ist nicht einfach, das mussten schon viele Kommunen erfahren. Denn mit reinem Ignorieren ist es ja nicht getan. Stadträte dürfen offizielle Anträge und Anfragen stellen - und das tut Richter in einer Größenordnung, die die Verwaltung stöhnen lässt. Miriam Heigl von der im OB-Büro angesiedelten Fachstelle gegen Rechtsextremismus vermutet, dass dahinter eine Taktik steckt: Richter will dem verhassten demokratischen Establishment das Leben so schwer wie möglich machen.

Unverhohlene Kontakte zu Martin Wiese

Besonders unangenehm ist es, dass die Anfragen offiziell beantwortet werden müssen. Wie regiert man auf eine Anfrage zum Thema Adressen und Sicherheitsvorkehrungen jüdischer Einrichtungen - wenn der Initiator ganz unverhohlen Kontakte zu Martin Wiese pflegt, dem Neonazi, der wegen seiner Attentatspläne auf das jüdische Zentrum am St.-Jakobs-Platz zu einer Haftstrafe verurteilt wurde? Was tun, wenn Richter wissen will, wie das US-Generalkonsulat bewacht wird?

BIA-Vorstöße werden von der Verwaltung stets knapp, aber juristisch unanfechtbar beantwortet. "Wir bleiben keine Antwort schuldig", betont der Oberbürgermeister. Beim heiklen Thema Sicherheit bleibt Richter dennoch ahnungslos. Da kann die Stadt nämlich darauf verweisen, dass dafür das Polizeipräsidium sowie als übergeordnete Instanz das Bayerische Innenministerium zuständig sind. Punkt.

Richter gilt keineswegs als harmloser Kleinbürger mit ausgeprägtem Rechtsdrall, sondern als waschechter Neonazi - deswegen ist die Stadt beim Umgang mit ihm so vorsichtig. Der NPD-Bundesvize ist bundesweit mit anderen Neonazis vernetzt, er pflegt enge Kontakte zu den Münchner Kameradschaften und verbreitet seine Thesen über die NPD-Zeitung Deutsche Stimme, deren Chefredakteur er ist.

Zudem gilt er als Parteiideologe, der sich auszudrücken weiß. Als die BIA im September vor Münchner Schulen Flugblätter verteilte, waren zwei gerichtlich verurteilte Gewalttäter mit von der Partie. Einer davon war Martin Wiese, der seine siebenjährige Haftstrafe inzwischen abgesessen hat.

Die BIA stellt sich gerne als kleine Gruppierung politisch Interessierter dar. Beim Verfassungsschutz gilt sie als Tarnliste der NPD, es gibt bundesweit mehrere Zusammenschlüsse dieses Namens. Als Pressesprecher hatte Richter einst den wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Haftstrafe verurteilten Neonazi Philipp Hasselbach verpflichtet.

Der BIA-Stadtrat wird vom Verfassungsschutz überwacht; er gilt als Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene. Was wohl auch daran liegt, dass er mit einer gehörigen Portion Perfidie an die Sache herangeht. Seine Beiträge im Stadtrat sind oft inhaltlich wie sprachlich "haarscharf an der Kante dessen, was noch zulässig ist", hat Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker beobachtet. Richters Antrags-Sortiment bildet eine Mischung aus unverhohlen rechtsextremen Vorstößen, aber auch Forderungen, die jede andere Partei genauso hätte erheben können. "Er gibt gerne den Kümmerer", sagt Benker. Eine klassisch rechtsradikale Strategie, um auch rechtsbürgerliche Kreise an sich zu ziehen.

Im Rathaus geht man dennoch davon aus, dass Richter vor allem innerhalb der eigenen Szene Aufmerksamkeit sucht. Denn bei vielen Vorstößen bemüht er sich nicht einmal um Tarnung. "Der Bezug zur NS-Zeit ist permanent da", sagt Marcus Buschmüller von der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus. Richter hat schon ganz offen das Aus für das geplante NS-Dokumentationszentrum gefordert ("überflüssiges Millionengrab"). Der Hitler-Attentäter Georg Elser ist in seinen Augen ein "Bombenleger mit heimtückischer Tötungsabsicht".

Wenn Richter besonders unangenehm ist

Besonders unangenehm fällt Richter nach rechtsextremen Attentaten auf. Für die Anschläge im Juli in Norwegen, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, machte er nicht etwa den Neonazi Anders Behring Breivik verantwortlich, sondern das politische System, das derartige Aktionen geradezu provoziere. Ähnlich zynisch fallen die Kommentare zur aktuell diskutierten rechtsextremen Mordserie aus. Die Ermittlungen gegen die Zwickauer Terroristen stellt er auf eine Stufe mit Wohnungseinbrüchen osteuropäischer Banden; die Morde seien weniger in rechtsextremen Kreisen als vielmehr beim Verfassungsschutz geplant worden.

Wes Geistes Kind der 49-Jährige ist, bewies er gleich nach seiner Wahl ins Rathaus. Bei der Vereidigung zeigte er den Hitlergruß - und dementierte dies später als "Realsatire, die sich nur kranke Gehirne ausdenken können". Die Justiz sah das anders und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 2800 Euro.

Gerne brüstet sich Richter mit den Schlagzeilen, die er bei den Dreharbeiten für den 2004 uraufgeführten Film "Der Untergang" machte. Dort schmuggelte er sich als Komparse ein, als Adjutant des NS-Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel. Auch auf seine Vergangenheit bei der Bundeswehr ist der NPD-Funktionär stolz - immer wieder behauptet er, Träger der Ehrenmedaille zu sein und politische Bildungsarbeit geleistet zu haben.

Was Richter lieber verschweigt: Die Bundeswehr hat ihn nach Hinweisen des Verfassungsschutzes sowie des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) hinausgeworfen - nach Auskunft des Wehrbereichskommandos Süd darf er sich nicht mehr aktiver Reservist nennen. Dass er eine Ehrenmedaille hat, konnten Dienststellen der Bundeswehr auf SZ-Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Tatsache sei aber, so ein ranghoher Bundeswehrler, dass Richter in der Armee keinerlei Funktionen mehr innehabe.

Der Umgang mit dem Rechtsradikalen im eigenen Haus ist immer wieder Thema im Ältestenrat des Stadtrats. Denn es gibt in den deutschen Kommunen durchaus unterschiedliche Ansätze, wie Neonazis zu begegnen ist. Mancherorts werden Anträge aus dem radikalen Lager politisch beantwortet - dann legt die Verwaltung analytisch dar, warum der Vorstoß als rechtsextrem einzustufen ist.

Eine ungewöhnliche Form des Widerstands hat sich die sächsische Stadt Riesa einfallen lassen: Seit einer vom Stadtrat beschlossenen Straßenumbenennung residiert die dort beheimatete Zentrale der Deutschen Stimme nicht mehr an der Mannheimer, sondern an der Geschwister-Scholl-Straße.

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