Aufklärung gegen Rechtsextremismus:Fremdenhass im Flauschkostüm

Rechtsextremisten wenden immer perfidere Methoden an, um Jugendliche zu erreichen. Klaus Joelsen vom Münchner Jugendamt hält mit seinem Grundkurs gegen Neonazis dagegen. Dort klärt er Schüler und Lehrer über die Aktivitäten der rechten Szene auf.

Stefan Mühleisen

Den "Abschiebär" bringt Klaus Joelsen immer zum Schluss. Er ist die verblüffende Pointe, ein Fazit mit Gänsehaut-Garantie. Ein Mensch in flauschig-freundlichem Teddybären-Kostüm hüpft durch Hannover, auf seinem T-Shirt steht: "ABSCHIEBÄR". Am Flughafen winkt er startenden Maschinen von Turkish Airlines hinterher und hopst zu lässigem Crossover-Sound weiter zu einem Döner-Laden. Fröhlicher Hitler-Gruß, dann zerrt er den ausländischen Inhaber im Schwitzkasten davon.

Abschiebär

Screenshot des ausländerfeindlichen You-Tube-Clips "Abschiebär".

(Foto: Screentshot YouTube)

Mit dem kurzen Streifen vom Internet-Video-Portal Youtube erntet Klaus Joelsen jedesmal Fassungslosigkeit bei seinen Zuhörern. Fremdenhass im Flauschkostüm - das erinnert frappierend an das zynische Bekennervideo der rechtsextremen NSU-Terroristen, in dem die Zeichentrickfigur Paulchen Panther die Hauptrolle spielt. Da verschlägt es selbst Hartgesottenen die Sprache - und genau das will Klaus Joelsen erreichen.

Der 50-Jährige ist beim Münchner Jugendamt für politische Bildungsarbeit mit dem Schwerpunkt Rechtsextremismus zuständig. In Vorträgen und Workshops - er arbeitet eng mit der städtischen Initiative "Laut gegen Brauntöne" und der Fachstelle gegen Rechtsextremismus zusammen - zeigt er vor allem in Schulen Jugendlichen und Lehrern, mit welch perfiden Methoden die rechte Szene ihre Botschaften verbreitet.

Ein schockierender Grundkurs Neonazi, der die Augen dafür öffnet, dass rechte Extremisten keine plumpen Pöbler sind, sondern scharfsinnige und somit gefährliche Aktivisten im Normalo-Look. "Die benutzen bewusst die Elemente der Jugendkultur, um ihre Weltanschauung unters Volk zu bringen", sagt Joelsen. Es ist seine wichtigste Botschaft an die Schüler und Lehrer: Neonazis arbeiten heutzutage mit hundsgemeiner Perfidie, um Heranwachsende von ihren nationalistischen Thesen zu überzeugen.

Zum Beispiel der "Abschiebär". Klaus Joelsen sitzt in seinem Büro im fünften Stock des Stadtjugendamtes. Nahezu kahlgeschorener Kopf, dicke graue Kotletten, buschige Augenbrauen wölben sich über den wachen Augen. Seit 14 Jahren beschäftigt er sich jetzt schon mit der rechten Szene, beobachtet ihre verästelten Strukturen und die Aktivitäten in München. Doch immer noch muss er angeekelt den Mund verziehen, wenn er "Abschiebär" im Internet eintippt.

"Schauen Sie, mehr als 18 000 Zugriffe hat dieses Video. Und wenn man den Begriff eingibt, erscheint er als erstes in der Vorschlagsliste", sagt er. Joelsen hat schon viele solcher Filmschnipsel gesehen, sie sind sein Anschauungsmaterial. Clever gemacht sei dieser Clip, knurrt er und zählt auf: professionell geschnitten im Stil eines Musik-Videos, provokant und knapp - das nötigt Jugendlichen Respekt ab. Und vielleicht führt die Hetz-Kampagne ja einige zur eingeblendeten Internetseite am Schluss: besseres-hannover.info. Hört sich harmlos an, ist aber ein niedersächsisches Neonazi-Portal.

Es war die Anfrage eines Konzertveranstalters im Jahr 1998, als Klaus Joelsen erkannte, dass sich Rechtsextremisten offensiv in der Jugendkultur breit machen - und, dass man genau hinschauen muss, ganz genau. Was denn von der Band Death in June zu halten sei, fragte der Münchner Veranstalter.

Joelsen, damals noch in der Abteilung für Kinder- und Jugendschutz, recherchierte. Er stieß auf Liedtexte mit Zitaten von Julius Evola, dem italienischen Faschismus- und Rassentheoretiker. Auch das Horst-Wessel-Lied hat die Gruppe im Programm - verpackt in Neo-Folk-Klänge. Klaus Joelsen war platt über diese geschickt getarnte Sound-Propaganda im Gothic-Gewand. "Ich erkannte: Man muss tiefer einsteigen und sich mit den Inhalten beschäftigen", sagt Joelsen. Je tiefer er grub, desto bestürzter wurde er.

Vollkommen der Jugendkultur angepasst

Er hatte Glatzen in Bomberjacken erwartet, stieß aber im Internet auf Jungs in Kapuzenpulli und Palästinenser-Tuch sowie Mädchen in Che-Guevara-Shirt. Der Autodidakt in Sachen Rechtsextremismus verstand, dass moderne Neonazis sich in Kleidung und Sprache vollkommen der Jugendkultur angepasst haben. "Schüler und Lehrer fragen mich immer: Wie erkenne ich rechte Aktivisten?", berichtet Joelsen.

Aufklärung gegen Rechtsextremismus: Mit seinen Vorträgen zeigt Klaus Joelsen, dass rechte Extremisten keine plumpen Pöbler sind, sondern scharfsinnige Aktivisten im Normalo-Look.

Mit seinen Vorträgen zeigt Klaus Joelsen, dass rechte Extremisten keine plumpen Pöbler sind, sondern scharfsinnige Aktivisten im Normalo-Look.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Als Antwort schaltet er dann seinen Laptop ein und zeigt eine Reihe von Videos. Da erörtern dann sympathische Jugendliche ihre Ansichten über die Gefahren des Kapitalismus, Ausbeutung durch Zeitarbeit sowie Kinderarmut und Tierschutz in die Kamera. "Die sprechen aktuelle Probleme an und vermitteln: Wir kümmern uns", fasst Joelsen die kurzen Streifen zusammen.

Nur wer genau aufpasst, bemerkt, dass die Akteure Sätze wie "Deutschland braucht eine Wirtschaft, die dem Volke dient" einstreuen. Auf den ersten Blick argumentieren hier aufgeweckte Jugendliche zu aktuellen politischen Themen. Tatsächlich sind es Rechtsextremisten, die längst nicht mehr als Schreihälse in Springerstiefeln auftreten.

Als aufgeklärte Zeitgenossen in Allerweltsklamotten weben sie geschickt ihr nationalistisches Weltbild in optisch ansprechende Video-Schnipsel, die wie seriöse Blog-Beiträge daherkommen. Der Ur-Link der Videos führt dann allerdings zu Internetseiten, hinter denen die NPD oder rechte Kameradschaften stecken.

Der bekannte und mehrfach verurteilte Neonazi Axel Reitz - er ist auch schon bei rechtsextremen Veranstaltungen in München aufgetreten - hat diese Strategie sogar einmal explizit ausformuliert. Auch das kann man sich im Internet ansehen. Kopfschüttelnd blickt Klaus Joelsen auf den deklamierenden Nationalisten im Spot auf seinem Laptop. Hip-Hop, Graffiti, Che Guevara. "Früher war das für Nationalisten ein Frevel. Heute zählt das zur rechtsextremen Erlebniswelt", sagt Joelsen.

Wieder sind seine Vortragsteilnehmer baff, wenn sie so etwas sehen. Denn sie erfahren auch, dass es in der Region München eine aktive rechte Szene gibt. Kameradschaften München-Nord und München-Süd-Ost, Jagdstaffel "Deutsch-Stolz-Treu", Freies Netz Süd, dazu die Rechtspopulisten von der Partei "Die Freiheit" und der "Bürgerbewegung Pax Europa".

Im Stadtrat sitzt der Rechtsextremist Karl Richter mit der Gruppierung "Bürgerinitiative Ausländerstopp" (BIA). "Den haben 8000 Menschen in München gewählt", sagt Klaus Joelsen. Wie viele davon Frustwähler oder überzeugte Neonazis sind, kann auch er nicht beantworten. Dennoch: Sie gaben ihre Stimme dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der NPD.

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